Kößler, Reinhart: Namibia and Germany. Negotiating the Past
Book review Erdkunde 70 (2) 2016, 193-194 by Andreas Dittmann
Auch über hundert Jahre nachdem das damalige so genannte „Deutsch Südwestafrika“ unter südafrikanische Verwaltung kam, sind die Beziehungen zwischen dem aus der deutschen Kolonie hervorgegangenen, heutigen Namibia und Deutschland von besonderer Art. Dies gilt für die historischen Verbindungen, die wirtschaftlichen Verflechtungen und die kulturellen Berührungspunkte ebenso wie für die – wahrscheinlich auch daraus erwachsenen – Schwerpunktsetzungen als touristische Fernreisedestinationen sowie als Kooperationspartner in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia und ihre heutige Dynamik kann man nicht anders als vor dem Hintergrund ihrer wechselnden historischen Kontexte verstehen. Dieses Unterfangen gelingt dem Autor auf hervorragende Weise, aufbauend auf einem reichhaltigen Erfahrungsschatz. Reinhard Kößler, dessen Name dem Leser auf dem Cover des neuen Buches und in dessen Literaturverzeichnis in zwei unterschiedlichen Schreibweisen entgegentritt, hat sich als Politikwissenschaftler so intensiv wie kaum ein anderer mit Themen der Entwicklungsforschung, der Erinnerungspolitiken und sozialer Gerechtigkeit im Südlichen Afrika auseinandergesetzt. Er hat dazu eindrucksvoll reichhaltig, zunächst noch meist in deutscher Sprache, später zunehmend in Englisch publiziert. Davon legt das sich über drei Seiten des nun anzuzeigenden Werkes erstreckende Verzeichnis von themenbezogenen Publikationen des Autors beredet Zeugnis ab. Bei politisch-historischen Themen ist das nicht immer ganz einfach, wie man auch hier am etwas holprig klingenden ethnically conscious für volksbewusst (S. 114) oder dem im Literaturverzeichnis penetrant vertretenen Frankfort-on-Maine merkt. Dass nun aber ein Negotiating the Past in Englisch erscheint, ist weit mehr als eine reine Übersetzung früherer Werke (Kößler 2008), sondern vor allem ein Zur-Verfügung-stellen von Diskussionsthemen und Diskursanalysen für eine breitere internationale und insbesondere namibische Öffentlichkeit. Dieser wird damit die Gelegenheit gegeben, jenseits aller Sprachbarrieren zu erfahren, welches Gewicht und welchen Raum die immer noch kontroverse Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Vergangenheit in Deutschland einnimmt. Neben der Überraschung über die Präsenz der Vergangenheit in deutschen Wissenschaftsdiskursen – insbesondere der Soziologie und der Politologie – beeindruckt namibische Leser des jüngsten Werkes von Reinhard Kößler vor allem die Tatsache, dass es anderswo offenbar Diskussions- und Bewertungsalternativen deutscher Provenienz zu den in Namibia oft vorgeschlagenen Einordnungen mancher, politisch eher gestriger Deutsch-Namibier gibt.
Insgesamt wirkt die differenzierte und kritische Herangehensweise an ein überraschenderweise immer noch stark emotionsgeladenes Thema wohltuend. Sie steht damit ganz im Gegensatz zu anderen Erklärungsversuchen und ist nicht pauschalisierend (Schmidt-Lauber 1998) aber auch nicht unnötig politisch-korrekt und verharmlosend (Schüler 2009). So wird beispielsweise zwar richtig auf die Persistenz national(sozial)istischen Gedankengutes unter einigen deutschsprachigen Namibiern hingewiesen, diese aber nicht verallgemeinernd als ein ethnisches Alleinstellungsmerkmal dargestellt. Auch bei anderen Aspekten arbeitet die Studie ergänzend und wissenschaftlich vervollständigend, wenn etwa der Besuch der früheren Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul in Namibia und ihre Thematisierung des deutschen Genozids an den Herero besprochen aber auch nicht vergessen wird, anzuführen, dass man danach in Namibia eine Entschuldigung der deutschen Ministerin immer noch vermisste (S. 254). Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt (Dittmann 2015), sind solch gründlich recherchierte Arbeiten über Namibias jüngere Geschichte und Komplexe heutiger Vergangenheitsbewältigung leider immer noch nicht allgemeiner Standard. Bedauerlich bleibt allerdings auch, dass Literatur offenbar über die Grenzen eigener politischer Bewertung hinweg, also trans-politisch, eher wahrgenommen wird als transdisziplinär; denn geographische Literatur über Namibia, die ja reichhaltig existiert, wird im anzuzeigenden Werk offenbar kaum wahrgenommen bzw. zitiert. Umgekehrt gilt das disziplin-blinde zitieren leider auch für manche geographische Abhandlung über Namibia. Über die Gründe dafür mag die geographische Community spekulieren.
Literatur
Dittmann, A (Hg.) (2008): Oruramba Omatako. Dornige Pfade in Südwest-Afrika. Bonn u.a.
– (2015): Rezension von: B. Schmidt-Lauber (1999): Die verkehrte Hautfarbe. Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis. In: Erdkunde 69 (4), 372–373.
Kößler, R. (2008): Entangled history and politics. Negotiating the past between Namibia and Germany. In: Jounal of Contemporary African Studies 263, 217–230.
– (2011): Zweierlei Amnesie und die komplexe postkoloniale Lage Namibias. In: Die Friedenwarte 86, 73–99.
Schmidt-Lauber, B. (1998): Die verkehrte Hautfarbe. Ethnizität deutscher Namibier als Alltagspraxis. Berlin.
Schüler, U. J. (2009): Landreform in Namibia. Die Landumverteilung seit Erlangung der Unabhängigkeit. Berlin.