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Book review: Werner Bätzing: Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum. Eine interdisziplinäre und internationale Bibliographie.

Book review by Marius Mayer

Werner Bätzing (2021): Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum. Eine interdisziplinäre und internationale Bibliographie. 348 S., Hrsg. Marktgemeinde Bad Hindelang. context verlag. Augsburg/Nürnberg: ISBN 978-3-946917-29-.8. € 49.90

Im Zeitalter von Suchmaschinen für wissenschaftliche Literatur wie dem Web of Knowledge®, Scopus® oder Google Scholar kann man sich die Frage stellen, warum noch gedruckte Bibliographien nötig sind und in klassischer Buchform veröffentlicht werden. Sogenannte „Review“-Artikel in internationalen Fachzeitschriften basieren heutzutage fast ausschließlich auf Resultaten aus den beiden erstgenannten Suchmaschinen und konzentrieren sich auf englischsprachige Zeitschriftenartikel der beiden letzten Jahrzehnte (als Ausnahme siehe etwa Brenner & Job 2022, die wie im Fall mexikanischer Schutzgebiete dringend nötig, auch die spanischsprachige Fachliteratur heranziehen).
Werner Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeographie an der Universität Erlangen und renommiertester Alpen-Experte im deutschsprachigen Raum, hat diese Frage für sich zu Gunsten der klassischen Bibliographie beantwortet und 2021 eine fünfsprachige (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Slowenisch), interdisziplinäre und internationale Bibliographie zur Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum veröffentlicht. Damit macht Bätzing den auf diese Thematik bezogenen Teil seiner sehr umfangreichen analogen Literaturdatenbank (etwa 30.000 Titel) zu den Alpen zugänglich. Er schließt damit eine bedeutsame Lücke, denn es gab bislang keine umfassende Literaturübersicht des Themas, die alle Alpenregionen und alle relevanten Fachgebiete abdeckt.
Woraus ergibt sich die Relevanz einer solchen Bibliographie? Die Alm- und Alpwirtschaft nimmt knapp 30% der gesamten Alpenfläche ein und stellt damit eines der zentralen Charakteristika dieses Gebirges dar, das die Alpen (die ihren Namen letztendlich von diesen saisonalen Hochweideflächen erhalten haben) von vielen anderen Gebirgszügen der Welt unterscheidet. Die Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum ist Bätzing zu Folge eines der vielfältigsten und am weitesten ausdifferenzierten Weidesysteme in Gebirgsräumen weltweit, das aus der Besiedelungsgeschichte der Alpen nicht wegzudenken ist – ohne die Weideflächen in den Hochlagen läge das agrarische Produktionspotential in den Alpen sehr viel niedriger und die Alpen wären nicht in diesem Ausmaß besiedelt worden. Auch heute noch werden auf den Almen hochwertige Lebensmittel produziert (Milchprodukte, Fleisch), ein Beitrag zur Tiergesundheit geleistet, die tradierte Kulturlandschaft der Alpen erhalten und gepflegt, die mit einer sehr hohen biologischen Vielfalt einhergeht sowie die Grundlagen für viele Spielarten des Alpentourismus gelegt (zur Multifunktionalität der Almwirtschaft vgl. Mayer et al. 2010). Die Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum hat auch eine sehr hohe kulturelle Bedeutung, u.a. für die lokale Identität, aber auch im Spannungsfeld zwischen Authentizität, Inszenierung und Kitsch (siehe Kirchengast 2008) für die touristische Vermarktung und die Außenwahrnehmung der Alpen als Ganzes. Diese kulturelle Bedeutung bezieht sich vor allem darauf, dass die Alm- und Alpwirtschaft im Gegensatz zur Landwirtschaft in den Tälern und Flachländern sehr viele traditionelle Elemente bewahrt hat, was auch die Erfahrungen im Umgang mit der dynamischen Natur eines jungen Hochgebirges mit einschließt, sowie das Wissen und die Erfahrungen, umweltverträglich langfristig zu wirtschaften, ohne die Natur zu zerstören. Damit kann die alpine Alm- und Alpwirtschaft als Vorbild für nachhaltige Landnutzungsformen dienen, da institutionelle Regelungen zur Verhinderung von Über- oder Unternutzung und zur Organisation der Almpflege eine jahrhundertealte Tradition haben. Nicht zufällig verweist die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom (1990) auf die Alm- und Alpwirtschaft als erfolgreiches Beispiel der nachhaltigen Nutzung von Gemeinschaftseigentum im Gegensatz zu Hardins (1968) vielzitierter „Tragedy of the Commons“, die sich ebenfalls auf eine gemeinsam (über)nutzte Weidefläche bezieht.
Bätzing verfolgt mit der vorliegenden Bibliographie ein zweifaches Ziel: zum einen möchte er einen Beitrag zum Erhalt des Wissens um und über die Alm- und Alpwirtschaft leisten, damit diese in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit mit ihrer großen Bedeutung stärker wahrgenommen wird; zum anderen möchte er die Diskussionen um die Alm- und Alpwirtschaft gründlich dokumentieren in der Hoffnung eine alpenweite Diskussion anzuregen, die zu einer gemeinsamen Wahrnehmung der Herausforderungen führt, denen diese Wirtschafts- und Lebensform gegenübersteht. Dieses Problembewusstsein solle in eine stärkere Bündelung und Interessensvertretung der Alm- und Alpwirtschaft münden. Aus Bätzings Sicht wäre eine intensivierte internationale, alpenweite Zusammenarbeit in einer übergeordneten Dachorganisation sinnvoll.
Die Bibliographie ist wie folgt aufgebaut: Sie beginnt mit einer jeweils 35-seitigen Einleitung in den fünf oben genannten Sprachen. Diese Einleitung besteht aus vier Teilen und legt die Motivation und Zielsetzung der Bibliographie dar, präsentiert das methodische Vorgehen, die inhaltliche und zeitliche Eingrenzung, skizziert einen Überblick der Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum (S. 16–21), wertet die enthaltenen Publikationen nach Fachgebieten und Staaten aus (S. 23–35) und gibt hilfreiche Erläuterungen zur Benutzung der Bibliographie.
Die Titel der Bibliographie stammen aus Bätzings in über 40 Forscherjahren erstellter Karteikartensammlung, ergänzt durch die systematischen Analysen von Literaturverzeichnissen, Publikationsreihen, einschlägigen Zeitschriften und einer Recherche in den jeweiligen nationalen Bibliotheksverbünden. Bätzing zu Folge (S. 23) könne man eine systematisch zusammengestellte Bibliographie nicht durch eine bloße Internet-Recherche ersetzen.
Das zentrale Problem, das sich Bätzing stellt, ist die enorme alpenweite materielle und kulturelle Vielfalt der Alm- und Alpwirtschaft, die mit einer Myriade an lokalen Begriffen einhergeht. Daher nimmt er keine Übersetzung der fremdsprachigen Titel ins Deutsche oder Englische vor, denn wenn man als Leser*in den Titel nicht versteht, so Bätzing, würde man mit den jeweiligen Werken ohnehin nichts anzufangen wissen. Ausnahmen macht er lediglich bei slowenischen und rätoromanischen Quellen; diese werden auch auf Deutsch oder Englisch angegeben.
Anschließend (S. 152–315) folgt dann die eigentliche Bibliographie, räumlich gegliedert nach Werken, die sich auf den gesamten Alpenraum beziehen, gefolgt von den einzelnen Alpenstaaten und differenziert nach 33 Regionen (Regierungsbezirke, Deutschland; Departments, Frankreich; Bundesländer, Österreich; Kantone/Kantonsgruppen, Schweiz; Regionen, Italien). Eine thematische Trennung der Publikationen sei nicht sinnvoll, da die Überschneidungen zu groß seien und der staatliche/regionale Rahmen in jedem Fall wichtig. Jedem der nationalen Kapitel ist eine kurze Einleitung in der Landessprache und auf Deutsch bzw. Englisch vorangestellt. Die Bibliographie konzentriert sich inhaltlich auf die Themen „Alm- und Alpwirtschaft, ihre Nutzungsformen, ihre Wirtschaftsstrukturen, ihre Eigentums- und Rechtsformen, ihr Brauchtum und randlich auf die Alpgebäude und die einschlägigen Benennungen“ (S. 12). Das bedeutet, dass naturwissenschaftliche Texte wegen zu starker Spezialisierung nicht enthalten sind; der Forschungsstand zu Umwelt- und Ökologie-Aspekten der Alm- und Alpwirtschaft sei in Ringler (2009) gut abgedeckt. Es geht auch nicht um Landwirtschaft in den Alpen im Allgemeinen (trotz der logischerweise starken Verflechtungen mit der Alm- und Alpwirtschaft); Monographien zu Regionen, Tälern und Gemeinden sind nur enthalten, wenn sie ein der Alm- und Alpwirtschaft gewidmetes Kapitel von mindestens 10 Seiten umfassen (dieser Umfang ist auch das Kriterium für Aufsätze; kürzere Aufsätze sind nicht enthalten); die Zwischenstufe der Maiensäße und Voralmen sowie der Wälder auf der Almenstufe sind nicht enthalten; die Bibliographie setzt ab 1859 ein mit dem Erscheinen der ersten modernen Almstatistiken und blendet somit historische Werke aus der Periode davor aus.
Die Bibliographie enthält beinahe 2500 Titel von 1859 bis Ende 2020. Davon ist gut die Hälfte auf Deutsch, ~23% Italienisch, ~20% Französisch und je ~3% Englisch oder Slowenisch. Interessant auch die relative Abdeckung der Alpenregionen durch die alm- und alpwirtschaftliche Fachliteratur: Bätzing berechnet (S. 24, S. 342) eine Publikationsdichte pro 1.000 km². Dabei stechen das Fürstentum Liechtenstein (119), das Allgäu (33), die Innerschweiz (28), die Westschweiz (26) und das Wallis (24) heraus, während die Dichte bei Niederösterreich, Drôme, Alpes-de-Haute-Provence, der Steiermark oder Kärnten unter dem Wert vier liegt. Im Verhältnis zur Regionsgröße gibt es also für letztgenannte Regionen relativ gesehen wenige alm- und alpwirtschaftliche Publikationen.
Bätzing hat zudem die in der Bibliographie enthaltenen Werke elf wissenschaftlichen Fachgebieten zugeordnet. Die vier bedeutsamsten, Agrarwissenschaften, Geographie, Volkskunde/Ethnologie und Rechtswissenschaften, nehmen gut drei Viertel aller Titel ein. Hierbei zeigt sich, dass die Geographie mit über 400 Titeln (~17%) das zweitbedeutsamste Fachgebiet nach den Agrarwissenschaften mit ~24% darstellt. Anhand der zeitlichen Verteilung der Veröffentlichungen konstatiert Bätzing allerdings, dass das Interesse der Geographie an der Alm- und Alpwirtschaft seit den 1980er Jahren sichtlich erlahmte und das in den 1960/70er Jahren durchaus florierende Feld der „Almgeographie“ (Hartke & Ruppert 1964, Penz 1978) heute vollständig in Vergessenheit geraten sei. Da in den letzten Jahrzehnten auch das Interesse von Volkskunde/Ethnologie und Rechtswissenschaften an der Alm- und Alpwirtschaft rückläufig sei, plädiert Bätzing für eine breite disziplinäre Untersuchung der Alm- und Alpwirtschaft, die sich nicht auf rein agrarwissenschaftliche und ökologische Perspektiven beschränken dürfe.
Bätzing resümiert, dass es bislang nur ansatzweise eine alpenweite wissenschaftliche Diskussion über die Alm- und Alpwirtschaft gäbe; zu sehr trennen die Staats- und Sprachgrenzen; es fehle an vergleichenden Untersuchungen zum gesamten Alpenraum; die jeweils wichtigsten Werke zur Alm- und Alpwirtschaft seien nie in andere Sprachen übersetzt worden; das Englische habe in der Forschung zur Alm- und Alpwirtschaft nur einen marginalen Stellenwert – aus Sicht des Rezensenten überrascht das nicht, wenn man naturwissenschaftliche Publikationen und Aufsätze mit weniger als 10 Seiten für die Bibliographie ausblendet. Um diese Diskussion zu befördern sei es nun wesentlich die wechselseitigen Kenntnisse über die Alm- und Alpwirtschaft im gesamten Alpenraum zu verbessern und die Zusammenarbeit zu intensivieren.
Die Bibliographie schließt mit einem umfangreichen Personen- und Sachregister sowie einem kurzen Anhang, der einen quantitativen Überblick des Inhalts bietet.
Die vorliegende Bibliographie ist als eine sehr verdienstvolle Arbeit zu betrachten, die eine bedeutsame Lücke in der Literatur schließt. Sie wird sich als eine unentbehrliche Quelle und unverzichtbares Nachschlagewerk für alle Wissenschaftler*innen erweisen, die sich mit der Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum auseinandersetzen und die mehr als nur englischsprachige, peer-review Aufsätze in internationalen Zeitschriften heranziehen wollen, die in dem Web of Knowledge gelistet sind oder die per Google Scholar verfügbar sind. Genau solche „zeittypischen“ Journal-Artikel weist die Bibliographie nämlich kaum auf – sei es aufgrund der Mindestlänge von 10 Seiten oder der thematischen Orientierung vieler solcher Aufsätze in Richtung Naturwissenschaft/Ökologie. Dies führt nach Ansicht des Rezensenten u. a. dazu, dass das Thema „Ökosystemleistungen“ ‑ eines der großen Trend-Themen der letzten zwei Jahrzehnte ‑ und die Rolle der Alm- und Alpwirtschaft in diesem Kontext, in der Bibliographie gar nicht vorkommt. Dabei sind Ökosystemleitungen per Definition nicht allein naturwissenschaftlich/ökologisch zu verstehen, sondern auch Aspekte wie Nahrungsmittelproduktion, Landschaftsästhetik, kulturelle oder spirituelle Werte, Erholungsmöglichkeiten etc. würden berücksichtigt.
Wie alle Bücher des Verfassers ist auch diese Bibliographie sehr sorgfältig und mit Blick für Details gestaltet, sehr professionell gelayoutet und ansprechend visualisiert. Besonders hervorzuheben ist der große Aufwand, das Werk in fünf Sprachen zu veröffentlichen und die zusammenfassende Einleitung, die eigentlich einer kleinen Monographie innerhalb der Bibliographie gleichkommt. Insbesondere unter diesem Aspekt der Mehrsprachigkeit bleibt zu hoffen, dass dieses beeindruckende Werk in allen Alpenregionen seine interessierte Leserschaft finden wird und wie vom Verfasser beabsichtigt, die Diskussionen über Alm- und Alpwirtschaft entsprechend befruchtet.

Marius Mayer
Hochschule für angewandte
Wissenschaften München
Fakultät für Tourismus
Schachenmeierstraße 15
D-80636 München
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Literatur
Brenner L, Job H (2022) Reviewing the participatory management of UNESCO Biosphere Reserves: What do we miss by ignoring local academic knowledge in Mexico? Ambio 51: 1726–1738. https://doi.org/10.1007/s13280-021-01672-1
Hardin G (1968) The tragedy of the commons. Science 162: 1243–1248. https://doi.org/10.1126/science.162.3859.1243
Hartke W, Ruppert K (Hrsg.) (1964) Almgeographie. Kolloquium Rottach-Egern 1962. Wiesbaden.
Kirchengast C (2008) Über Almen. Zwischen Agrikultur & Trashkultur. Innsbruck.
Mayer M, Job H, Ruppert K (2010) Raumfunktionale Zusammenhänge zwischen Almwirtschaft und Tourismus in den Nördlichen Kalkalpen. Fallbeispiele Isarwinkel (Bayern) und Rissbach-/Bächental (Tirol). Berichte zur deutschen Landeskunde 84: 59–88.
Ostrom E (1990): Governing the commons – the evolution of institutions for collective action. Cambridge.
Penz H (1978): Die Almwirtschaft in Österreich. Wirtschafts- und sozialgeographische Studien. Münchner Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeographie 15. Kallmünz/Regensburg.
Ringler A (2009): Almen und Alpen. Höhenkulturlandschaft der Alpen. Ökologie, Nutzung, Perspektiven. München.

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