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Book reviews 2010 [4]

Hartge, Karl Heinrich und Horn, Rainer: Die physikalische Untersuchung von Böden. Praxis, Messmethoden, Auswertung. 4., vollst. überarb. Aufl. 178 S., zahlr. Abb. und Tab. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlungen, Stuttgart 2009, 29,-

Die überarbeitete Fassung des zuletzt in der 3. Auflage 1992 im Enke-Verlag erschienenen Lehrbuches wurde inhaltlich erweitert, mit digital nachgezeichneten Abbildungen versehen und insgesamt in ein ansprechenderes Druckbild überführt.
An den Zielen der Autoren hat sich nichts geändert. Das Buch soll eine Einführung in häufig angewandte bodenphysikalische Messmethoden geben, die ohne großen Aufwand und mit einfachen Verfahren durchzuführen sind. Dies scheint, nachdem der Aufbau bodenphysikalischer Labore in Deutschland weitestgehend abgeschlossen ist, zwar nicht mehr ganz zeitgemäß und stellt den Leser auch vor Probleme, wenn er in einem modernen Labor beispielsweise nach einer einfachen Balkenwaage oder Quecksilber-Manometern sucht. Die genaue Darstellung der Versuchsaufbauten gewährt aber einen guten Einblick in die Grundprinzipien der Messmethoden und deren Auswertung, so dass diese leicht nachvollzogen werden können.
Wie bereits in der früheren Auflage werden zunächst grundsätzliche Überlegungen zur Formulierung der Fragestellung, der Probenahmestrategie und der Fehlerbetrachtung angestellt. Es folgt ein Kapitel mit technischen Hinweisen zur Entnahme gestörter und ungestörter Bodenproben. Die folgenden Kapitel stellen Messverfahren zu folgenden physikalischen Bodeneigenschaften vor: Wassergehalt, Korngrößenverteilung, Dichte des Bodens, Dichte der festen Bodensubstanz, Porenraum, Drucksetzungsverhalten, Scherparameter, Wasserspannungskurve, Aggregatstabilität, Wasserleitfähigkeit, Matrixpotential und Eindringwiderstand. Diese Kapitel sind jeweils gegliedert in a) eine kurze Einführung mit grundsätzlichen Überlegungen zu Problemstellung und Prinzip der Methode, b) eine genaue Beschreibung der Durchführung mit einer Liste der benötigten Gerätschaften, c) Anleitungen zur Auswertung und d) Hinweisen zur Bewertung der ermittelten Werte. Abschließend werden jeweils alternative Verfahren benannt und die wichtigste Literatur aufgelistet. Im Kapitel 15 wird schließlich auf die Auswertung örtlich zuordnungsfähiger Messwerte eingegangen.
Die Zielsetzung der Autoren bringt mit sich, dass die Darstellung neuer bodenphysikalischer Messverfahren, wie z.B. die Messung des Bodenwassergehaltes mit TDR-Sonden oder der Wasserspannung mit Druckabnehmertensiometern sehr kurz kommt. Die Verweise auf alternative Verfahren, z.B. zur Bestimmung der Scherparameter, sind allerdings ausführlicher als in der 3. Auflage. Zudem wurden die Literaturhinweise am Ende der Kapitel aktualisiert und erweitert, so dass sich der Leser an anderer Stelle ein Bild über alternative bodenphysikalische Messverfahren machen kann. Zu begrüßen sind die neuen Anmerkungen zur Arbeitssicherheit im Umgang mit Quecksilber oder Xylol. Eine wesentliche inhaltliche Erweiterung ist das neue Kapitel 16, in dem die Ableitung des Verdichtungszustandes aus Lagerungsdichten oder Eindringwiderständen beschrieben wird. Vor einer Neuauflage sollten hier allerdings einige orthografische Fehler verbessert, mehrere sehr langen Sätze gekürzt und auf das Wortungeheuer „umgebungsbedingungsabhängig“ ganz verzichtet werden. Dies könnte das Verständnis der dargestellten Verfahren erleichtern. Am Ende findet sich noch ein Anhang mit häufig benötigten Umrechnungsfaktoren sowie ein ebenfalls recht nützliches Stichwortverzeichnis.

Martin Kehl




Herrle, Peter and Schmitz, Stephanus (eds.): Constructing Identity in Contemporary Architecture. Case Studies from the South. 308 S, 41 Abb. und 29 Farbphotos. Habitat International 12. LIT Verlag, Berlin 2009, € 29,90

Architektur ist eines der augenfälligsten Mittel, Identitäten zu konstruieren, dekonstruieren und zu kommunizieren. Dem trägt der Band „Constructing Identity in Contemporary Architecture. Case Studies from the South“, herausgegeben von Peter Herrle und Stephanus Schmitz, Rechnung. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen dabei Identitätskonstruktionen in zeitgenössischer Architektur jener Länder, die globalisierungsbedingten Transformationsprozessen und damit auch Neu-Verhandlungen von Identität(en) in besonderem Maße unterworfen sind. Resultat eines Forschungsprojekts am Habitat-Unit der TU Berlin, das sich in der Zeit von 2003 bis 2005 mit dem „Eigenen“ und „Fremden“ in Architektur auseinandergesetzt hat, versammelt der englischsprachige Band sechs Beiträge ausgewiesener ArchitektInnen, ArchitekturhistorikerInnen und -kritikerInnen sowie Stadtplanender rund um das Thema. So folgen einer theoretischen Einführung ins Thema Beiträge, die sich mit Fragen nach Akteuren, Prozessen und Formen der Identitätskonstruktion in und durch Architektur in Brasilien, Mexiko, dem mittleren Osten, Indien und Singapur auseinandersetzen.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist eine zunehmende weltweite Homogenisierung architektonischer Ausdrucksformen in globalisierten städtischen Kontexten, die in westlichen Architektenkreisen in den 1980/90er Jahren zur Entwicklung eines „critical regionalism“ geführt haben. Dieses Konzept bot, gleichwohl nicht unkritisiert, in westlichen Industrieländern für nicht wenige ArchitektInnen Anlass und Möglichkeit zur (kritischen) Auseinandersetzung mit einer Überführung lokaler und regionaler Bautraditionen und -materialien in Gegenwartsarchitektur. Für „Entwicklungsländer“, zumal mit kolonialem Hintergrund, ist eine derartige Auseinandersetzung zur Entwicklung einer modernen identitätskonstituierenden Architektursprache jedoch wenig zielführend und so wurden und werden in diesen Ländern andere Wege der Konstruktion von Identität(en) in und durch Architektur beschritten.
Einen Überblick über diese „anderen Wege“ der theoretischen Auseinandersetzung mit Architektur und Identität in „Entwicklungsländern“ gibt Stephanus Schmitz in seinem Beitrag „Identity in Architecture? A Construction?“. Eine knappe und dennoch tiefgreifende Darstellung der wichtigsten Konzepte und deren Einordnung in das Gefüge der allgemeinen theoretischen Auseinandersetzung mit Identität und Architektur, wie Schmitz sie in einem Beitrag zu leisten sucht, ist sicher eine Herausforderung. Und so nimmt es einerseits nicht Wunder, dass es dem Beitrag nicht wirklich gelingen kann, das komplexe Thema von Architektur und Identitätskonstruktion zufriedenstellend zu behandeln. Andererseits zeichnet sich der Beitrag durch eine Art „Oberflächlichkeit“ in seiner theoretischen Auseinandersetzung aus, wie sie durchaus häufiger für Architektur-Diskurse konstatiert werden kann und die für Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen nicht selten unbefriedigend ist. Dies soll keineswegs dem Autoren angelastet werden, verweist aber mit Nachdruck auf unterschiedliche disziplinäre Kulturen. Kulturtheoretisch informierte GeographInnen, Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen dürfen in diesem Band daher weniger eine multidisziplinäre, theoretisch tiefgehende Analyse des Phänomens der Identitätskonstruktion in und durch Architektur erwarten. Sehr wohl aber dürfen kompakte und sehr fundierte Darstellungen architekturhistorischer und -theoretischer Diskurse um Identität, Architektur und deren bauliche Konstruktionen der Architekturszenen Brasiliens, Mexikos, des mittleren Ostens, Indiens und Singapurs erwartet werden, die in ihrer Diversität die Breite dieses Themas deutlich vor Augen führen.
Diese Diskurse für die jeweiligen Länder im Einzelnen darzustellen, kann und soll nicht Gegenstand dieser Rezension sein. Deshalb sei an dieser Stelle nur kurz auf die AutorInnen und ihre Beiträge verwiesen – jedoch nicht ohne den Hinweis auf die sehr lohnenswerte Lektüre dieser Beiträge für all jene mit Interesse an raumbezogenen Identität(skonstruktion)en und deren (architektonischer) Kommunikation. Für Brasilien stellt Ruth Verde Zein u.a. die Pole der romantischen, exotischen „Natürlichkeit“ Brasiliens einerseits und der Niemeyerschen „Genialität“ andererseits als lange Zeit dominante Faktoren hinsichtlich der (westlichen) Wahrnehmung einer Identität in moderner brasilianischer Architektur heraus. In dem Beitrag von Susanne Dussel und José Morales-Saravia wird neben der langen Suche nach „dem Eigenen“ im prä- wie kolonial geprägten Mexiko die Nutzung von Architektur zur Identitätskonstruktion und -kommunikation durch politische Machthabende behandelt. Khaled Asfour betont in seinem programmatisch angelegten Artikel, dass für den mittleren Osten weniger der Rückbezug auf Konzepte wie Kultur oder Tradition sinnvoll erscheint, denn vielmehr die Akzeptanz der ‚worldliness’ von Architektur, die sich ihrerseits durch bestimmte Qualitäten auszeichnet. Rahul Mehrota, Prasad Shett und Rupali Gupte heben im Bezug auf Edward Sojas ‚cultural landscape’ für Indien hervor, dass nach einer Phase der Instrumentalisierung von Architektur zur Konstruktion „einer indischen“ Identität in den 1980er Jahren, nun die Notwendigkeit besteht, die Bedürfnisse der „breiten Masse“ hinsichtlich identitärer Architekturen zu berücksichtigen. William Lim schließlich macht für Singapur, in dessen Geschichte „das Fremde“ stets „das Eigene“ war, deutlich, dass weniger ein Rückbezug auf koloniales Erbe, denn vielmehr eine Neuinterpretation des „urbanen Chaos“ als Basis für die Entwicklung eines nicht-staatlich verordneten „Eigenen“ dienen kann.
Allein schon diese kurze Darstellung macht die Vielschichtigkeit, die Geschichts-, Orts- bzw. Raumbedingtheit und -gebundenheit identitärer Architekturen deutlich und erklärt die Nicht-Existenz einer kohärenten Theoriebildung sowie den regionalen, fragmentarischen Charakter von Erklärungsansätzen zum Thema Identität und Architektur. In Folge dessen fällt das Fazit der Herausgeber entsprechend kurz aus und versucht – als einzig gangbaren Weg in dieser Situation – Parallelen und Unterschiede der Fallbeispiele herauszuarbeiten und zu benennen. Auf diese Weise umgehen die Herausgeber die Gefahr, verallgemeinerte Aussagen zur Konstruktion von Identität in und durch Architektur zu machen, die aufgrund der spezifischen Beschaffenheit des Forschungsgegenstandes nur schwer möglich und vielleicht auch nur bedingt sinnvoll sind. Ein möglicher Weg, zu verallgemeinerbaren Aussagen hinsichtlich identitärer Architekturen zu kommen, könnte eine stärkere Fokussierung auf bestimmte Themen innerhalb des Forschungsfeldes sein. So wurde in den meisten Beiträgen beispielsweise die Instrumentalisierung von Architektur durch staatliche Institutionen zur Konstruktion und Kommunikation von „gewünschten“ Identitäten benannt. Eine machtkritische, akteursbezogene Analyse der Interessen und Prozesse hinter diesen identitären architektonischen Konstruktionen könnte deren Funktionsweisen in verschiedenen Regionen und politischen Systemen offen legen. Doch das wäre ein ganz anderer Band …

Katharina Fleischmann




Kiermayr-Bühn, Susanne: Leben mit dem Wetter. Klima, Alltag und Katastrophe in Süddeutschland seit 1600. 159 S. und 52 Abb. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, € 39,90 / sFr 67,-

Kaum ein zweites Thema beschäftigt die Menschen so sehr wie das Wetter. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Mensch täglich mit den Wetterereignissen konfrontiert wird, er andererseits seine Abhängigkeit vom Wetter- und Klimageschehen beispielsweise dadurch erfährt, dass Extremereignisse wie Dürren oder Starkniederschläge immer wieder Teile der Gesellschaft in ihrer Existenz bedrohen. Diese Abhängigkeit bestand im besonderen Maße für die stärker agrarisch organisierten Gesellschaften der Vergangenheit, trifft aber natürlich auch auf die hochtechnisierten Gesellschaften der Moderne zu. Allerdings hat sich der Umgang mit den Wetter- und Klimaphänomenen im Laufe der Geschichte deutlich gewandelt, was heute noch in vielfältiger Weise im Erscheinungsbild unserer Kulturlandschaften zu erkennen ist. Dadurch wird der Umgang der Menschen mit den Wetter- und Klimaphänomenen zu einem geographischen Thema, dem sich die Autorin Kiermayer-Bühn in ihrem Buch „Leben mit dem Wetter. Klima, Alltag und Katastrophe in Süddeutschland seit 1600“ widmet.
Die Autorin nennt explizit zwei Themenkreise, die den Schwerpunkt des Buches darstellen sollen. Dies ist zum einen die Frage nach der Deutung der Naturabhängigkeit der Menschen in früheren Jahrhunderten und wie sich diese Erklärungsmodelle bis in unsere heutige Zeit gewandelt haben. Zum anderen geht die Autorin der Frage nach, wie die Menschen auf die Wetter- und Klimaereignisse vor dem Hintergrund der jeweiligen zeitspezifischen Naturinterpretationen reagiert haben. Wie im Titel des Buches angekündigt, soll dabei der Zeitraum der letzten 400 Jahre behandelt werden, wobei dies nur auf die konkret angeführten Beispiele zutrifft, die allgemeinen Ausführungen aber über diesen Zeitrahmen hinaus reichen. Gleiches gilt für den im Titel genannten süddeutschen Untersuchungsraum. Allgemeine Ausführungen sind nicht an den süddeutschen Raum gebunden und die regionalen Beispiele stammen aus dem von der Autorin gewählten süddeutschen Untersuchungsraum Tauberfranken.
Das Buch ist in sieben Kapitel untergliedert und beginnt mit einer Einleitung (Kap. 1), die ganz allgemeinverständlich in die Thematik einführt. Im folgenden Kapitel 2 stellt die Autorin vornehmlich den Untersuchungsraum Tauberfranken vor, wobei zunächst die physiogeographische Ausstattung, dann sehr umfangreich die geschichtliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung Tauberfrankens dargestellt wird. Wie der Mensch auf Wetterereignisse reagiert und wie sich diese Reaktionen u. a. im Aufstellen von Bauernregeln, Verfassen von protestantischen Kirchenliedern oder auch im Umgang mit Hexen und Zauberern zeigen, behandelt Kapitel 3. Klimatische Auswirkungen auf die tauberfränkische Kulturlandschaft werden in Kapitel 4 beispielhaft am Weinbau und der Bodenerosion dargelegt. Das Schadensmanagement seit dem ausgehenden 19. Jhd. als weiteren Aspekt des Umgangs des Menschen mit den Wetter- und Klimaereignissen ist Inhalt des 5. Kapitels. Allgemeine Aussagen zum heutigen Umgang unserer Gesellschaft mit Wetter- und Klimaphänomen finden sich, allerdings ohne Bezug zum Untersuchungsraum Tauberfranken, in Kapitel 6. Das abschließende Kapitel 7 beinhaltet das Fazit des Buches.
Das Buch gibt einen Einblick in die vielfältigen Aspekte des Umgangs des Menschen mit den Wetter- und Klimaphänomenen. Dabei werden die unterschiedlichsten Bereiche angesprochen, die vom Weinbau bis zum modernen Versicherungswesen reichen, so dass ein Potpourri an Formen aufgezeigt wird, wie der Mensch auf Wetter- und Klimaphänomene im Laufe der letzten 400 Jahre reagierte und welche Auswirkungen dies für die Gesellschaft und die Natur- und Kulturlandschaft hatte bzw. aufgrund des prognostizierten Klimawandels haben wird. Diese sehr breit und umfassend angelegte Betrachtungsweise bleibt vermutlich aufgrund des Umfangs des Vorhabens sehr im Bereich des Deskriptiven und eine detaillierte Analyse des Beschriebenen bleibt offen. Gerade unter dem Aspekt der geographischen Sichtweise auf die Thematik, die die Autorin zu Beginn des Buches immer wieder betont, stellt sich häufig die Frage nach der Relevanz der aufgeführten Beispiele für die Geographie. Dass grundsätzlich in den Texten von Kirchenliedern wichtige Informationen zum Umgang des Menschen mit Wetter- und Klimaphänomenen enthalten sind, wird nicht angezweifelt, doch wäre hier eine Erläuterung des geographischen Bezugs notwendig. Statt dessen nehmen grundlegende Ausführungen und Definitionen wie beispielsweise zu den Begriffen Klima – Wetter – Witterung, oder auch Geoarchäologie, Naturschutz und Kulturlandschaftspflege bemerkenswert viel Raum ein, womit sich die Frage nach der Zielgruppe stellt, an die sich die Autorin wenden möchte.
Bleibt letztlich festzuhalten, dass sich die Autorin mit einer sehr interessanten Thematik beschäftigt, die dem Leser sprachlich gut formuliert näher gebracht wird. Für die Leserschaft, die zunächst nur einen allgemeinen Eindruck in die Vielfalt der Thematik gewinnen möchte, oder die sich für die Region Tauberfranken aus historischer Sicht interessiert, mag dieses Buch interessant sein.

Markus Fuchs




Nitz, Bernhard; Schultz, Hans-Dietrich und Schulz, Marlies (Hg.): 1810–2010: 200 Jahre Geographie in Berlin an der Universität zu Berlin (ab 1810), Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (ab 1828), Universität Berlin (ab 1946), Humboldt-Universität zu Berlin (ab 1949). X und 349 S., zahlr. Abb. und Tab. Berliner Geographische Arbeiten 115. Geographisches Institut der Humboldt-Universität, Berlin 2010

Die Herausgabe der Festschrift „200 Jahre Geographie in Berlin“ ist in die umfangreichen Aktivitäten der Humboldt-Universität zu Berlin anlässlich des 200jährigen Bestehens einer Universität in Berlin einzuordnen. Dementsprechend beschäftigen sich die einzelnen Beiträge nur, wie aus dem umfangreichen komplizierten Untertitel hervorgeht, mit den direkten Vorläufern des heutigen Geographischen Instituts der Humboldt-Universität. Informationen zu der Geographie an der Freien Universität Berlin oder der Technischen Universität Berlin sucht man vergeblich. Insofern ist der Titel: 200 Jahre Geographie in Berlin irreführend. Die Herausgeber und Mitarbeiter sind fast alle gegenwärtige oder frühere Mitglieder des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität. Sie lassen sich in drei Gruppen aufteilen: 1. Geographen, die vor 1990 in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in West-Berlin tätig gewesen sind: Hans-Dietrich Schultz und Bodo Freund. 2. Geographen, die bis 1990 in Instituten der Deutschen Demokratischen Republik integriert waren: Bernhard Nitz und Marlies Schulz. 3. Geographen, die von auswärts berufen wurden und gegenwärtig im Institut verantwortliche Positionen innehaben: Elmar Kulke und Wilfried Endlicher. Schließlich soll einleitend noch darauf hingewiesen werden, dass die intensiv diskutierte Benennung des neuen Gebäudes des Geographischen Instituts in Berlin-Adlershof 2003 in „Alfred-Rühl-Haus“ der Grund für die unerwartet intensive Beschäftigung der Autoren mit diesem Geographen ist.
Das Buch wird durch ein Geleitwort von Paul Rühl, einem Großneffen von Alfred Rühl, eingeleitet. Erst danach folgt das Vorwort der Herausgeber, in dem die Ziele der Festschrift knapp verdeutlicht werden. In den zeitlich geordneten Beiträgen soll eine Mittellinie zwischen den Extrempositionen der reinen Geschichtsschreibung ohne Theorie und dem radikalen Konstruktivismus eingehalten werden. Die Aufsätze zu der Zeit bis 1945 sind dabei primär Ideengeschichte; die folgende Periode bis 1989/1990 und die Übergangszeit bis 1994 wird von zwei Zeitzeugen unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt; das abschließende im Vergleich zu den übrigen Beiträgen relativ kurze Kapitel widmet sich der Entwicklung des Faches und des Instituts bis zur Gegenwart.
Ganz allgemein gesagt weist das Buch keine durchgehende Linie in Hinblick auf die behandelten Problemfelder auf. Die Herausgeber hatten auch nichts anderes im Sinn, als „Ausschnitte aus der Geschichte der Geographie an der Berliner Universität“ bzw. von dem, „was in den letzten 200 Jahren in Berlin an Geographie betrieben wurde“ (Vorwort) zu bieten. Bei einer genaueren Beschäftigung mit den Beiträgen lassen sich einige Schwerpunkte herausstellen: 1. Die theoretische Begründung der Geographie vor dem Ersten Weltkrieg. 2. Die Bedeutung der geographischen Volks- und/oder Kulturbodenforschung für den Nationalsozialismus. 3. Die Entwicklung der Wirtschaftsgeographie in einer durch die Landeskunde geprägten Geographie. 4. Die Pervertierung der Geographie im totalitären Staat der DDR. 5. Neue Strukturen und Aufgaben der Geographie seit 1990. Die einzelnen Beiträge sind sehr unterschiedlich, was auch in den Literaturverzeichnissen zum Ausdruck kommt. So gesehen ist das Motto der Festschrift  „Die Geschichte lehrt Unterschiedliches“ verständlich. Dieser Befund macht aber eine einigermaßen ausgewogene Kurzbesprechung unmöglich. Es handelt sich also mehr um einen Sammelband mit durchwegs sehr lesenswerten Aufsätzen, der sicher gewonnen hätte, wenn vor allem in Hinblick auf den anspruchsvollen Titel noch einige Überblickselemente eingebaut worden wären. Obwohl die meisten Beiträge mit kleingedruckten „Vorbemerkungen“ eingeleitet werden, fehlt der Gesamtüberblick über die Entwicklung der Geographie in Berlin. Die Ausstattung mit Abbildungen und Karten kann nicht recht überzeugen. Vor allem die Übersichtskarten zu den Schülern wichtiger Berliner Ordinarien, „die Geographieprofessoren wurden“, ist problematisch, da sie nur den Standort Berlin berücksichtigt (vgl. z.B. das Verhältnis von Ferdinand von Richthofen und Erich von Drygalski).
Da die Titel der Beiträge sehr aussagekräftig sind, erscheint es gerechtfertigt, diese geschlossen an das Ende der Rezension zu stellen. Hans-Dietrich Schultz: 1. „Heldengeschichten“ oder: Wer hat die Geographie (neu) begründet: Alexander von Humboldt oder Carl Ritter? 2. Dirk Hänsgen: Heinrich Kiepert: ein Handwerker unter den Geographie-Ordinarien der ersten Stunde. 3. Hans-Dietrich Schultz: „ Geben Sie uns eine scharfe Definition der Geographie!“. Ferdinand von Richthofens Anstrengungen zur Lösung eines brennenden Problems. 4. Hans-Dietrich Schultz: „Ein wachsendes Volk braucht Raum“. Albrecht Penck als politischer Geograph. 5. Hans-Dietrich Schultz: „Reformator der (Wirtschafts-) Geographie oder „Hochverräter“ am Fach? 6. Bodo Freund: Der Wirtschaftsgeist – von Alfred Rühl bis heute. 7. Hans-Dietrich Schultz: Das „reine Streben nach der Wahrheit“ im „Dienst von Volk und Staat“: Norbert Krebs. 8. Bernhard Nitz: Zur Geschichte der Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin zwischen 1945 und 1990. Von einem Zeitzeugen berichtet und kommentiert. 9. Marlies Schulz: Erneuerung mit Stolz und Bedauern. Umstrukturierung der Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1989 bis 1994. 10. Elmar Kulke und Wilfried Endlicher: Entwicklungen des Geographischen Instituts seit 1993.
Die vorliegende Festschrift ist ohne Zweifel geeignet, dass der im Vorwort geäußerte Wunsch der Herausgeber in Erfüllung geht: „Doch hoffen wir schon, dass die Beiträge zu anregenden Diskussionen und gegebenenfalls Gegeninterpretationen führen. Eben das halten wir für eine der wesentlichen Aufgaben der Geschichtsschreibung einer Disziplin, dass sie durch die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit mit dazu beiträgt, dass der Prozess der fachlichen Identitätsbildung nicht erstarrt, sondern als permanente Aufgabe verstanden wird“.

Klaus Fehn

 

 

 

Ritter, Ernst-Hasso: Europäische Raumentwicklungspolitik. Inhalte, Akteure, Verfahren, Organisation. 213 S. und 7 Abb. Verlag Dorothea Rohn, Detmold 2009, € 29,-

Wer sich bisher in der Fachliteratur über europäische Raumentwicklungspolitik informieren wollte, war auf Beiträge in Fachzeitschriften oder Sammelbänden angewiesen, die jeweils Einzelaspekte dieses Politikfeldes auf europäischer Ebene behandelten. Ein umfassendes Gesamtwerk über die europäische Raumentwicklungspolitik fehlte bislang. Diese Lücke ist jetzt geschlossen. Ernst Hasso Ritter, der ehemalige Präsident der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, der auch über langjährige eigene Erfahrungen als leitender Ministerialbeamter in der Praxis der räumlichen Gesamtplanung verfügt, hat ein rund 200 Seiten umfassendes Buch herausgegeben, das alle Erwartungen an ein Überblickswerk zur europäischen Raumentwicklungspolitik einlöst. Wie es der Untertitel verspricht, werden die Inhalte, die Akteure, die Verfahren und die Organisation in ausführlicher und differenzierter Form behandelt.
Stellenweise hat das fundierte Werk den Charakter eines juristischen Lehrbuchs, bei dem generell die Funktionsweise der europäischen Raumentwicklungspolitik erklärt wird. An anderen Stellen finden sich dann aber auch Hinweise, welche Rolle die zahlreichen Entscheidungsträger jeweils in der praktischen Politik spielen. Hier nimmt Ritter bewusst die Governance-Perspektive ein. Raumwissenschaftler hätten sich darüber hinaus durchaus noch weitere Aussagen über die angestrebte räumliche Entwicklung der europäischen Teilregionen gewünscht. Vielleicht sind es auch die weichen und unbestimmten Formulierungen der EU-Dokumente, die hier eine Präzisierung dieses Wunsches nur schwer möglich machen. Immerhin deutet Ritter an, dass es neben den traditionellen Feldern der Raumordnungspolitik, die auf europäischer Ebene derzeit mit den Begriffen der Kohärenz, der Kohäsion, der Konvergenz bzw. des territorialen Zusammenhalts und der territorialen Zusammenarbeit umschrieben werden, zukünftig auch um eine Anpassung an den Klimawandel und um die maritime Raumordnung gehen wird.
Das Buch macht zudem deutlich, dass es sich bei der europäischen Raumentwicklungspolitik um ein noch relativ junges Politikfeld handelt, das zudem aktuell durch die Lissaboner Verträge in Veränderung ist. So muss Ritter mit der Schwierigkeit umgehen, dass er sein Manuskript vor Abschluss dieser Verträge und damit möglicherweise einer neuen Legitimation der Raumentwicklungspolitik auf europäischer Ebene abgeschlossen hat. Man darf also gespannt darauf sein, ob die an verschiedenen Stellen geäußerten Erwartungen an eine neue Qualität der Raumentwicklungspolitik auf europäischer Ebene eingelöst werden können. Es bleibt abzuwarten, ob es zu Veränderungen zwischen der räumlichen Gesamtplanung, die sich mit den beiden Dokumenten des EUREK (Europäisches Raumentwicklungskonzept aus dem Jahr 1999) und des TAEU (Territoriale Agenda der Europäischen Union aus dem Jahr 2007) verbinden, und der machtvollen räumlichen Fachplanung in Form der Strukturfonds kommen wird. Hier ist es für das Buch Gewinn bringend, dass Dietrich Fürst zur EU-Regionalpolitik ein eigenes Kapitel übernommen hat, aus dem ersichtlich wird, dass mit der Möglichkeit der finanziellen Förderung eine größere Resonanz für raumordnungsrelevante Zielsetzungen erzielt werden kann.
Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei dem Buch um das bisher einzige umfassende Werk zur europäischen Raumentwicklungspolitik handelt, das in jede raumwissenschaftliche Bibliothek gehört und das all denjenigen, die sich tiefgreifender mit der EU-Politik beschäftigen wollen, empfohlen sei.

Claus-C. Wiegandt




Neuwirth, Burkhard: Interannuelle Klima-Wachstums-Beziehungen zentraleuropäischer Bäume von AD 1901 bis 1971. Eine dendroklimatologische Netzwerkanalyse. 169 S., 52 Abb. und 22 Tab. mit Beilagen-CD. Bonner Geographische Abhandlungen 125. E. Ferger Verlag, Bergisch Gladbach 2010, € 23,-

The Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) is the most influential arm of the United Nations. It provides comprehensive overviews as well as detailed insights on a variety of global environmental change issues operating at numerous spatiotemporal scales (IPCC 2007). The IPCC, together with Albert Arnold (Al) Gore Jr. received the Nobel Peace Prize in 2007 “for their efforts to build up and disseminate greater knowledge about man-made climate change, and to lay the foundations for the measures that are needed to counteract such change”. Central to the mission of the IPCC and the vision of Al Gore is enhancing our understanding of the absolute timing and relative amplitude of earlier warm periods, such as during medieval times, in comparison to the recent warmth, as well as to assess how ecosystem functioning and productivity, such as forest growth, will alter in a changing world. Improving our knowledge of past natural versus recent anthropogenic climate fluctuations and associated ecological responses is one of the fundamental frontiers in contemporary environmental sciences. Results will not only be crucial for model simulations that need to be calibrated against proxy reconstructions to robustly predict the evolution of the earth climate system under increasing 21st century greenhouse gas concentrations, but also for socio-economic and political strategies and actions to adapt to and mitigate projected environmental changes.
Considering the above, it appears obvious that high-resolution climate proxy data play a key role in modern palaeoclimatology. In fact, environmental signals stored in the annual stem increment of trees growing under extreme conditions, i.e., near their natural distribution limit, display a unique archive that, if appropriately compiled, analyzed and interpreted, may preserve unique information on past external growth controls. This evidence of either temperature, if trees have grown close to their upper elevational or northern latitudinal margin, or precipitation/drought generally recorded towards the hydroclimatic growth limit, can cover thousands of years in length and is available for different regions of the globe up to now.
Many different tree-ring parameters, namely ring-width, latewood-density, cell-anatomy and isotopic-ratios have significantly contributed to enhance our understanding of environmental change during the past centuries to millennia. Nevertheless, such studies and their resulting tree-ring chronologies commonly used for climate reconstruction purposes are restricted to the high-northern latitudes and to some high-mountain systems, often ignoring large areas of the global landmass that are characterized by perennial plant growth. The vast majority of temperate forests have only sporadically generated attraction in dendroclimatology. The lack of European tree ring-based studies conducted within the continent’s mid-latitudinal temperate forest zone is a consequence of complex growth-climate interactions that result in less defined response patterns and overall reduced sensitivity rates.
Neuwirth compiled a network of 377 tree-ring sites distributed across the 5-15°E and 42.5-52.5°N Central European region. This unique collection contains six dominant forest species (Abies, Fagus, Larix, Picea, Pinus and Quercus), covers an elevational range of >2000 meters, and spans the period from AD 1901–1971. Data represent the ecological spectrum of Central European forest communities. The myriad individual ring width measurement series were processed at the site-level to create high-frequency chronologies of inter-annual variability. Any longer-term trends were removed for noise reduction. Monthly resolved high-resolution gridded temperature and precipitation indices were used for comparison. The relationship between the North Atlantic Oscillation (NAO) and tree growth variation was explored further. Different techniques and versions of cluster analysis were applied to distinguish between sub-groups of common growth variations, which were visualized in a sequence of annual maps between 1901 and 1971.
The large pool of tree-ring proxy and grid-box target data that was utilized, as well as the suite of multivariate methods that were applied, produced a total of 59 ‘dendro-clusters’. Species-specific physiological adaptation rates and reaction strategies, as well as sites-specific differences in elevation, exposition and ecology challenged any further simplistic classification. Neuwirth concluded that Central European tree growth is influenced by an amalgam of various climatic parameters as well as by interacting biotic and abiotic disturbance factors, and competition for water, light, nutrients and other ecological resources. Climate variability drives tree growth directly, but also indirectly through influences on forest composition and vitality. Physiological characteristics amongst species have resulted in response plasticity, although climate sensitivity of tree growth has been found to closely depend on the climate itself.
The study by Neuwirth can be considered as groundbreaking since it highlights the enormous potential of dendroclimatology in temperate habitats supplemented to the commonly investigated extreme sites. The fingerprint of F. H. Schweingruber is evident, since the value of pointer-years to possibly disentangle the concert of climatic parameters that jointly force the occurrence of widespread growth extremes (i.e., thick and narrow rings) has been clearly demonstrated (e.g., Schweingruber and Nogler 2003). Another take home message is that the consideration of ecological site criteria should routinely be complemented by the application of statistical data evaluation prior to employing tree-ring chronologies for climate reconstruction purposes. The timely relevance of Neuwirth is further expressed in its stimulus for several related publications. Two recent articles by Friedrichs et al. (2009a, b) followed a similar approach and investigated the complex growth response of different temperate forest species to 20th century climate. The obtained sensitivity of Central German oak radial increment to hydroclimatic change during the early vegetation period provided evidence strong enough to reconstruct past drought swings back into medieval times (Büntgen et al. 2010). Re-analysis (including other tree-ring standardization techniques and chronology development processes) of the unique network aiming to capture more lower frequency information may additionally allows signals relevant for the quantification of biomass production and related effects on the global carbon cycle to be preserved in future work.
Neuwirth not only describes an innovative approach and dataset for dendroclimatology and -ecology, but also appears to be highly influential for the dendroarchaeological community, which holds an unprecedented palaeo-archive of numerous tree-ring chronologies that span the Late Holocene. However, climatic evidence inherent in such composites is limited as modern updates essential for calibration/verification exercises with instrumental measurements are often inappropriate, incomplete or even missing (Tegel et al. 2010). Neuwirth introduces a new perspective to overcome such limitations by outlining the dendroclimatic value of numerous forest sites outside those boundaries where tree growth is predominately controlled by one single forcing agent.
Nevertheless, within the work by Neuwirth, there still remains some room for improvement as temperature means and precipitation totals were considered for growth-climate response analyses, but more convoluted hydroclimatic metrics such as the Palmer Drought Severity- or Z-Index, were disregarded. Restriction to the 1901–1971 period further hampers any sensitivity assessment during the most recent decades, associated with the extreme hot summers in 1976 and 2003. Comparison between patterns of pre-industrial and anthropogenic growth-climate response is not feasible. More discussion about the winter dominance and summer failure of the NAO and its strength over Scandinavia and the Mediterranean but weakness over Central Europe could have been beneficial. Insight into the fact that the study is located between a synoptic dipole-structure resulting in a complex and thus not yet predictable precipitation re-distribution in a warming world could have further increased the value of the innovative dendroclimatological network approach introduced by Neuwirth.
In summary, the ability to use tree-ring chronologies from temperate forest sites across Central Europe to reveal information about past hydroclimatic variability as well as to understand associated synoptic causes and environmental consequences is emphasized. Such knowledge is of particular importance since precipitation is the main meteorological driver of ecosystem functioning, agricultural production and societal prosperity. A detailed understanding of past, present and projected changes in the hydrological cycle, particularly in continental regions where summer precipitation totals may significantly vary on inter-annual to multi-decadal time-scales, and possibly constrain economic wealth and human health, is a critical task for the interdisciplinary research community dealing with climate change issues. Shifts in water availability may become particularly important for Central Europe, associated with a higher frequency and severity of drought extremes, expected to significantly alter water management, as well as forest vitality and agricultural productivity. A detailed understanding of temporal changes in precipitation totals, as well as of complex spatial regime shifts is therefore important not only for climatologists, ecologists and biologists, but also for economists and politicians, ensuring sustainable administrative strategies of future natural resources. A better understanding of historic hydroclimatic variability will facilitate adaptation and mitigation to projected 21st century climate change. Dendroclimatology will play an important role in this process.

Ulf Büntgen

 

References

Büntgen, U.; Trouet, V.; Frank, D.; Leuschner, H. H.; Friedrichs, D. A.; Luterbacher, J. and Esper, J. (2010): Tree-ring indicators of German summer drought over the last millennium. In: Quaternary Science Reviews 29, 1005–1016.

Friedrichs, D. A.; Büntgen, U.; Esper, J.; Frank, D.; Neuwirth, B. and Löffler, J. (2009a): Complex climate controls on 20th century oak growth in Central-West Germany. In: Tree Physiology 29, 39–51.

Friedrichs, D. A.; Trouet, V.; Büntgen, U.; Frank, D. C.; Esper, J.; Neuwirth, B. and Löffler, J. (2009b): Species-specific climate sensitivity of tree growth in Central-West Germany. In: Trees, Structure and Function 23, 729–739.

IPCC (2007): Climate Change 2007: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the IPCC. Cambridge, New York.

Schweingruber, F. H. and Nogler, P. (2003): Spatial patterns of Central European tree-ring sequences. In: Botanica Helvetica 113, 125–143.

Tegel, W.; Vanmoerkerke, J. and Büntgen, U. (2010): Updating historical tree-ring records for climate reconstruction. In: Quaternary Science Reviews 29, 1957–1959.




Paal, Michaela (Hg.): Stadtzukünfte in Deutschland. Strategien zwischen Boom und Krise. 205 S., 53 Abb. und 1 Tab. Forschungsbeiträge zur Stadt- und Regionalgeographie 4. LIT Verlag Berlin 2010, € 24,90

Der von der Marburger Professorin Michaela Paal herausgegebene Sammelband enthält nach einer sehr kurzen, zehnseitigen Einführung der Herausgeberin acht Beiträge, die sich mit derzeitigen Entwicklungsprozessen in acht sehr unterschiedlichen deutschen Städten beschäftigen: Hamburg, Düsseldorf, Köln, Leipzig, Wolfsburg, Flensburg, Görlitz und Duisburg. Damit soll offenbar eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Erfahrungen und Problemsituationen deutscher Städte präsentiert werden, die dennoch alle irgendwie mit den in der Einleitung – sehr schemenhaft und pauschal – dargestellten „generellen“ Trends zu tun haben sollen: demographischer Wandel, nationale und internationale Standortkonkurrenz, der Umgang mit Wachsen und/oder Schrumpfen.
Bei den Beiträgen handelt es sich um überarbeitete Ausschnitte aus Seminar- und Abschlussarbeiten Marburger Geographie-Studierender. Die Beiträge zu Leipzig und Görlitz gehören offenbar zu den letzteren, sie erreichen ein gewisses Maß an Tiefgang und bringen eigene empirische Erkenntnisse in die Betrachtung ein, auch wenn differenzierte Fragestellungen der Arbeiten nicht klar herausgearbeitet werden. Leider sind die Beiträge im Wesentlichen veraltet: Die Arbeit zu Görlitz wurde offenbar 2008 abgeschlossen, die zu Leipzig 2006 – eine Aktualisierung und Aufarbeitung jüngerer Literatur wurde in beiden Fällen nicht vorgenommen, was insbesondere für Leipzig bedenklich erscheint.
Dass es sich bei den restlichen Beiträgen wohl um überarbeitete Ausschnitte aus studentischen Seminararbeiten handelt, merkt man ihnen leider überdeutlich an. Was kann man auch von Beiträgen zu beispielsweise Hamburger, Düsseldorfer oder Duisburger Stadtzukünften erwarten, die jeweils gerade mal etwas mehr als zehn Textseiten (ohne Abbildungen und Literaturverweise) umfassen? Bei denen keine klare analytische Fragestellung erarbeitet, sondern im Wesentlichen deskriptiv gearbeitet wird? Die stets größere Abschnitte Stadtgeschichte enthalten, welche mit den aktuellen Entwicklungsproblemen oft herzlich wenig zu tun hat? Die jeweils auf gerade mal knapp über zehn gedruckten Literaturquellen und einigen Internetquellen beruhen? Sicherlich kann man von solchen Beiträgen keine tiefgreifenden, differenzierten, kritisch-reflektierten Auslassungen erwarten, die Stadtgeographen neue Perspektiven oder selbst neuere Informationen vermitteln würden. Für studentische Seminararbeiten mag das ja noch angehen – auch wenn es mir auch dafür ein wenig an analytischen und kritischeren Betrachtungen mangelt –, aber warum sollte man das auch noch in gedruckter Form zur Veröffentlichung bringen? Um Forschungsbeiträge zur Stadt- und Regionalgeographie – so ja der Titel der Reihe – handelt es sich dabei jedenfalls nicht. Und von einer „theoretische[n] und methodische[n] Weiterentwicklung der vergleichenden Metropolenforschung“ – so der selbst bezeichnete Schwerpunkt (Anspruch?) der Reihe –, kann leider überhaupt keine Rede sein. Es gibt ja noch nicht einmal ein Schlusskapitel, in dem etwa der Versuch unternommen würde, irgendwelche gemeinsamen oder vergleichenden Schlussfolgerungen aus diesen scheinbar recht willkürlich ausgesuchten Stadtbeispielen zu ziehen.
Dem Verlag mag das einerlei sein, da man offenbar nicht auf Verkaufserlöse angewiesen ist, sondern sich über Druckkostenbeiträge finanziert. Aber wenn der zunehmende Druck zum ständigen Publizieren jetzt schon dazu führt, dass wir studentische Seminararbeiten als unsere Forschungsergebnisse ausflaggen – wozu sie schlichtweg nicht taugen –, dann tun wir der Geographie und ihrer Rezeption in der Gesellschaft keinen Gefallen.

Ludger Basten




Schippler, Jasmin: Urbaner Informeller Sektor: Wirtschaftliches Handeln unter Unsicherheit. Stressoren, institutionelle Arrangements und der Beitrag von Sozialkapital am Beispiel der Schreiner in Gaborone, Botswana. 169 S., 12 Abb., 6 Tab. und 3 Photos. Erlanger Geographische Arbeiten 63. Selbstverlag der Fränkischen Geographischen Gesellschaft, Erlangen 2009, € 18,-

Das Konzept des Sozialkapitals hat in den Sozialwissenschaften in den letzen 15 Jahren beachtlich Karriere gemacht. Es erscheint gewissermaßen als Grenzobjekt zwischen Ökonomik, Politologie, Wirtschaftssoziologie, Anthropologie und (Wirtschafts-)Geographie, das sich von der Mikro- bis zur Makroebene mit dem Einfluss des „Sozialen“ auf ökonomische Aktivitäten und Prozesse auseinandersetzt. Mit dem Konzept wurden so diverse Phänomene wie der Zusammenhang zwischen ethnischer oder sozialer Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Erfolg (Beispiel Migrationsnetzwerke), die Bedeutung sozialer Netzwerke für regionale Entwicklungs- und Innovationsprozesse oder der kumulierte Einfluss sozialer Strukturen auf die politische Kultur und wirtschaftliche Entwicklung in nationaler Perspektive erforscht. In jüngerer Zeit wurde das Konzept, allen voran durch die Bestrebungen der Weltbank, auch in der Entwicklungsforschung und -praxis als Erweiterung der untersozialisierten neoklassischen Orthodoxie als ‚missing link‘ wirtschaftlicher Entwicklung diskutiert und dessen theoretische und praktische Berücksichtigung sollte eine holistischere Perspektive auf die Determinanten wirtschaftlichen Wachstums eröffnen. Genau hier setzt die Arbeit von Jasmin Schippler zur unsicherheitsreduzierenden Bedeutung von Sozialkapital unter Schreinern im informellen Sektor (IS) in Gaborone an. Dabei nähert sich die Autorin diesem Gegenstand unter Rückgriff auf eine um das Sozialkapital-Konzept erweiterte Neue Institutionenökonomik (NIÖ). Gerade Berufsgruppen im IS im Globalen Süden sind vielfältigen Stressoren und Unsicherheitsquellen ausgesetzt, die z.B. aus der mangelnden Durchsetzbarkeit von Verträgen und dem prekären rechtlichen Status der Betriebe resultieren. Behörden dulden zwar den IS in vielen Ländern des Globalen Südens, entwickeln jedoch nur selten institutionelle Arrangements zur Förderung dieses Sektors.
Der Forschungsfokus der Arbeit ist in doppelter Hinsicht willkommen: Zum einen nähert sich die Arbeit dem IS theoriegeleitet einem Gegenstand, der nach einer Konjunktur in den 1980er Jahren trotz seiner ungebrochenen Bedeutung als Beschäftigungsfeld im Globalen Süden weitgehend vom Radar der deutschsprachigen Wirtschaftsgeographie bzw. Entwicklungsforschung verschwunden ist. Zum anderen gibt es relativ wenige Studien, die den IS aus einer NIÖ- bzw. Sozialkapital-Perspektive untersuchen. Aufgrund dieses Beitrags sowie des transdisziplinären Charakters des Sozialkapital-Konzepts dürfte die Arbeit für WirtschaftsgeographInnen und EntwicklungsforscherInnen gleichermaßen interessant sein.
Die Arbeit gliedert sich insgesamt in eine Einleitung und fünf Teile (insgesamt 13 Kapitel), in denen sukzessive der theoretische Hintergrund der Arbeit, Hintergrundinformationen zum IS in Botswana, das methodische Vorgehen und die Empirie expliziert werden. Zunächst stellt die Autorin die These auf, dass „Beziehungen und soziale Netzwerke dazu beitragen können Unsicherheiten und Risiken abzufedern“, die sich aus dem „Fehlen formeller Handlungsbeschränkungen im IS“ ergeben (S. 13). Spezifiziert meint dies, dass im „Umgang mit restriktiven Unsicherheiten“ Sozialkapital, mit dem das „produktive Potenzial von Sozialkontakten assoziiert (wird)“, eine bedeutende Rolle spielt. Die Autorin vermutet, dass die Inanspruchnahme derartiger sozialer Ressourcen kostenlos ist und daher eine geeignete Maßnahme darstellt, um handlungswirksame Unsicherheiten zu reduzieren. Dem schließt sich die Hypothese an, dass die behördliche „Duldung informeller Aktivitäten ohne entsprechende rechtliche Verankerung (…) zu wachstums- und entwicklungshemmenden Transaktionskosten (führt)“ (S. 14). Das anschließende Theoriekapitel versucht Perspektiven der NIÖ um eine Sozialkapital-Perspektive zu ergänzen. Theoretisch fundiert versucht Schippler hier die produktiven Effekte informeller Institutionen im Entwicklungsprozess hervorzuheben. Damit erweitert die Autorin den Methodologischen Individualismus der NIÖ um die relationale Produktion sozialer Ressourcen. Das Sozialkapital-Konzept wird hier durchaus – auch in terminologischer Hinsicht – kritisch diskutiert. Im folgenden Kapitel wird nochmals verdeutlicht, welche große Bedeutung der IS als Beschäftigungsfeld in Botswana trotz des beachtlichen makroökonomischen Wachstums des (vermeintlichen) afrikanischen Musterlandes hat. Leider werden dabei keine Angaben über die tatsächliche Anzahl der Gesamtbeschäftigten in diesem Sektor gemacht. In einem etwas sehr knapp gehaltenen Methodenkapitel werden neben der üblichen Explikation des methodischen Vorgehens – hier wurde eine qualitatives Forschungsdesign gewählt – erfreulicherweise auch die methodischen Probleme der Erfassung von Sozialkapital diskutiert.
Teil IV kann durch eine reichhaltige Empirie überzeugen. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei der Untersuchungsgruppe größtenteils um ethnisch (simbabwische Arbeitsmigranten) oder religiös-kulturelle Minderheiten (sog. Mazezuru) handelt, die gruppenspezifisch differente Verwundbarkeitspotenziale aufweisen. Hier wird deutlich mit welchen vielfältigen Unsicherheiten sich die „informellen Schreiner“ konfrontiert sehen. Diese ergeben sich aus der prekären Standortsituation der Schreinerbetriebe (bedingt durch Wetterexposition und Standortunsicherheit), Problemen der Material- und Finanzkapitalbeschaffung, dem praktizierten Opportunismus von Stadtbeamten, Grundstücksvermietern und Kunden sowie der „unzureichenden Durchsetzung und Intransparenz der informellen Institutionen der Duldung“ (S. 100) durch die Stadtverwaltung. Anschließend kann die Autorin überzeugend darstellen, durch welche sozial eingebetteten ‚coping strategies‘ die Schreiner versuchen Unsicherheiten abzubauen und Risiken zu minimieren. Gleichzeitig weist Schippler aber auch deutlich auf die Grenzen von Sozialkapital und endogenen Existenzsicherungspotenzialen hin. Hier wird nochmals deutlich, dass Arbeitsmigranten aus Zimbabwe, die oftmals über keine Aufenthaltserlaubnis verfügen, aufgrund ihres prekären legalen Status deutlich verwundbarer sind als etwa die Mazezuru-Schreiner, die durch eine Mischung aus religiös-kulturell fundierten strong und weak ties (sog. bonding capital) viele Unsicherheiten zu reduzieren vermögen. Hier zeigt die Autorin auch, dass soziale Netzwerke nicht einfach aufgrund bestimmter Dispositionen (z.B. geteilte ethnische Herkunft oder gemeinsame Milieuzugehörigkeit) präkonfiguriert sind, sondern in der Praxis immer wieder neu stabilisiert werden müssen, um Handlungssicherheit für Netzwerkmitglieder herzustellen. Dies ist immer auch mit sozialen, zum Teil aber auch monetären ‚Netzwerkinvestitionen‘ verbunden (S. 134ff.). Mit dieser Feststellung lässt die Autorin eine allzu statische Sozialkapital-Konzeption hinter sich. Damit wird gewissermaßen auch ihre Hypothese widerlegt, dass die Inanspruchnahme sozialer Ressourcen kostenlos ist.
Erfreulich ist, dass die Autorin in einem abschließenden Kapitel neben politischen Handlungsempfehlungen auch auf die Defizite der theoretischen Ansätze eingeht. Zu nennen sind hier u.a. die mangelnde Konkretisierung des Sozialkapital-Konzepts sowie die geringe Berücksichtigung machtpolitischer oder konfliktbezogener Aspekte in beiden Theorieansätzen.
Insgesamt leistet die Autorin einen fundierten, originellen und sehr klar strukturierten Beitrag zur Problematik wirtschaftlichen Handelns unter Unsicherheit im urbanen IS. Damit dürfte die Arbeit für das Fach, wie auch für die politische Praxis gleichermaßen interessant sein. Berücksichtigt man den Entstehungskontext der Arbeit – es handelt sich hier um die überarbeitete Version einer Magisterarbeit! –, so stellt die vorliegende Publikation eine beachtliche Leistung dar. Abschließend jedoch noch einige kritische Anmerkungen.
Auffällig ist zunächst, dass die Arbeit einige zentrale kritische Arbeiten der Entwicklungsforschung zur Problematik des Konzepts des Sozialen Kapitals nicht rezipiert (vgl. v.a. Fine 1999 oder auch die Arbeiten von Anthony Bebbington). Gerade der Ökonom Ben Fine macht deutlich, dass das Konzept zum einen die Gefahr birgt, die Versorgungsverantwortung des Staates entwicklungspraktisch auf sowieso schon marginalisierte Gruppen abzuwälzen. Dies kann als Perpetuierung einer neoliberalen Selbstverantwortungslogik verstanden werden und der Entwicklungsprozess wird zu Gunsten eines ‚Community-Romantizismus‘ de-politisiert. Zum anderen läuft die Autorin an einigen Stellen Gefahr, eine fragwürdige Trennung zwischen dem Ökonomischen und dem Sozialen bzw. von Kultur fortzuschreiben, etwa wenn von „Kultur als Verhaltensdeterminante im ökonomischen Kontext“ gesprochen wird (S. 25). Damit wird gewissermaßen die Sozialität bzw. Kulturalität allen ökonomischen Handelns negiert.
Problematisch ist zudem die Verwendung des Begriffs IS. Zwar wird der Dualismus dem der Begriff entspringt („informell-formell“; „traditionell-modern“ etc.) kritisch diskutiert; es wird jedoch nicht auf die Tatsache eingegangen, dass der Terminus mittlerweile sowohl in der Entwicklungstheorie als auch -praxis durch den Begriff ‚informal economy‘ weitgehend abgelöst wurde. Gerade das ursprüngliche Konzept des IS (sic!) suggerierte, es handele sich um einen einzigen Sektor, während tatsächlich informelle Tätigkeiten in einer Vielzahl von Sektoren gemeint waren (Flodman Becker 2004).
Insgesamt hätte die Arbeit auch von einer besseren Einordnung in Institutionen – (vgl. exemplarisch Lindner 1999) oder netzwerkorientierte Debatten der Wirtschaftsgeographie bzw. (Geographischen) Entwicklungsforschung profitiert. In diesem Kontext hätte die Autorin sicherlich auch dem Begründer des Konzepts der strong/weak ties entsprechend Referenz erweisen müssen (vgl. Granovetter (1973): The Strength of Weak Ties). Trotz dieser Kritik und einigen kleineren inhaltlichen Ungenauigkeiten (eigentümlich ist etwa, im Rahmen von qualitativer Forschung von Hypothesen zu sprechen, die verifiziert oder falsifiziert werden sollen) stellt Jasmin Schipplers Buch insgesamt eine lesenswerte Lektüre dar.

Stefan Ouma

 

Literatur

Fine, B. (1999): The developmental state is dead – long live social capital? In: Development and Change 30 (1), 1–19.

Flodman Becker, K. (2004): The informal economy. Fact finding study for the Swedish International Development Cooperation Agency.

    rru.worldbank.org/Documents/PapersLinks/Sida.pdf (12.08.2010).

Lindner, P. (1999): Räume und Regeln unternehmerischen Handelns – Industrieentwicklung in Palästina aus institutionenorientierter Perspektive. Erdkundliches Wissen. 129. Stuttgart.




Böhn, Dieter und Rothfuss, Eberhard (Hg): Entwicklungsländer I. Handbuch des Geographie-Unterrichts 8. 316 S. 45 Abb. Tab. und Graphiken. Aulis-Verlag Deubner, Köln 2007, € 52,-

Entwicklungsländer II. Handbuch des Geographie-Unterrichts 8. 288 S., 83 Abb. Aulis Verlag Deubner, Köln 2007, € 48,-

Die Herausgeber dieses zweibändigen Handbuches verfolgen ein sehr ambitioniertes Projekt. So ambitioniert, dass der Verlag ein Beiblatt in den ersten Band einlegte (adressiert an „die Bezieher des Gesamtwerkes Handbuch des Geographieunterrichts“) mit dem Hinweis, dass die Stofffülle bei diesem Band so gross gewesen sei, dass er in zwei Teilbände aufgeteilt werden musste. (Der Hinweis wird verbunden mit der Bitte um Verständnis). Band 1 dieses Handbuchs beinhaltet einen „allgemeingeographischen Teil“, Band 2 den „regionalgeographischen Teil“. Umrahmt werden diese beiden Hauptteile mit einem einführenden und einem unterrichtspraktischen Teil.
Eigentlich ist ja bereits der Begriff „Entwicklungsländer“ erklärungsbedürftig, insbesondere, wenn darunter so unterschiedliche Länder wie Brasilien, Mali und Usbekistan subsumiert werden. Aus diesem Grund werde ich mich in dieser Rezension auf diejenigen Teile des Bandes konzentrieren, die sich mit der Begriffsklärung von „Entwicklung“ beschäftigen. Denn hier vereint das Handbuch einige interessante Beiträge und bietet eine Konsolidierung der in der deutschsprachigen geographischen Entwicklungsforschung oft sehr verteilt und bruchstückhaft verfolgten Theoriediskussion, die zwar gelegentlich auf den internationalen Forschungsstand Bezug nimmt, aber dabei ihre ganz eigene Dynamik behalten hat. Manchmal erscheint dies eher als „verspätete“ Rezeption (wie man bei der diesjährigen GAE Tagung zu „Postdevelopment“ vermuten könnte, einem Thema, das international vor 15 Jahren auf die Agenda kam und mittlerweile eher in den Hintergrund gerückt ist), doch sind daraus auch originelle Beiträge entstanden, die stärker noch als in der Vergangenheit in die internationale Debatte zurückgefüttert werden könnten.
Dass dieses Handbuch nicht einseitig auf die deutschsprachige Theoriediskussion begrenzt bleibt, zeigt sich zum Beispiel im Beitrag von Jörg Gertel, der eine Art Landkarte der disziplinären Theoriediskussion zeichnet und dabei unter dem Stichwort „Konstruktivistische Entwicklungstheorien“ die Postkolonialismusdebatte nachzeichnet, aber auch Haraways Kritik an der Technowissenschaft auf die Problematik von Entwicklungsinterventionen und Agrarforschung überträgt. Solche Anregungen vermisst man in anderen Übersichtsdarstellungen zur geographischen Entwicklungsforschung weitgehend, in der die Diskussion zu postdevelopment und Postkolonialismus, wie er in Anschluss an Said und Escobar international geführt wird, kaum thematisiert wird (z.B. Bohle 2007; Rauch 2008; Scholz 2004). Und dennoch: In der Auseinandersetzung mit postdevelopment in der deutschsprachigen Entwicklungsgeographie fühlt man sich manchmal wie in der Geschichte von Hase und Igel. Selbst einige der Exponenten des postdevelopment, wie Arturo Escobar zum Beispiel, haben in jüngeren Arbeiten ihre Thesen nuanciert, relativiert und vertieft. Auch deshalb wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Debatte in diesem Handbuch, aber auch in der fachwissenschaftlichen Debatte wünschenswert.
Eberhard Rothfuss bietet eine hilfreiche Auslegeordnung von Phasen der deutschsprachigen Entwicklungsgeographie, wie sie zum Beispiel auch Theo Rauch (2008) oder Fred Scholz (2008) skizziert haben. Bei aller ordnenden Überzeugungskraft implizieren solche Phasen oder Paradigmensortierungen jedoch meist eine normative Teleologie in Richtung „modernerer“ Ansätze, die damit (unbewusst?) die teleologische Logik vieler Entwicklungstheorien selbst spiegelt. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang eher, dass die geographische Entwicklungsforschung sich vor dreissig Jahren sehr viel intensiver und selbstbewusster mit Gesellschaftstheorien auseinandergesetzt hat, als dies derzeit der Fall ist. Auch scheint es nach der Jahrtausendwende zu einer Aufsplitterung des Forschungsfeldes gekommen zu sein, was übergreifende Kontroversen, die ja durchaus klärende Wirkung haben können, eher erschwert hat. In diesem Prozess hat die geographische Entwicklungsforschung, so mein Eindruck, innerhalb der deutschen Hochschulgeographie an intellektuellem Einfluss verloren.
Andere Beiträge im Handbuch bieten hilfreiche Einführungen in verschiedene Denkschulen der deutschsprachigen Entwicklungsgeographie. Fred Krüger schreibt über Erklärungsansätze „mittlerer Reichweite“, wo die deutschsprachige Entwicklungsgeographie wichtige Beiträge, insbesondere in der Verwundbarkeits- und Risikoforschung, geleistet hat. Dabei zeigt der kurze Beitrag auf, dass eigentlich viel theoretischer Klärungsbedarf besteht, zum Beispiel über die Bedeutung „mittlerer Reichweite“, die Konzeptionen von Handlungsfähigkeit (und man mag hinzufügen: Resilienz), insbesondere aber auch des livelihoods-Ansatzes, der zwar weiterhin in vielen empirischen Arbeiten angewendet wird, dessen theoretische Prämissen in der internationalen Diskussion jedoch höchst umstritten sind. Interessant sind auch die sehr originellen und aus der Entwicklungstheorie und -praxis fundierten Anregungen Theo Rauchs für einen Multiebenenansatz zur Erklärung interner und externer Einflüsse auf Entwicklung. Vielleicht könnte in diesen Diskussionen eine Rückbesinnung, ein Wiederlesen grundlegender Beiträge der Bielefelder Schule (Elwert, Evers) eine neue Reflexionsschleife auslösen.
Insbesondere wünschte ich mir auch eine stärkere Berücksichtigung von Ansätzen, die sich mit ethnographies of aid, mit der Erforschung der Praxis der Entwicklungsarbeit beschäftigt, also der Frage, „wie“ Entwicklung gemacht wird (vgl. Korf 2004, implizit auch: Dörfler, Graefe und Müller-Mahn 2003). Dieses Forschungsfeld spricht Rothfuss in seinem Aufriss zwar an, doch wird es in den anderen Beiträgen des Handbuches nicht weiterverfolgt. Dabei besteht gerade an der oft ungeklärten Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, zwischen Entwicklungsforschung und Entwicklungsarbeit ein begrifflicher und konzeptioneller Klärungsbedarf (Lund 2010).
In manchen Teilen etwas störend ist, wenn entwicklungsgeographische Theoriedebatten weitgehend losgelöst von Nachbardisziplinen und anderen „Teilgeographien“ geführt werden. Warum wird zum Beispiel bei der Diskussion fragmentierender Entwicklung nicht viel stärker auf die sozialwissenschaftliche Globalisierungsdebatte Bezug genommen (vgl. zum Beispiel den Überblick in Backhaus 2009)? Interessant, für manche aus der Neuen Kulturgeographie geschulte Leser vielleicht etwas anachronistisch anmutend, sind die regionalgeographischen Länderbeispiele. Länderbeispiele können aber, auch wenn sie vielleicht zum räumlichen Containerdenken einladen, zur Exemplifizierung komplexer Beziehungsgefüge nicht nur didaktisch von Wert sein. Sehr gelungen fand ich zum Beispiel die detaillierte und differenzierte Darstellung zur politischen Ökonomie der Dürren in Mali (Schmidt-Wulffen). Und dass area studies nach dem Poststrukturalismus nicht obsolet geworden sind, jedoch anders gedacht werden sollten, haben schon Gibson-Graham (2004) hervorgehoben. (Und folgerichtig ist genau dies das Thema der Tagung Neue Kulturgeographie VIII in Erlangen im Januar 2011).
Man könnte natürlich auch die Themenwahl kritisch beleuchten. Zwar werden verschiedene „Sektoren“ und Themenfelder behandelt, von der Bevölkerungsproblematik (Bähr und Dünckmann), der Migration (Lohnert) zu Gesundheitsfragen (Leisch), Urbanisierungsprozessen (Kraas), Bildung (Adick) oder Gender (Hillmann). Warum aber nicht: Naturkatastrophen, Bürgerkriege, postsozialistische Transformation (obwohl diese zumindest im regionalgeographischen Teil durch den Beitrag von Jörg Stadelbauer zu Kirgistan und Usbekistan abgedeckt wird) oder die Verbindung von Terrorismus und Entwicklungsfragen. Und man könnte fragen: Macht ein solcherart sektorieller Ansatz noch Sinn, wo diese Themenfelder eng miteinander verknüpft sind?
Es ist heute sicher kein leichtes Unterfangen, ein Handbuch für den Schulunterricht ausgerechnet zur Entwicklungsproblematik zu verfassen. Zu sehr gehen hier theoretische Ansätze, Erklärungsmodelle und auch die empirischen Lebenswelten unterschiedlicher Gesellschaften, die früher unter dem Begriff Entwicklungsländer vereint waren, auseinander. Umso mehr haben die beiden Herausgeber meine Anerkennung, dass sie genau dies unternommen haben. Und vielleicht könnten diejenigen unter uns Hochschulgeographinnen und -geographen, die sich noch mit Entwicklungsgeographie(n) beschäftigen, dies als Ansporn verstehen, wieder mehr theoretische Lebendigkeit in unser Forschungsfeld zu tragen.

Benedikt Korf

 

Literatur

Backhaus, N. (2009): Globalisierung. Braunschweig.

Bohle, H.-G. (2007): Geographische Entwicklungsforschung. In: Gebhardt, H.; Glaser, R.; Radtke, U. u. Reuber, P. (Hg.): Geographie. Heidelberg, 797–815.

Dörfler, T.; Graefe, O. u. Müller-Mahn, D. (2003): Habitus und Feld. Anregungen zu einer Neuorientierung der geographischen Entwicklungsforschung auf Grundlage von Bourdieus Theorie der Praxis. In: Geographica Helvetica 58 (1), 11–23.

Gibson-Graham, J. K. (2004): Area studies after post-structuralism. In: Environment and Planning A 36, 405–419.

Korf, B. (2004): Die Ordnung der Entwicklung: Zur Ethnographie der Entwicklungspraxis und ihrer ethischen Implikationen. In: Geographische Zeitschrift 92 (4), 208-226.

Lund, C. (2010): Approaching development: an opionated review. In: Progress in Development Studies 10 (1), 19–34.

Rauch, T. (2008): Geographische Entwicklungsforschung: Zum Umgang mit weltgesellschaftlichen Herausforderungen. In: Kulke, E. u. Popp, H. (Hg.): Umgang mit Risiken: Katastrophen – Destabilisierung – Sicherheit. Bayreuth, Berlin, 203–219.

Scholz, F. (2004): Geographische Entwicklungsforschung. Berlin, Stuttgart.




Bender, Oliver; Evelpidou, Niki; Krek, Alenka and Vassilopoulos, Andreas (eds.): Geoinformation Technologies for Geocultural Landscapes: European Perspectives. XV and 291 pp., numerous figures and tables. Taylor & Francis Group, London 2009

The 291 page book is the result of the work of an international and interdisciplinary working group. The researchers involved have professional backgrounds such as geography, GIS, remote sensing, photogrammetry, urban/regional/environmental planning, cartography and archaeology. The book targets a wide range of potential readers, but focuses in particular on “scholars, students, planners, policy makers involved in the protection of cultural and natural heritage” (p. IX). The contents and the didactical approach of this book were selected carefully to address this diverse target group in the most appropriate way.
The book consists of 14 separate articles, written by a total of 30 different authors. The papers are grouped into one comprehensive introduction paper and four technical parts, each consisting of three or four articles. The first part focuses on data capturing, the second on data preparation, the third on data analysis and interpretation. The fourth and last part presents three different case studies. The length of the articles varies between 12 and 32 pages, all articles follow (largely) a common structure. The book includes a multitude of figures, tables, maps etc., but unluckily it neither contains an index of figures and tables, nor a keyword index. Probably to keep the printing costs low, all figures are in black and white (greytone) images only. This somewhat limits the illustrative effect of several figures, but most images seem to be optimised carefully for black and and white printing, and hence in most cases the lack of colour does not pose a crucial disadvantage.
Scientific books edited by several persons and containing articles from numerous authors are often somewhat disappointing. Even if the individual papers are interesting, they frequently do not form a convincing ensemble, because the included papers duplicate rather than complement contents and because the articles are written in different styles. Hence, such books frequently turn out to be merely unrelated ‘collections’ of papers which happen to address a (more or less) common overall topic.
This book, however, is a good example of how to do such a job properly! A lot of effort was put into fine-tuning the articles so that they complement each other with a minimum of duplication. Likewise important, the 14 papers show a similar ‘level’ and style of writing and are also well-understandable for those who are not Geoinformation specialists. The effort made to compile an ‘easy to read’ book is also visible by frequent cross-referencing between the 14 articles and short glossary-like explanations of important technical terms and acronyms. The cross-references and glossary entries are given in a separate column at the edge of the pages, making it easy and convenient for the reader to find the desired information on the respective issue of interest. Having made all this effort to assist the reader to find his way through the book, it is a bit incomprehensible that – as mentioned above – the book does not include figure, table and keyword indices. Especially for students and lecturers such indices, would have added considerable practical value.
Most of the papers in the book do not present (and do not intend to do so) the results of ‘cutting-edge’ research! Most of the contents presented are common knowledge within the various disciplines contributing their know-how to this book! The idea of this book is rather to summarise the most important technologies for landscape research in a well-structured and well-readable manner and to concentrate this know-how into one single volume. Obviously the second objective was to show how these technologies can be arranged to complement each other in order to address various landscape-related research questions/tasks. To achieve these two objectives, the book first describes the various technologies separately (Parts I, II and III) before case studies illustrate how to combine the various technologies (Part IV).
The introduction article is one of the highlights of this book. It discusses and defines important key terms and gives an excellent overview about landscape research and the role of geoinformation technologies within and for this field of research. The ‘primary data capturing’ section (Part I), describes the use of ‘mobile GIS’ and GPS, the benefits of aerial photos and the role of photogrammetry in data preparation as well as the use of satellite remote sensing. A fourth article addresses a somewhat more specialised topic, the use of airborne laser scanning (ALS, also known as LIDAR (light detection and ranging)).
The second part then focuses on the problems of data preparation and integration, such as dealing with geometric referencing problems and the integration of historical maps into a GIS data base. One of the papers describes in detail the different options of 3D data. The third part addresses the problems, tasks and related procedures and techniques of the analysis and interpretation stage, such as the use of geostatistics, spatial interpolation techniques and measuring terrain features. A third paper of this section describes how landscape metrics can be used to quantify landscape structure characteristics such as ‘landscape diversity’ or ‘landscape dissection’.
The third part of the book describes, illustrates and evaluates the combined use of various geoinformation technologies, using case studies from Greece, Spain and Austria/Hungary respectively. Various technologies described separately in the previous parts are used here to address specific research questions.
Overall Evaluation
As usual in such a collection of papers from numerous authors, the contributions vary to some extent with respect to the content quality, the comprehensibility of the text, the language (and English) quality and, finally, their potential for a ‘hands on’ transfer of the described methods and techniques to solve own research problems! All in all, however, this is an excellent, carefully edited book which will be useful for a great variety of readers and purposes. It can be used for self-study as well as for education and training purposes. It will also be of great value as a ‘starting point’ for solving own research problems. The well-selected topics of the papers complement each other and are written in a well-understandable manner, which summarises the issues without going too much into theory or technical nitty-gritty detail. If and where one is required to ‘dig deeper’, the extensive list of references gives the reader easy access to additional detailed information. The book closes a gap in this particular field and is a very valuable complement of the already existing literature. It should be part of every well-sorted GIS/Remote Sensing and Landscape Research library.

Thomas Christiansen

 

 

 

Schindler, Jörg und Held, Martin u. Mitarb. von Würdemann, Gerd: Postfossile Mobilität. Wegweiser für die Zeit nach dem Peak Oil. 301 S., zahlr. Abb., Tab. und Kästen. VAS Verlag, Bad Homburg 2009, € 19,80

Der moderne Verkehr ist fast vollständig vom Erdöl abhängig. Peak Oil, der inzwischen erreichte Höhepunkt der weltweiten Ölförderung, zeigt deutlich, wie wenig nachhaltig der fossil angetriebene Verkehr ist. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Ölangebot in naher Zukunft kontinuierlich abnehmen wird, wobei die Krise der Automobilindustrie in diesem Kontext zu sehen ist.
Wir sind gewöhnt, nur den Verkehr zu sehen und der hat in erster Linie die Verkehrsmittel und -infrastrukturen im Blickfeld. Eigentlich geht es jedoch um den Menschen und seine Mobilitätsbedürfnisse. Somit ist Mobilität der grundlegendere Begriff, weil er vom Menschen ausgeht. Gemäß den Autoren umfasst Mobilität die Beweglichkeit (Potenzialität), Bewegung (Verkehr) einschließlich des Ankommens (und Innehaltens) und das Bewegende (die Emotionen). Da stellt sich natürlich die Frage, wie die Mobilität für alle Menschen gesichert werden kann, wenn die bisher so billig und reichlich erscheinenden fossilen Energiequellen zur Neige gehen?
Die Autoren kommen in ihren Ausführungen zu dem Schluss, dass wir unausweichlich am Beginn einer epochalen Transformation vom fossilen Verkehr zu einer postfossilen Mobilität stehen. Mit ihrer Veröffentlichung erzählen sie die Geschichte dieser Transition und beschreiben sogenannte 7 Leitplanken, die für die postfossile Mobilität bestimmend sind: neben der Energieeffizienz, erneuerbare Energien, effizientere Raum- und Siedlungsstrukturen mit einer neuen Balance von Nähe und Ferne, Mobilitätschancen für alle (Nachhaltigkeitsprinzip der Verallgemeinerbarkeit), Körperkraftmobilität für Gesundheit und Wohlbefinden, mehr Beweglichkeit durch Verbindung von digitalen Diensten und Verkehr sowie die attraktive und emotional ansprechende Gestaltung postfossiler Mobilität in einem sich selbst verstärkenden Prozess.
Abschließend kommen die Autoren zu dem Fazit, dass wir auch in Zukunft mobil bleiben werden mit weniger Verkehr und weniger Energie – sprich die Mobilität der Zukunft hat eine neue Qualität. Das Buch stellt Akteure der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik auf dem Weg zur postfossilen Mobilität vor und Indikatoren machen die Entwicklung messbar und alternative Pfade konkretisieren die Richtung. Jenseits des aktuellen Hypes um Elektroautos ist das Buch der Wegweiser für die Zeit nach dem Peak Oil.

Thomas J. Mager

 

 

 

Furtado, Bernardo Alves: Modeling social heterogeneity, neighborhoods and local influences on urban real estate prices. Spatial dynamic analyses in the Belo Horizonte metropolitan area, Brazil. 233 S., 50 Abb. und 48 Tab. KNAG, Faculteit Geowetenschappen Universiteit Utrecht, Utrecht 2009, € 25,-

Das Ziel dieser Dissertation spiegelt sich im Titel deutlich wider: Die Erstellung eines sozialräumlichen Modells für Belo Horizonte, wobei Nachbarschaften, definiert als Human Development Unit mit mindestens 400 Haushalten und „socially, economically and environmentally homogenious“ (S. 89) eine wesentliche Rolle spielen genauso wie die wechselseitigen Beziehungen zwischen heterogenen Nachbarschaften und anderen Faktoren wie Zugang/Erreichbarkeit, Vorhandensein von infrastrukturellen Einrichtungen, öffentlichen und privaten Dienstleistungen etc. Dass diese lokalen Strukturen einen Einfluss auf die Immobilienpreise haben, dürfte spätestens seit Alonso (1964) klar sein, (fast) neu ist hier die Frage, wie sie zur Verbesserung von Bodenpreismodellen beitragen können (S. 18).
Der erste Teil beinhaltet in zusammengefasster Form, aber auf hohem Niveau, eine Diskussion stadtökonomischer Parameter und Modelle, wobei besonders das von White/Engelen (1993) im Mittelpunkt steht. Darauf basiert das am Research Institute for Knowledge Systems (Maastricht) entwickelte METRONOMICA-System, das definiert ist als „a modeling and simulation package for development of high-resolution land use-models“ (S. 64) und der Auswertung der empirischen Datenanalyse dient.
Im zweiten Teil steht zunächst das „Entwicklungsschema“ des rapiden Verstädterungsprozesses in Brasilien seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sowie der Metropolitanregion von Belo Horizonte im Vordergrund. Dann folgt – methodisch ausgesprochen anspruchsvoll – mittels multivariater statistischer Verfahren die ökonometrische Analyse verschiedener sozioökonomischer und stadtstruktureller Variablen, die in aggregierter Form zu bestimmten Indizes führen (z.B. des Nachbarschaftsqualitätsindex), und der Immobilienpreise. Den Untersuchungen liegen viele Zensus- und andere Daten auf „Zellenebene“ (86 x 86 m!) zugrunde, die zu Nachbarschaften aggregiert werden, was eine großmaßstäbliche Analyse erlaubt, sowie 5.512 Angaben zu Immobilientransfers in Belo Horizonte zwischen Juni und August 2007, eine vielleicht zu kurze Spanne?
Ergebnisse sind zunächst sozialräumlich-funktionale Gliederungen für Belo Horizonte im Dekadenrhythmus zwischen 1900 und 1990, wirkungsvoll ergänzt durch die Einbeziehung z.T. simulierter Bodenpreise für 1991, 2000 und 2007. Das „economic model“ (S. 181) spiegelt für die jeweiligen Zeitabschnitte die sozialräumliche Heterogenität von Belo Horizonte anschaulich wider, die vor allem durch unterschiedliche Einkommen und – dadurch wesentlich beeinflusst – unterschiedliche Nachbarschaften bestimmt werden.
Leider unterbleibt eine sozialräumlich-qualitative Interpretation der Untersuchungsergebnisse wie auch die Einbeziehung nicht erst seit heute wichtiger sozio-ökonomischer Parameter (Informalität, Sicherheit/Gewalt, constraints-Prozesse etc.) und der stadtgeographischen brasilianischen Literatur über Belo Horizonte, die durchaus Aussagen zu sozialräumlichen Gliederungen enthält.
Immerhin räumt der Autor abschließend ein, dass „the main limitation of this research is that it aims to understand economic factors as organizers of urban dynamics and structure“ (S. 183), eine nicht unbedingt neue Erkenntnis ist.

Günter Mertins




Nadjibi, Said Abdul Asis: The Children of Peace. Die Kinder des Friedens. 135 S. Bahir Printing Press, Kabul 2010, € 20,-

In Kabul leben ca. 80.000 Straßenkinder; landesweit wird ihre Zahl auf über eine halbe Million geschätzt. Sie gehören zu den Verlierern einer rasanten Entwicklung, die das Land mit einem Bevölkerungsanteil von mehr als 70% Menschen, die jünger als 35 Jahre sind, prägt. Dies verdeutlicht die große Notwendigkeit intensiver Aufbaumaßnahmen im Bildungsbereich mit dem Ziel einer langfristigen Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungsstruktur. Abseits dieser Maßnahmen steht eine große Zahl von Kindern und Jugendlichen, die keine Möglichkeiten zu einem Schulbesuch haben oder deren Schulstunden von wirtschaftlichen Zwängen, wie der Notwendigkeit, vor der Schule oder danach als Straßenverkäufer, Träger oder Hilfskräfte aller Art etwas Geld verdienen zu müssen. Oft sind sie die Hauptverdiener in Familien, deren Väter nicht mehr arbeiten können oder nicht mehr vorhanden sind. Der Band vermittelt auf schonungslose Art über 120 Bilder von „Kindern des Friedens“ aus Kabul und den afghanischen Provinzen, wie sie der Autor, der lange als Berater des Ministry of Education in Kabul arbeitete, seit dem Jahr 2002 kenngelernt hat. Alle Aufnahmen sind in Dari und Englisch kommentiert. Sie vermitteln auf gleichermaßen eindrucksvolle wie bedrückende Weise, die Tatsache, dass viele der Probleme der jungen Generation Afghanistans mit der Niederringung des alten Regimes und dem Hereinbrechen der Flut internationaler Helfer noch weit davon entfernt sind, einer nachhaltigen Lösung entgegen blicken zu können.

Andreas Dittmann

 

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