Lange, Norbert De; Geiger, Martin; Hanewinkel, Vera und Pott, Andreas: Bevölkerungsgeographie
Book review Erdkunde 70(4) 2016, 371-372 by Hans Dieter Laux
Nach Auffassung des Rezensenten ist die aktuelle Situation der Bevölkerungsgeographie im deutschsprachigen Raum durch ein auffallendes Ungleichgewicht geprägt: Sieht man vom Aspekt der Migrationsforschung einmal ab, so spielen bevölkerungsgeographisch ausgerichtete und sich am Methodenkanon der Demographie orientierende Arbeiten in der aktuellen Forschungslandschaft nur mehr eine marginale Rolle. Damit einher geht ein unübersehbarer Rückbau in der institutionellen Verankerung der Bevölkerungsgeographie im Lehrbetrieb der Hochschulen. Im Gegensatz hierzu sind jedoch in den vergangenen 10–15 Jahren nicht wenige Lehrbücher und einführende Darstellungen zum Themenfeld erstmals oder in neuer Auflage erschienen (u.a. Bähr, Gans, Kuls/Kemper, Laux, Wehrhahn/Sander Le Gall), deren Publikation angesichts der offensichtlich geschwundenen Bedeutung der Bevölkerungsgeographie in Forschung und Lehre zweifellos mit verlegerischen Risiken verbunden war und ist. In die Folge dieser Einführungen reiht sich auch das hier zu besprechende Lehrbuch ein. Es ist Teil der Reihe „Grundriss Allgemeine Geographie“ und eine grundlegende Neubearbeitung eines bereits 1991 erschienenen Bandes. Bei der Durchsicht und Bewertung des Lehrbuches stellt sich daher sehr schnell die entscheidende Frage: Was unterscheidet diese Darstellung von den vorliegenden Einführungen, welchen „Mehrwert“ bietet diese neue Publikation zum Themenfeld der Bevölkerungsgeographie?
Das Buch ist nach der Intention der Autorin/en ganz bewusst als „Einführung“ konzipiert, mit dem „Ziel, die zentralen Teilgebiete der Bevölkerungsegographie vorzustellen und in wichtige Untersuchungsgegenstände einzuführen“ (S. 9). Dieses Ziel soll durch eine Konzentration auf grundlegende Begriffe und Konzepte, auf demographische Kennziffern und elementare Analysemethoden erreicht werden. Dabei wird zur Verdeutlichung des spezifisch geographischen Zugangs stets ein besonderes Augenmerk auf die räumliche Ausprägung und Differenzierung von Bevölkerungsstrukturen und Bevölkerungsprozessen gelegt, wobei der Gegensatz zwischen einer globalen und lokalen, d.h. auf Deutschland bezogenen Perspektive im Vordergrund steht. Die Ausführungen werden verdeutlicht und ergänzt durch eine ausgesprochen reichhaltige Ausstattung mit informativen Tabellen und aussagekräftigen Abbildungen in Form von Diagrammen und Karten. Entsprechend wird auch den Fragen der Datengrundlagen für bevölkerungsgeographische Analysen immer wieder Raum gegeben. Die aus alledem resultierende Materialfülle und Anschaulichkeit stellt ohne Zweifel ein hervorstechendes und für eine Einführung positiv zu bewertendes Merkmal des Lehrbuches dar. Gegenüber diesem stark deskriptiven Charakter treten allerdings – mit Ausnahme des Kapitels zu den räumlichen Bevölkerungsbewegungen bzw. Wanderungen – die theorie-orientierten Ausführungen spürbar zurück.
Inhaltlich ist das Lehrbuch in sieben Kapitel gegliedert. Nach zwei kürzeren Abschnitten zur spezifischen Fragestellung der Bevölkerungsgeographie und den Datengrundlagen folgen in den Kapiteln 3–6 in der klassischen Abfolge Ausführungen zur „Bevölkerungsverteilung und -dichte“, zur „Bevölkerungszusammensetzung“, zu den „natürlichen Bevölkerungsbewegungen“ und zu den „räumlichen Bevölkerungsbewegungen“. Neben diesen stärker analytischen und notwendigerweise stark auf Einzelbefunde konzentrierten Kapiteln widmet sich der abschließende Teil „Demographische Transformationsprozesse“ in einem synthetischen, Einzelaspekte integrierenden Ansatz dem Konzept des „demographischen Übergangs“ sowie dem aktuellen „demographischen Wandel“ in Deutschland. Dass es dabei zu Wiederholungen gegenüber den vorangegangenen Kapiteln kommt, ist unvermeidlich.
Gewicht und Balance der verschiedenen Kapitel sind durchweg nachvollziehbar. Allerdings wird nach Auffassung des Rezensenten den am stärksten durch theoretische Überlegungen geprägten Ausführungen zu den „räumlichen Bevölkerungsbewegungen“ zu wenig Platz eingeräumt, während demgegenüber das Kapitel zur „Bevölkerungszusammensetzung“ etwas breit geraten erscheint. Neben diesen inhaltlichen Ungleichgewichten sind auch sprachlich-stilistische Unterschiede zwischen den Kapiteln nicht zu übersehen, ein Sachverhalt, der bei einem Mehrautoren/innen-Werk wohl kaum vermeidbar erscheint. Darüber hinaus lassen sich stilistische Unebenheiten und Ungeschicklichkeiten bis hin zu inhaltlichen Ungenauigkeiten bei manchen verbalen Beschreibungen von demographischen Maßzahlen und Sachverhalten beobachten.
Auf einige Desiderata und Fehler sei im Folgenden hingewiesen, ohne dabei Vollständigkeit zu beanspruchen: Gerade weil auf S. 53/54 auf die negative Konnotation des Begriffs „Überalterung“ verwiesen wird, sollte dieser Terminus generell vermieden bzw. zumindest in Anführungszeichen gesetzt werden. Nicht erläutert wird der Begriff „Siedlungsdichte“ auf S. 43; gleiches gilt für den Terminus „Kohorte“ (S. 51). Davon ausgehend wäre es bei der Erläuterung des Konzepts der Sterbetafeln und der Lebenserwartung (S. 105f.) wünschenswert gewesen, zwischen den alternativen methodischen Ansätzen der „Kohorten- und Periodenanalyse“ zu unterscheiden. Der Begriff der „Kernfamilie“ (S. 65) ist zumindest unvollständig erläutert. Die Behauptung auf S. 135, dass in den Statistiken der USA nicht zwischen Staatsbürgern und Ausländern unterschieden wird, ist nicht zutreffend. Die Überschrift zu Kap. 7.4.1 (S. 174) ist fehlerhaft, ebenso wie die Darstellung von Japan in der Abb. 7.03 (S. 164). Solche und andere Ungenauigkeiten, die bei einem sorgfältigeren Lektorat hätten vermieden werden können, führen gerade bei „Anfängern“, für die das Lehrbuch ja in erster Linie gedacht ist, zu möglichen Verwirrungen.
Diese Kritikpunkte dürfen nicht verschwiegen werden, sie sollen aber den Wert und die Vorzüge des vorliegenden Buches nicht nachhaltig in Frage stellen. Wie bereits angedeutet, liegen diese Vorzüge und Stärken 1. in der Fokussierung auf grundlegende demographische und bevölkerungsgeographische Begriffe sowie quantitative Methoden der Analyse, d.h. mit anderen Worten auf das „Handwerkszeug“ des Bevölkerungsegographen, 2. in der damit verbundenen Fülle an informativen Tabellen und anschaulichen Abbildungen sowie 3. in der Konzentration auf Deutschland als regionales Beispiel. Damit kann das Lehrbuch – trotz einzelner Schwächen – zum Gebrauch bei universitären Einführungsveranstaltungen in die Bevölkerungsgeographie, aber auch in den geographischen Leistungskursen von Gymnasien oder Gesamtschulen empfohlen werden.