Schmidt, Matthias (Hg.): Aktuelle Forschungen zu den Mensch-Umwelt-Verhältnissen in Kirgistan
Book review Erdkunde 70 (3) 2016, 294-295 by Anna-Barbara Heindl
Matthias Schmidt legt mit seinem Sammelwerk zu „Aktuellen Forschungen zu den Mensch-Umwelt-Verhältnissen in Kirgistan“ ein Buch vor, das Einblick in eines der relevantesten Themen für die kirgistanische Gesellschaft gibt. In Kirgistan lebt ein großer Teil der Bevölkerung im ländlichen Raum und ist direkt oder indirekt von der Nutzung natürlicher Ressourcen abhängig, was in weiten Teilen zu deren Verknappung und Degradation führt. Im Mensch-Umwelt-Verhältnis Kirgistans spielt konsequenterweise neben der technischen Nutzung von Umweltressourcen auch immer die Konkurrenz um die Verfügungsmacht über jene Ressourcen eine alltäglich wichtige Rolle.
Unter dem Stichwort der Politischen Ökologie hat Schmidt in diesem Band Beiträge versammelt, die sich der Erforschung ebenjenes Verhältnisses von Mensch und Umwelt widmen: Physisch- und humangeographische Forschungsinteressen werden hierin vereint. Dabei untersuchen die Studien in diesem Buch die gesellschaftlichen Implikationen physisch-geographischer Entwicklungen mal mehr und mal weniger intensiv. An der Stelle, an der eher die physisch-geographische Beschaffenheit der Räume durch Landnutzung im Mittelpunkt der Untersuchung steht (s. Beitrag von Borchardt und Schickhoff), besprechen andere Beiträge komplementär die dabei aufkommenden Fragen zu gesellschaftlichen Zusammenhängen (s. Beitrag von Dörre, Böckel und Becker, Schmidt). Es ist somit eine anzuerkennende Leistung des Herausgebers, durch die Auswahl der Studien in diesem Band sowohl das grundlegende analytisch-deskriptive Bild physisch-geographischer Parameter und Entwicklungen vorzulegen, als auch den Leserinnen und Lesern deren komplexes Zusammenwirken in Mensch-Umwelt-Verhältnissen zu implizieren.
Die einzelnen Studien wenden dabei unterschiedliche Perspektiven auf ihre Forschungsgegenstände an. In der Einführung in die Beitragssammlung skizziert Schmidt die Landnutzungs-Strukturen und deren plötzliche und tiefgreifende Änderung durch die Herrschaft der Sowjets und deren Rückzug nach dem Zerfall der UdSSR. Die wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Veränderungsprozesse werden dabei in allen Beiträgen im Lichte der historischen Entwicklungen betrachtet. Dies mag zur Folge haben, dass in einigen Fällen eine akteurszentrierte, konstruktivistische Perspektive insofern zu kurz kommt, als dass die sie die gegenwartsbezogenen und zukunftsgerichteten Imaginationen als Bedingungen des Handelns nicht ausschöpfend in ihr Forschungsdesign integriert. Dies zeigt sich einerseits im Beitrag von Böckel und Becker, denen eine wirtschaftsgeographisch angeleitete Bestandsaufnahme der Lebensunterhaltsstrategien und deren physisch-geographischen Folgen für das Weideland gelingt. Sie können mittels dieser Analyse vor allem technisch-strukturelle Lösungen für die identifizierten Probleme anbieten. Inwiefern eine Umsetzung der propagierten Lösungen unter Einbezug der wirtschaftlichen und vor allem sozialen Problemlagen gelingen kann, müssen die Autorinnen und Autoren dabei allerdings offen lassen – genauso wie auf der anderen Seite Ebermann et al. über soziale Kontexte, die ihre Handlungsempfehlungen mitunter beeinflussen, nur mutmaßen können (S. 88). Nichtsdestotrotz zeichnen sich diese und weitere Beiträge in diesem Band durch ihren Pioniercharakter aus, wertvolle Daten zu Haushalten, Landnutzungs- und Versorgungsstrategien zu generieren, was auf Grund der unpräzisen und intransparenten Erhebungen seitens der Statistikbehörden (s. u.a. Dörre in diesem Band, S. 38) als grundlegend für weiterführende Forschungsprojekte zu würdigen ist.
Féaux de la Croix und Steenberg hingegen konzentrieren sich ganz auf die sozialgeographische Perspektive, indem zum einen das Verhältnis der lokalen Bevölkerung zur sehr einschneidenden, technisierten Nutzung der Natur in Form des Toktogul-Staudammes untersucht wird; zum anderen werden Aspekte sozialer Gruppenkonstitution durch Tausch-Praktiken in Kyzyl Üngkür analysiert. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Arbeiten rückt der physisch-geographische Effekt der Naturnutzung hier etwas in den Hinter- und soziale Konstruktionsleistungen und Praktiken in den Vordergrund – weshalb auch in diesen Beträgen im Gegensatz zu den zuvor diskutierten Studien keine direkten Handlungsempfehlungen für Ressourcennutzungsprobleme angeboten werden können.
Während die ersteren Beiträge also, von technischem Wissen geleitet, konkrete Maßnahmen vorschlagen, können die Ergebnisse der beiden konstruktivistischen Studien gut genutzt werden, um die Machbarkeit der Maßnahmen in sozio-kultureller Hinsicht zu überprüfen. Darin zeigt sich einmal mehr, dass hier eine gute, weil breit gefasste Auswahl der Beiträge erfolgt ist: Der Leser und die Leserin können sich damit aus verschiedenen Perspektiven, die alle ihre Vor- und Nachteile haben, ein umfassendes Bild von Mensch-Umwelt-Verhältnissen in Kirgistan machen.
Diesem vielseitig Einblick gebenden Charakter bleibt das Buch auch weiterhin treu, indem es nebst Studien auch über den Ausbau des Forschungsfeldes sowie die Entwicklung und Umsetzung der vorgeschlagenen Lösungsansätze berichtet. Die Beiträge von Rost und Asykulov runden die Beitragssammlung mit ihren Berichten zu Capacity Building im Bereich der nachhaltigen Naturnutzung ab, an dem die Forscherinnen und Forscher der hier vorgestellten Arbeiten ebenfalls beteiligt sind.
Mit der Zusammenführung vielfältiger Perspektiven in diesem Buch gelingt es Schmidt entscheidend, eine umfassende Einführung in das Forschungsfeld des Mensch-Umwelt-Verhältnisses in Kirgistan vorzulegen. Die vorgestellten Studien bieten denjenigen, die sich in das Forschungsfeld neu einarbeiten wollen, eine sehr gute Skizze aktueller Themen und relevanter Forschungsfragen. Auf der anderen Seite ist die Zusammenstellung von empirischen Studien vor allem für jene interessant, die sich in Kirgistan an der Erforschung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses beteiligen, da ihnen in diesem Buch zum einen Ergebnisse bisheriger Forschung vorgestellt werden, die als Referenz für eigene Projekte nützlich sind. Zum anderen wird eine Beschreibung geliefert, welche Themen bereits aufgegriffen und welche Methoden schon Anwendung gefunden haben, und letztlich damit aufzeigt, welche Forschungslücken bestehen, die in Kirgistan noch bearbeitet werden müssen.
Das Buch sollte somit allen empfohlen werden, die sich in Kirgistan sowohl mit sozialen als auch umweltlichen Themen beschäftigen, oder beschäftigen möchten, da – wie dieses Buch zeigt – eine getrennte Betrachtung dieser beiden Bereiche für einen Großteil der Bevölkerung Kirgistans kaum möglich ist.