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Behnke, Roy and Mortimore, Michael (eds.): The end of desertification? Disputing environmental change in the drylands

Book review Erdkunde 70(4) 2016, 373-375 by Helmut Geist

Behnke, Roy and Mortimore, Michael (eds.): The end of desertification? Disputing environmental change in the drylands. VIII and 560 pp., numerous figs. and tables. Springer-Verlag, Heidelberg, New York, Dordrecht, London 2016. $ 229,-.

Als sich im Juni 2001 renommierte Trockengebietsgelehrte in Berlin-Dahlem trafen, um Probleme degradierter Trockenräume im globalen Süden zu disputieren, so tat man dies im Glauben an die empirische Existenz eines als D (Desertifikation) bezeichneten Phänomens. Aus der Perspektive komplexer, systemischer Mensch-Umwelt-Beziehungen wurde DDP 1.0 formatiert, das Dahlem Desertification Paradigm, und fünf Jahre später an höchst prominenter Stelle als DDP 2.0 oder Drylands Development Paradigm veröffentlicht (Reynolds und Stafford Smith 2002, Reynolds et al. 2007). Zum wiederholten Male versammelte sich im Mai 2013 eine Dahlemer Kerngruppe um den amerikanisch-britischen Anthropologen Roy Behnke und den britischen Geographen Michael Mortimore, die beide Herausgeber des hier besprochenen Sammelbandes sind. Nach mehrjähriger Kollaboration erscheint erst jetzt die Anthologie, gegliedert in vier Teile mit insgesamt 20 Einzelkapiteln (Index und Apparateverzeichnisse fehlen leider) und mit dem ehrenrührigen aber preislich ($ 229) hoch dotierten Versuch einer Neujustierung von Erkenntnissen und Einsichten über drei Jahrzehnte, in denen Desertifikation nicht stattgefunden hat. Mit Abstand von nur einem halben Jahrzehnt zu DDP 2.0 hat sich in der Zwischenzeit die Überzeugung durchgesetzt, dass eine vermutete krisenhafte Ausprägung von D wohl eher ein Fall fehlgeleiteter akademischer Theoriebildung in Verbindung mit wahnhafter politischer Praxis war, empirisch gesehen aber ein „non-event“ (S. 7), das heisst „something that never occured but was widely believed to have existed“ (S. 2).
Im ersten Teil (Lessons from the Sahel) detaillieren die Herausgeber – und Mortimore nochmals in einem eigenen Kapitel – unter expliziter Bezugnahme auf westafrikanische Trockengebiete den orthodoxen Ansatz (mainstream desertification orthodoxy), um an seinen Unzulänglichkeiten den eigentlichen Nutzen der DDPs zu erläutern. Die gesegnete Unruhe schließlich – „the most significant thing about desertification in the Sahel is that it never happened“ (S. 3) – wird als Einsicht skizziert, dass trotz Dürreperioden und makroökonomischen Unsicherheiten die sudano-sahelischen Bodennutzungsysteme nicht kollabierten, sondern bei etwa gleichbleibendem Produktionsniveau heute doppelt so hohe Bevölkerungszahlen unterhalten. Auch zahlreiche Fernerkundungsbelege von Greening statt Browning werden der Tendenz nach als Gegenbelege eines krisenhaften Zusammenbruchs angeblich überlasteter Ökosysteme interpretiert. Camilla Toulmin und Karen Brock machen deutlich, wie die globale, vom politischen Prozess institutionalisierte UNCCD-Krisenrhetorik vor Ort schon immer auf eine meist gegensätzliche, lebensweltliche Erfahrung der Menschen geprallt ist, und wie sehr die atemberaubende Indifferenz politischer Bürokraten, was partizipatorische Ansätze angeht, bis heute valide ist. An zwei Fallstudien illustriert Tor Benjaminsen, dass auch der Appetit auf vage Generalisierung – statt polit-ökologischer Detailanalyse – aktuell unter dem Stichwort ‚Trockenräume als Risikoräume‘ weiterexistiert, d.h. als Gemengelage von angeblicher ökologischer Krise, Staatsversagen, Sicherheitsbedenken und dem Beschwören umweltbedingter Massenmigration; zumindest in Mali ließen sich hierzu aber keine empirischen Belege finden. Mortimore schlägt vor, bewährte DDP-Diagnostik in ein sozial-ökologisches Adaptive Resilience Paradigm umzuformatieren: „local resource users adapt to a variable environment that they cannot control, and their responses provide temporary solutions to a shifting set of problems and opportunities“ (S. 7). Die folgenden Kapitel von Pierre Hiernaux und Kolleg/inn/en, Stefanie Herrmann und Tene Kwetche Sop sowie insbesondere Yamba Boubacar in einer Fallstudie aus Niger veranschaulichen DDP 3.0. Alle dort getroffenen (sahelischen) Belege zeigen, dass vor Ort nicht die großen, herbeigeredeten Krisen-Narrative von Umwelt und Entwicklung hilfreich waren (oder sind), sondern die tatsächlichen Herausforderungen für Brookfieldsche land manager darin liegen, sozialen Wandel zu gestalten in Relation zu sich stets (und teils drastisch) ändernden Umwelt-, Politik und Wirtschaftsbedingungen.
Der zweite Teil der Anthologie (Global Issues) nimmt sich die ernüchternde Einsicht – „It took science more than three decades of work on the Sahel to transform a perceived desertification crisis into a non-event“ (S. 7) – zum Anlass, um Fragen aufzuwerfen, was die Relevanz eines bisher stark syndrombehafteten, d.h. sahelisch geprägten D-Konzepts für andere Trockenräume ist bzw. künftig überhaupt noch sein kann. Das Urteil der Editoren, nimmt man die Kapitel von Diana Davis und Stephen Prince zusammen, lautet: „(W)e still do not know – and may never know – exactly what we mean by desertification“ (S. 9). Alessandra Giannini liefert in diesem Kontext den zentralen Beitrag, indem sie den in den Universitätshörsälen der Welt inständig gepredigten Irrglauben an die unbedingte Wirksamkeit von Albedoeffekten á la Charney zerlegt. Es lägen heute deutliche empirische Verweise darauf vor, dass die Fernwirkungen schwankender Meeresoberflächentemperaturen und GHG-Emissionen einen stärkeren Ursache-Wirkungszusammenhang etablieren als das veränderte Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche (bei zugegebenermaßen dämpfenden bzw. selbstverstärkenden Feedbacks durch lokale/regionale Bodennutzung). Die geophysikalische Komponente dieser Erklärung war zudem oft genug vermengt mit der Behauptung anthropogener, sprich: ignoranter (unangemessener) Landnutzung und einem schwer verdaulichen Neomalthusianismus, der die Opfer stets leicht zu Tätern umzustempeln in der Lage war. Genau solche grob vereinfachenden, aber wirkungsmächtigen Narrative (storylines) – dieser oder ähnlicher Art – sind es aber, die nach Lynn Huntsinger eine wichtige, sozial-konstruktivistische Betrachtungsperspektive eröffnen. Sie verdeutlicht dies an einer historischen Darstellung zum theoretischen Verständnis von Weidelanddegradierung im US-amerikanischen Westen. Der springende Punkt hierbei ist, dass diese starken Narrative – egal ob empirisch korrekt oder nicht – in der Wechselwirkung von Wissenschaft und Public Policy nahezu zwangsläufig auftreten und daher analytisch-diagnostisch zu berücksichtigen – d.h. zu zerlegen oder ggf. zu erzeugen – sind. Da Roy Behnke in dieser Anthologie für kein eigenes Kapitel verantwortlich zeichnet, sei an dieser Stelle an seinen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion empirisch nicht haltbarer Narrative in Afrika erinnert (Behnke et al. 1993).
Im dritten Teil (Regional and Country Case Studies) dominieren Fallstudien über Nomadismus, stationäre Viehwirtschaft und dazwischen liegenden Formen der viehwirtschaftlichen Landnutzung. Die gewählten Fallbeispiele reichen von Patagonien (Gabriel Oliva und Kolleg/inn/en), Bolivien (David Preston) und Südeuropa (Mark Mulligan und Kolleg/inn/en) bis nach Äthiopien (Layne Coppock), Kenia (Mike Shanahan), Zentralasien (Sarah Robinson) und China (Hong Jiang sowie Wenjun Li und Kolleg/inn/en). Ihnen allen ist gemeinsam, dass ein unwissender und implizit immer als ‚Agent des Bösen‘ tätiger land manager (hier: Nomade) des alten, orthodoxen Narrativs nirgendwo zu finden ist – dafür aber recht materialistische Prozesse der Landnutzungsintensivierung und Kommerzialisierung, die mit teils unglaublicher Geschwindigkeit attraktive Betriebsgewinne und damit Wohlstandeffekte ermöglichen und zugleich (oder zeitversetzt) eine bedrohliche, ökosystemare Herausforderung schaffen. Die Fallstudien stimmen auch darin überein, dass Generalisierungen schwer zu treffen sind, wiewohl der aufmerksame Leser zugrundeliegende Perspektiven einer klassisch-malthusianischen Situation ebenso zu erkennen vermag (z.B. Äthiopien) wie das Wirken sozial-ökologischer Resilience (z.B. Bolivien). Die Begründung für die Abwesenheit einer Betrachtung stationärer Feldbausysteme leuchtet mir nicht ein (fast die Hälfte aller Kapitel, d.h. neun von zwanzig, sind viehwirtschaftliche Fallstudien), zumal Mortimore selbst – pikanterweise noch immer am überlieferten D-Begriff festhaltend – bemerkt: „The management of soil processes – whether sustainable or degrading – is central to desertification“ (S. 86).
Mark Stafford Smith, der wie Mortimore an allen paradigmatischen D-Formatierungen im post-Millennium beteiligt war, obliegt es im vierten und letzten Teil (Overview – Reflections on the Mirage) die Bilanz eines peinlichen Wissenschaftsereignisses zu ziehen (a rather uncomfortable story); er tut dies auch im Hinblick auf Australien, dem bisher kein eigenes Kapitel gewidmet war. Aus seiner Sicht ist rückblickend die alles überragende Bedeutung einer Doppelwirkung festzuhalten, die aus vereinfacht konstruierten, aber wirkungsmächtigen Narrativen in Verbindung mit institutionalisierter Macht besteht, d.h. ein von NGOs, staatlichen Entwicklungsagenturen, Gutachtern und Karrierewissenschaftlern durchaus gern geführter ‚Kampf gegen Desertifikation‘ im Sinne der real existierenden, zentralisierten UNCCD-Politikmanagementperspektive. Die gegebenen UN-Machtverhältnisse jetzt aber in Frage zu stellen sei ein sinnloses Unterfangen, da die ‚Bekämpfung‘ von D seit 2015 als UN Millennium Entwicklungsziel institutionell verankert ist. Dennoch sollte der D-Begriff geographisch nur mehr sehr begrenzt eingesetzt werden („reserved as a generalized regional concept“, S. 540), und als weltweit behauptetes Phänomen operational gänzlich aufgegeben werden – da „useless“ (ibd.). In einem Huntsingerschen Sinne Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit (adaptive resilience) als neues, starkes DDP 3.0-Narrativ zu konstruieren und auszurufen sei jedoch auch unangemessen: dem Konzept – wie es derzeit nicht nur von Mortimore, sondern zunehmend auch von internationalen Umweltinstitutionen präferiert wird – mangele es an einem „added sense of direction or purpose“ (S. 549). Wenig überraschend paraphrasiert Stafford Smith also abschließend nochmals Grundaussagen von DDP 2.0 und schlussfolgert, dass das D-Krisengerede definitiv ein Ende haben sollte, und – angesichts der von Giannini in diesem Band detaillierten anthropozänen Telewirkungen –eine komplexe, erdsystemische Sicht auf planetarischen Wandel sinnvollerweise richtungs- und zweckbestimmend sei.

Helmut Geist

 

Literatur

Behnke, R. H.; Scoones, I. and Kerven, C. (eds.) (1993): Range ecology at disequilibrium: New models of natural variability and pastoral adaptation in African savannas. London.

Reynolds, J. F. and Stafford Smith, D. M. (eds.) (2002): Global desertification: do humans cause deserts? Dahlem Workshop Report 88. Berlin.

Reynolds, J. F.; Stafford Smith, D. M.; Lambin, E. F.; Turner, B. L. II; Mortimore, M.; Batterbury, S. P. J.; Downing, T. E.; Dowlatabadi, H.; Fernández, R. J.; Herrick, J. E.; Huber-Sannwald, E.; Jiang, H.; Leemans, R.; Lynam, T.; Maestre, F. T.; Ayarza, M. and Walker, B. (2007): Global desertification: building a science for dryland degradation. In: Science 316, 847–851. https://doi.org/ 10.1126/science.1131634

 

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