Opp, Christian und Chifflard, Peter (Hg.): Wasserforschung – Grundlagen und Anwendungen.
Book review Erdkunde 70 (3) 2016, 289-291 by Harald Zepp
Der Sammelband umfasst 12 deutschsprachige Beiträge, die aus Workshops und Tagungen am Fachbereich Geographie der Universität Marburg hervorgegangen sind. Einige dieser Veranstaltungen basierten auf Kooperationen mit öffentlichen Dienststellen, allen voran mit der Abteilung Umwelt des Regierungspräsidiums Gießen. Die Beiträge enthalten grundlagen- und anwendungsorientierte Forschungen mit weltweiten Beispielen. Man mag sich fragen, ob derartige Sammelbände angesichts der fortgeschrittenen Internationalisierung der Wissenschaftslandschaft noch ihre Berechtigung besitzen. Die bejahende Antwort fällt eindeutig aus, denn alle Erfahrungen zeigen, dass der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Öffentlichkeit und in Richtung der Experten in der Wasserwirtschaftsverwaltung, aber auch in Planungs- und Beratungsbüros über Publikationen in deutscher Sprache sehr viel leichter fällt als über die englischsprachigen Zeitschriften. Diese sind für Menschen außerhalb der scientific community zwar theoretisch zugänglich, aber oft unbezahlbar, und immer noch bestehen Hürden, sich auf englische Fachtexte einzulassen. Gegenüber etablierten Lehrbüchern besitzen Sammelbände die Vorteile, aktueller zu sein und dass dort Fallbeispiele ausführlicher dargestellt sind. Dass auch bei der vorliegenden Publikation der Austausch mit der Praxis nicht einseitig stattfindet, belegen die Beiträge aus der Wasserwirtschaft, durch die die Leser aus dem wissenschaftlichen Umfeld an Praxisprobleme herangeführt werden.
Vier Aufsätze befassen sich mit dem Abflussgeschehen und hydrochemischen Implikationen in Hessen: Cornelia Löns-Hanna, Matthias Kremer und Dirk Bastian integrieren Prozessverständnis in ihre kritische Auseinandersetzung mit der Hochwasservorhersage in Hessen. Verbesserungsbedürftig sind die Berücksichtigung der raumzeitlich sehr variablen Wasserspeicherung und der Schmelzprozesse in Schneedecken. Peter Chifflard, Martin Reiss, Henning Meesenburg und Birte Schieler berichten von abweichendem Abflussverhalten kleiner Fließgewässer im forsthydrologischen Forschungsgebiet Krofdorf, das entgegen allen durch den Klimawandel verursachten Trends der jahreszeitlichen Niederschlagsverteilung zu beobachten ist. Als Ursachen werden Besonderheiten in Niederschlagsmustern und spezifische Eigenschaften der Teileinzugsgebiete vermutet. Der praxisorientierte Beitrag von Martin Reiss, Natascha Zipprich, Stefan Zaenker und Gunther von Lorentz stellt eine neu entwickelte gewässerökologische Erfassungs- und Bewertungsmethode für Verrohrungen in kleinen Mittelgebirgsbächen vor; dort erweisen sich Verrohrungen häufig als Wanderungsbarrieren für die Gewässerfauna. Der bis ins 20. Jahrhundert betriebene Erzbergbau im Einzugsgebiet der Lahn hat Schwermetalle in die Hydro- und Pedosphäre freigesetzt, die heute noch in Auensedimenten angereichert sind. Die komplexen Wechselwirkungen gelöster Schwermetallkonzentrationen in Uferbereichen und im Gerinne der Lahn beleuchten Jens Hahn, Christian Opp, Nina Zitzer und Gabriele Laufenberg auf der Grundlage zweijähriger Feldmessungen unter besonderer Berücksichtigung von Hoch- und Niedrigwassersituationen.
Lisa Böhm, Peter Fischer und Bernd Cyffka berichten von den erfolgreichen ökologischen Flutungen der Donauaue zwischen Neuburg und Ingolstadt. Weil als Folge der Donaubegradigung das Grundwasser- und Überflutungsregime der flussnahen Standorte seine natürlich Dynamik verloren hatte, war die Artenzusammensetzung der schützenswerten Auwäldern bedroht. Die Autoren interpretieren umfangreiche Grundwassermessreihen und erläutern die Hydrodynamik des Wasseraustauschs zwischen der ungesättigten Zone und dem Grundwasser. In anderer Aufbereitung können interessierte Leser in Fischer und Cyffka (2014) ihr Studium vertiefen. Eine ganz andere Zielsetzung haben die Untersuchungen von Sven und Martin Thalheimer: Auf der Grundlage tensiometrischer Messungen und hydraulischer Berechnungen zeigen sie an zwei exemplarisch für die Etschtalaue in Südtirol ausgewählten Standorten, unter welchen Bedingungen (Grundwasserstand und Bodenartenschichtung) die Erwerbsobstkulturen von hohen Grundwasserständen profitieren. Die Ergebnisse sind so interessant, dass Grashey-Jansen (2014) sie in aufwändiger und englischsprachiger Präsentation auch einem internationalen Leserkreis zugänglich gemacht hat.
Markus Heckmeier, Thomas Büche und Mark Vetter berichten über die Modellierung des Wärme- und Stoffhaushaltes mit den kombinierten Simulationsmodellen GLM und FABM; den Verwertungszusammenhang derartiger Simulationswerkzeuge bietet der Wunsch, die Auswirkungen der klimawandelbedingt steigenden Wassertemperaturen auf die komplexe Zirkulations- und Nährstoffdynamik abschätzen zu können. Auch diese Thematik kann der interessierte Leser in einer englischsprachigen Veröffentlichung (Büche und Vetter 2014) vertiefen.
Tim Lotz, Christian Opp und Zhandong Sun gehen mithilfe von SWAT-Modellen der Frage der Einflussstärke von Landbedeckung, Hangneigung und Bodentextur auf den Abfluss im Einzugsgebiet des Dongting-Sees nach. Optimierungen der Landnutzung sind besonders relevant, wenn man bedenkt, dass die Seefläche unter anderem durch systematische Landgewinnungsmaßnahmen im Laufe der letzten 200 Jahre erheblich an Größe verloren hat (vgl. Zepp et al. 2006).
Michael Groll, Christian Opp, Galina Stulina, Ernst-August Nuppenau, Rashid Kulmatov, Inom Normatov, Andreas Dittmann und Nurmakhmad Shermatov erörtern die Herausforderungen für ein nachhaltiges Wasser-Ressourcen-Management am Beispiel des grenzüberschreitenden Zarafshan-Flusses in Tadschikistan und Usbekistan. Auf empirische Daten gestützt legen sie die Problematik dar, die aus der Überlagerung steigenden Wasserbedarfs und rückläufigen Schmelzwasserabflusses von den Gletschern der umliegenden Gebirge resultiert. Nicht nur die Wasserverfügbarkeit in ausreichender Menge ist kritisch, vielmehr wird sie durch die unzureichende Wasseraufbereitung der Abwässer aus Siedlungen, Industrieanlagen und durch Bergbauaktivitäten verschärft.
Die weitere Brücke zu humangeographischen Aspekten schlagen die Aufsätze von Tobias Reeh, Matthias Deutsch und Karl-Heinz Pörtge sowie Bernhard Batsch-Herzog. Erstere berichten über den verkehrsgeschichtlichen Wandel vom Gütertransport (Flößerei und Güterschifffahrt) bis hin zum Wasserwandern auf Saale und Unstrut und damit über die mehrfach wechselnde gesellschaftliche Umbewertung der Gewässer. Aus didaktischer Perspektive macht der abschließende Beitrag von Bernard Bartsch-Herzog Vorschläge, wie die Natur-Wahrnehmung durch Kinder auf spielerische und forscherisch-erkundende Weise gesteigert werden kann; Fließgewässer dienen hier als Ort der Umweltsensibilisierung.
Schließlich sei der einführende Aufsatz von Daniel Karthe hervorgehoben. Er gibt einen aktuellen Überblick zur Bedeutung des Klimawandels und klimatischer Extremereignisse für die Siedlungswasserwirtschaft und Trinkwasserhygiene in Deutschland und Mitteleuropa.
Einem breiten Publikum, unter anderem der mitgliederstärksten Geographischen Gesellschaften Deutschlands, erschließt der mit hervorragenden Abbildungen ausgestattete Sammelband interessantes und vielfältiges Material das in Teilen bereits in einem durch Chifflard und Karthe (2014) editierten Heft der ERDKUNDE für die internationale Wissenschaftsöffentlichkeit aufbereitet worden wurde.
Literatur
Bueche, T. and Vetter, M. (2014): Influence of groundwater inflow on water temperature simulations of Lake Ammersee using a one-dimensional hydrodynamic lake model. In: Erdkunde 68, 19–31. DOI: 10.3112/erdkunde.2014.01.03
Chifflard, P. and Karthe, D. (2014): Water in research and practice. Guest editorial. In: Erdkunde 68, 1–2. DOI: 10.3112/erdkunde.2014.01.01
Fischer, P. and Cyffka, B. (2014): Floodplain restoration on the Upper Danube by re-establishing back water dynamics: first results of the hydrological monitoring. In: Erdkunde 68, 3–18. DOI: 10.3112/erdkunde.2014.01.02
Grashey-Jansen, S. (2014): Optimizing irrigation efficiency through the consideration of soil hydrological properties – examples and simulation approaches. In: Erdkunde 68, 33–48. DOI: 10.3112/erdkunde.2014.01.04
Zepp, H.; Heidt, V.; Thomas, A.; Buck, W. and Meon, G. (2006): Report on the Sino-German symposium on wetland regionalization of ecosystem services in the Yangtze River Basin Changsha, Hunan Province, PR China, April 10-15, 2005. In: Erdkunde 60, 173–180. DOI: 10.3112/erdkunde.2006.02.08