Book reviews 2009 [4]
Boldt, Kai-William und Gelhar, Martina: Das Ruhrgebiet. Landschaft, Industrie, Kultur. 168 S., zahlr. Tab. und farb. Abb. und Photos. WBG, Primus Verlag, Darmstadt 2008, € 39,90 / sFr 67,-
Wer als Geograph eine Monographie zum Ruhrgebiet in die Hände bekommt, wird sich an das dreibändige Werk) (1) von Hans Spethmann „Das Ruhrgebiet im Wechselspiel von Land und Leuten, Wirtschaft, Technik und Politik (Berlin, 1933) erinnern, in dem er seine grundlegende Kritik von 1928ff. an der länderkundlichen Praxis Hettnerscher Prägung, die unter dem Schlagwort „Dynamische Länderkunde“ in die Forschungsgeschichte eingegangen ist, ideal umgesetzt sehen wollte. Ohne darauf einzugehen, ob Spethmann seinen eigenen Ansprüchen mit diesem Werk gerecht wurde (er selbst zählte mehr als 80 Rezensionen dazu), so sollen die konzeptionellen Aspekte Spethmanns als fachspezifischer Hintergrunddiskurs für das hier zu besprechende Buch kurz reflektiert werden. Spethmann hatte die Überwindung des statischen und additiven Ansatzes des weithin verwandten „länderkundlichen Schemas“ gefordert, da das nicht selten zur Auflistung von Fakten führe, ohne dass die vorherrschenden Wesensmerkmale eines Erdraums sichtbar würden. Außerdem sei das menschliche Einwirken auf einen Raum stärker zu berücksichtigen als die morphologischen Gegebenheiten. Auch eine genetische Darstellung genügte ihm alleine nicht, da die Gegenwart Werdendes sei und ebenso in steter Umbildung begriffen. Vielmehr sei das prozesshafte Zusammenspiel von materiellen und immateriellen Sachverhalten herauszuarbeiten, und zwar „im Wechselspiel von Land und Leuten, Wirtschaft, Technik und Verkehr“, wie er im Untertitel seines Buches formuliert.) (2)
Auch wenn Ute Wardenga) (3) herausarbeitete, dass Spethmanns Kritik an Hettner auch von „karrieretechnischen“ Aspekten bestimmt wurde, so sind dennoch mit seinen Überlegungen wesentliche konzeptionelle Fragen einer aktuellen Landeskunde zum Ruhrgebiet angeschnitten, geht es doch damals wie heute um eine hochkomplexe Kernregion Deutschlands, die es in einer „modernen regionalen Geographie“ (so die Autoren) darzustellen gilt. Konnte Spethmann das Ruhrgebiet gleichsam auf dem Höhepunkt seiner industriellen Entwicklung erfassen, so mussten Boldt und Gelhar neben dem Industrialisierungsprozess auch den Deindustrialisierungsprozess seit den 1960er Jahren sowie den folgenden postindustriellen Umbau der Region einbeziehen. Sie konnten sich dabei nicht auf mehreren hundert Seiten in drei Bänden wie Spethmann ausbreiten, sondern mussten ihre Ausführungen ungleich stärker als Spethmann zuspitzen, denn ihnen standen nur gut 170 Seiten zur Verfügung. In leichtem Fachchinesisch – die werten Fachkollegen und -kolleginnen mit ihren oft dezidierten Vorstellungen zu Theorie, Praxis und Wert landeskundlichen Arbeitens sieht man ihnen beim Schreiben gleichsam über die Schultern schauen – formulieren sie ihre Zielsetzungen wie folgt: „Auf der Basis der raumrelevanten Historie und des sektoralen Fachschemas werden aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen von Umwelt und Kultur integrativ (geosystemar) diskutiert – mit dem Ziel, nachhaltige Leitbilder und Lösungen zu motivieren und das Bewusstsein von Fachkollegen, Studierenden und interessierten Lesern für eine Region anzuregen, deren Stärke auch für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung sein wird“ (S. 7f.). Bei der Konzeption ihres Buches mussten die Autoren zudem die Publikationspolitik der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft beachten, die interessierte Laien als Kunden definiert, da sie erst eine wirtschaftliche Auflagenhöhe garantieren. Der Blick auf einen breiteren Leserkreis erklärt sicherlich die reiche Bebilderung des Bandes, sie spiegelt zugleich aber das Konzept des Bandes trefflich wider: Zum einen werden alle Fotos, die ausschließlich von den Autoren stammen und durchweg aussagestark sind, durch die Angabe der Standorte im Himmelsgradnetz in den Bildunterschriften geographisch-exakt verortet, zum anderen wird darin auch ein dekonstruktivistischer Zugang zur Region sichtbar, denn die Übersichtskarte mit den Standorten der Objekte, die die Fotos abbilden, wird so unterschrieben: „Die Fotos im Buch – symbolische Orte der Ruhrgebietskultur“, und im Nachwort wird sodann hervorgehoben, „dass die Beispiele, die im fachlichen Diskurs von Fotos und der Interpretation ihrer Symbolgehalte vorgestellt wurden, […] selektiv und natürlich auch subjektiv ausgewählt wurden; sie geben einen Ausschnitt der individuellen Wahrnehmung des komplexen Ruhrgebiets wieder. Damit soll der Leser ganz bewusst angeregt werden, seinen eigenen sense of place im Dreiklang von Landschaft, Industrie und Kultur zu entdecken oder zu entwickeln.“ Hier schreiben also nicht Geographen als Fachleute für das Regionale die einzig denkbare Landeskunde zum Ruhrgebiet, was den eingangs skizzierten Diskussionen um die „richtige“ Landeskunde für uns Heutige einiges an Schärfe nimmt, sondern es wird im Sinne eines postmodernen Wissenschaftsverständnisses, in dem Konstruktivismus und Diskursanalyse Leitprinzipien sind, eine Variante von etlichen möglichen Landeskunden vorgelegt.
Die erwähnte Karte zeigt dennoch einen Minimalkonsens darüber, was den räumlichen Kern des Ruhrgebiets ausmacht. Auch wenn die Autoren aus pragmatischen Gründen das Gebiet des Kommunalverbandes Ruhr in Karten und Statistiken als „Ruhrgebiet“ umreißen und damit bis an den Niederrhein ausgreifen, so stammen die meisten Fotos doch aus dem Raum zwischen Ruhr und Emscher, der sowohl in der Außen- wie in der Fremdwahrnehmung für gewöhnlich als das Ruhrgebiet bezeichnet wird. Damit sei ein Raum mit einem spezifischen sense of place erfasst, der in einer „atmosphärischen Ambivalenz von Natur und Industriekultur“ bestehe (S. 125). Aus dieser Ambivalenz erklärt sich sodann das Bemühen der beiden Autoren, die aus den beiden großen Teildisziplinen der Geographie kommen (Kai Boldt aus der Naturgeographie – Martina Gelhar aus der Humangeographie), um eine enge Verbindung natur- und humangeographischer Aspekte in der textlichen Darstellung. Das zieht sich das ganze Buch hindurch. Beispielhaft für diesen Zugang werden im ersten Hauptkapitel „Was ist wo warum? Der Naturraum und sein wirtschaftliches Potential“ auf gut 25 Buchseiten durchaus in der Tradition der klassischen länderkundlichen Geographie erst einmal geologisch-morphologische Details dargelegt; es ist aber zu bemerken, dass es letztlich um Fragen der Möglichkeiten und Probleme der industriellen Nutzung der natürlichen Ressourcen geht. Das Bemühen, die Breite der fachlichen Zugänge der Geographie zum Tragen zu bringen, ist auch im Kapitel „Umwelt im Fokus“ zu greifen. Darin werden wirtschaftsgeographische Aspekte des Wandels der energetischen Basis der Region und aus naturgeographischer Sicht Beispiele von „Industrienatur“ angesprochen.
Der Fokus des Buches auf den speziellen sense of place des Ruhrgebiets erklärt auch, warum die oben erwähnte „raumrelevante Historie“ vor allem die Zeit der Industrialisierung seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts meint. Die Überschrift des Kapitels „Der Blick zurück – die Geschichte des industriellen Ruhrgebiets“ ist in diesem Sinne konsequent. Wenn aber für die Epochen von der Steinzeit bis zum Beginn der Industriellen Revolution gerade einmal zwei Doppelseiten bereitgestellt werden, wovon die unteren Seitenhälften noch dazu mit großformatigen Fotos des Schlosses Lauerfort und der ehemaligen Zisterzienserabtei Kamp gefüllt sind, so werden damit längere Entwicklungslinien der Ressourcennutzung aus der Feudalzeit abgeschnitten, die das Ruhrgebiet bis heute prägen; Spethmann hatte diesen Zeiten trotz seiner Kritik am genetischen Ansatz immerhin noch die erste Hälfte des ersten Bandes gewidmet.
Unbeschadet dieser Kritik wird die Darstellung des Aufstiegs des Ruhrgebiets im 19. Jahrhundert zum größten Industriegebiet Deutschlands sowie sein Niedergang in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg didaktisch sehr geschickt an das Modell der „Langen Wellen wirtschaftlicher Entwicklung“ angelehnt. Das zeigt, wie eingebunden das Ruhrgebiet in globale Prozesse war und ist, so dass Versuche der regionalen Steuerung des Strukturwandels, wie sie im Kapitel „Der Pott kocht – immer noch“? anschaulich dargestellt werden, immer nur beschränkt wirksam sein konnten; vor allem der ausführlich beschriebene und vergebliche Kampf um Rheinhausen zeigt das sehr deutlich.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Autoren darauf achten, die raumzeitliche Differenzierung der Prozesse von Industrialisierung und Deindustrialisierung herauszuarbeiten. Das gelingt besonders gut rund um ein Flussdiagramm zur Erklärung der Disparitäten zwischen Hellweg- und Emscherzone (S. 59). Solche Kenntnisse sind bedeutsam für die Entwicklung räumlich differenzierter Planungen zur Abfederung des Deindustrialisierungsprozesses und für den differenzierten Umgang mit den persistierenden materiellen und immateriellen Hinterlassenschaften, die ja in der Region ungleich verteilt sind.
Im Sinne eines eher paradigmatischen Ansatzes werden die relevanten Großprojekte des Strukturwandels wie die IBA Emscherpark im Buch nicht nur beschrieben, vielmehr wird aufzuzeigen versucht, inwieweit das Ruhrgebiet allgemein für postindustrielle Raum- und Gesellschaftsentwicklungen stehen kann. Dabei greifen die Autoren auf die jüngeren einschlägigen Diskurse in den raumbezogenen Disziplinen zurück. Das macht das Buch auch als Hinweis auf allgemeine aktuelle Forschungsdiskurse in der Raumplanung und Regionalpolitik für Studenten interessant.
Der im Wesentlichen chronologische Durchgang durch die Geschichte des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert wird in den letzten Kapiteln ein wenig gebrochen, indem die Leistungen einiger großer Persönlichkeiten wie Alfred Krupp und August Thyssen aus der Hochphase der Industrialisierung herausgestellt werden. Abschließend werden unter dem Stichwort „Ruhrdeutsch“ bekannte Stereotypen zum Ruhrgebiet in einer Mischung von Information und Dekonstruktion erklärt; einen ähnlichen Ansatz findet man in dem ein wenig zu modisch geratenen Rekurs auf die Schauplätze der bekannten Schimanski-Krimis.
All das liest sich sehr gut, die Sprache ist peppig, ohne allzu oft ins gewollt Modische zu überdrehen; hilfreich für den Nichtgeographen sind die knappen Erklärungen von Fachtermini als Randnotizen. Die Bebilderung stammt einzig von den Autoren, was deren intensive „Erfahrung“ des Ruhrgebietes zeigt, und die graphische Gestaltung ist dankenswerter Weise konservativ-dienend. Erfreulich ist zudem, dass das Literaturverzeichnis so umfangreich werden durfte, dass der interessierte Leser die Chance hat, die Quellen des Wissens der Autoren zurückzuverfolgen und einzelne Aspekte durch gezielte Lektüre zu vertiefen.
Mit Blick auf die eingangs angeschnittenen Diskussionen um Fragen der Konzeption einer Landeskunde zum Ruhrgebiet kann man konstatieren, dass Boldt und Gelhar ein Buch vorgelegt haben, das die Entwicklung und den aktuellen Zustand des Ruhrgebiets durchaus aus dem prozesshaften Zusammenspiel von materiellen und immateriellen Sachverhalten erklärt. Wenn Boldt und Gelhar damit eine mehr als 70 Jahre alte Forderung Spethmanns nun in ihrem Buch einlösen, so bedeutet das kein konzeptionelles rollback, sondern ist Ausdruck eines ähnlichen Geographieverständnisses von Spethmann und der beiden Autoren. Sie sehen das Fach offenkundig als Einheit und nutzen die daraus erwachsenden Chancen, eine gut lesbare und vorzüglich bebilderte und dazu problemorientierte Landeskunde von großer sachlicher Breite und hoher Informationsdichte zu schreiben.
(1): 1995 erschien ein zweibändiger Reprint der Ausgabe von 1933/38 im Umfang von 1050 Seiten im Klartext-Verlag. Er fasst folgende Bände zusammen: Band 1: Von der Vorrömerzeit bis zur Gestaltung eines Reviers in der Mitte des 18. Jahrhunderts; Band 2: Die Entwicklung zum Großrevier seit Mitte des 18. Jahrhunderts; Band 3: Das Ruhrrevier der Gegenwart.
(2): Siehe dazu die Einführung „Hans Spethmann und die Geographie – Aspekte einer schwierigen Beziehung“ von Gustav Ihde und Hans-Werner Wehling in dem vorab erwähnten Reprintband, besonders S. XVII.
(3): Siehe dazu Wardenga, Ute (1991): Geographie als Chorologie. Zur Genese und Struktur von Alfred Hettners Konstrukt der Geographie. Erdkundliches Wissen 100. Stuttgart.
Grischkat, Sylvie: Umweltbilanzierung von individuellem Mobilitätsverhalten. Methodische und gestaltungsrelevante Ansätze. 274 S., 31 Abb. und 50 Tab. Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 21. Verlag MetaGIS Infosysteme, Mannheim 2008, € 38,-
Mobilität steht für die Mehrzahl der Menschen für Freiheit und Unabhängigkeit. Zunehmende Mobilität hat aber auch eine Kehrseite: die Umweltbelastung nimmt durch die immer höher werdende Verkehrsbelastung ebenfalls immer weiter zu. Die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen aus dem motorisierten Verkehr tragen zur Erwärmung der Atmosphäre, im Allgemeinen als „Klimawandel“ bezeichnet, bei. Ansätze diese Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, basieren vorrangig auf technischen Lösungsmöglichkeiten, Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer spielten in Klimaschutzprogrammen und -strategien bisher kaum eine Rolle. Wenig bekannt ist, welche Auswirkungen das individuelle Mobilitätsverhalten auf die Emissionen von Treibhausgasen hat und wie hoch die Reduktionspotenziale sind, wenn sich das Verkehrsverhalten von Einzelnen bzw. Personengruppen verändern würde.
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, die Auswirkungen des Klimawandels in Grenzen zu halten, um ein lebenswertes Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Maßnahmen, die zu einer Reduktion von Treibhausgasen führen, sind gefragt. In der vorliegenden Veröffentlichung wird auf Basis einer standardisierten Erhebung und einer Umweltbilanzierung dieser Frage nachgegangen. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die Relevanz verschiedener soziodemographischer, räumlicher, Verhaltens- und Einstellungsfaktoren für die Emissionen von Treibhausgasen. Auf dieser Grundlage sowie den Erkenntnissen aus einer qualitativen Analyse über die Motive und Hemmnisse ausgewählter Bürger bezüglich der Nutzung verschiedener Verkehrsmittel und Mobilitätsangebote werden Potenziale von Verhaltensmaßnahmen als Beitrag zur Emissionsreduktion abgeleitet. Schließlich werden Handlungsansätze für politische und unternehmerische Entscheidungsträger vorgestellt, bei denen Emissionsreduktionen zu erwarten sind und die gleichermaßen die Mobilitätsbedürfnisse der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer berücksichtigen.
Voraussetzung für die Ermittlung der umweltseitigen Effekte von Verhaltensänderungen ist das Wissen um die Umweltwirkungen, die von verschiedenen Faktoren des Mobilitätsverhaltens ausgehen. So spielen die Verkehrsmittelwahl, zurückgelegte Entfernungen, der Auslastungsgrad der Fahrzeuge und die Häufigkeit des Unterwegsseins für die Umweltbilanz von Individuen eine Rolle. Basierend auf einer standardisierten empirischen Erhebung von Bewohnern dreier deutscher Großstädte wird eine Methodik entwickelt, die eine Umweltbilanzierung von individuellen Mobilitätsverhalten zulässt.
Die Umweltbilanzierung des individuellen Mobilitätsverhaltens lässt differenzierte Aussagen hinsichtlich der Umweltrelevanz des Mobilitätsverhaltens sowohl in Bezug auf die Gesamtstichprobe als auch auf individueller Ebene zu. Die Ergebnisse zeigen, dass jede Person der Stichprobe 1,8 Tonnen Treibhausgase in einem Jahr durch ihr Mobilitätsverhalten emittiert. Die meisten Emissionen gehen dabei zu Lasten der Erreichbarkeits- und Ausbildungswege (40%), der Urlaubswege (28%) und der Freizeitwege (24%). In der alltäglichen Mobilität des Einzelnen ist der Pkw mit entsprechend hohen Emissionsanteilen, im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln, dominant.
Die Verkehrsmittel des ÖV haben geringfügige Emissionsanteile sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr. Neben den zurückgelegten Distanzen, wie sie im Bereich des Urlaubsverkehrs besonders ins Gewicht fallen, wirken sich der Auslastungsgrad sowie die technischen Voraussetzungen der Fahrzeuge auf die Höhe der Emissionswerte aus. Je höher die Auslastung, desto weniger emissionsintensiv ist dessen Nutzung für den Einzelnen. Die Verteilung der Emissionen auf die betrachteten, unter verschiedenen Gesichtspunkten zusammengestellten Personengruppen zeigt, dass Bewohner Innenstadt naher Gebiete mehr emittieren als Bewohner von Umland- und Stadtrandgebieten. Es ist davon auszugehen, dass die Reduktionspotenziale steigen, wenn sich neben einer reinen Angebotsverbesserung weitere Rahmenbedingungen verändern (z.B. Erhöhung der Treibstoffpreise, konsequente Parkraumbewirtschaftung).
Die Ergebnisse dieser Arbeit verdeutlichen jedoch, dass das Mobilitätsverhalten und die Perspektive der Nutzer seitens der politisch Verantwortlichen verstärkt mitberücksichtigt werden sollten, wenn Maßnahmenpakete zur Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen z.B. im Rahmen der Erfüllung der Nationalen oder Europäischen Klimaschutzprogramme erstellt werden.
Steinecke, Albrecht: Themenwelten im Tourismus. Marktstrukturen, Marketing-Management, Trends. XIII und 349 S.,88 Abb. und 11 Tab. Oldenbourg Verlag, München 2009, € 39,80
Im Zuge der Erlebnisorientierung seit den späten 80er Jahren und mit einer Hochphase in den 90er Jahren haben Thematisierungskonzepte für Freizeit- und Urlaubsangebote eine weite Verbreitung gefunden. Kamen die Thematisierungskonzepte ursprünglich vor allem aus den klassischen Freizeitparks, sind mittlerweile eine Vielzahl von Einrichtungstypen thematisierend überprägt bzw. neu interpretiert worden. Gleichzeitig entstanden auch neue Einrichtungstypen, die von Beginn an dem Thematisierungsgedanken verpflichtet waren. Im Mittelpunkt des Bandes steht die vertiefende Analyse von fünf dieser Einrichtungen, Freizeit- und Themenparks, Themenhotels und -restaurants, Urban Entertainment Center, Markenerlebniswelten und Zoologische Gärten/Aquarien.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sog. Erlebniswelten ist derzeitig davon gekennzeichnet, dass für die Erfolgsfaktoren bzw. die Wirkung derselben bislang noch kein geschlossenes Theoriekonzept vorgelegt werden konnte. So bleibt der Begriff des Erlebnisses bis heute oftmals relativ unscharf und auch die Thematisierungswirkung ist letztendlich noch nicht sozialwissenschaftlich fundiert untermauert. Auch wenn der „Tourist Gaze“ mit seiner Sehnsucht nach Mythen und Illusionen sicherlich als zentrale Triebfeder für den Erfolg von Themenwelten anzusehen sind, bleiben doch bis heute Erklärungsdefizite.
Um es vorweg zu nehmen: Auch mit diesem Band werden diese Desiderate nicht gänzlich eingelöst. Gleichwohl gelingt es dem Verfasser, auf der Basis seiner langjährigen Erfahrung souverän und kompetent den aktuellen Wissensstand zu Typisierung, Themenspektren, Inszenierungstechniken und Erfolgsfaktoren aufzubereiten. Allerdings bleiben eben die Ausführungen zu neuen Werthaltungen und der sog. Erlebnis-Gesellschaft auf dem Status Quo stehen. Für ein Lehrbuch aber auch durchaus adäquat, keine neuen Erkenntnisse generieren zu wollen, sondern den aktuellen Wissensstand kompakt zusammen zu stellen. Und diesem Anspruch wird der Band auch ohne Wenn und Aber gerecht.
Illustriert mit einer Vielzahl von Photos wird das breite Spektrum von Angeboten in seiner Vielfalt vorgestellt. Vertiefende Case Studies zu den jeweiligen Typen bereiten darüber hinaus auch mit einer guten analytischen Tiefe unterschiedliche inhaltliche und Problemaspekte auf, wobei der Autor auf einen reichen Fundus an Primärerfahrungen zurück greifen kann, die dem Band zugute kommen.
Im abschließenden Kapitel wird dann die Frage nach der Zukunft der Themenwelten bzw. den Themenwelten der Zukunft aufgegriffen. Dabei werden eine Vielzahl von sich abzeichnenden Entwicklungslinien skizziert. Diese werden wohl mittelfristig dazu führen, dass als Gegenentwurf zum schrillen, lauten „Erlebnis“-Begriff der 90er Jahre ein neuer Begriff für diese Erlebnis- und Thematisierungsansätze gefunden werden muss, um die neue Dimension klar zu machen. Die Spurensuche nach den künftigen Trends wird in dem Band nicht marktschreierisch (wie das bei der Trendforschung leider oftmals der Fall ist), sondern bedächtig aus dem Status Quo heraus entwickelt. Allerdings bleiben am Ende des Kapitels dann doch einige Fragen nach der künftigen Entwicklung offen.
Insgesamt ist dem Verfasser mit dem Lehr- und Studienbuch ein Werk gelungen, das – nachdem die letzten Publikationen zur Thematik schon einige Jahre alt sind – wieder den aktuellen Stand der Entwicklung und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit thematisierten Freizeit- und Erlebniswelten kompakt vorstellt. Als Grundlagenlektüre für alle an Freizeit und Tourismus Interessierten wird es sich wohl zu einem Standardwerk entwickeln.
Weinreich, Matthias: „We are here to stay“: Pashtun migrants in the Northern Areas of Pakistan. 120 S. und 19 Abb. Islamkundliche Untersuchungen 285. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2009, € 29,50
Mobility in the mountains and exchange with the forelands have been driving forces for the spread of languages. The Hindukush and Karakoram ranges are no exception to this rule. In fact, they have been regarded over long periods of time as the sources of places of origin for a number of vernaculars and linguistic variegation. Matthias Weinreich addresses in his study a long neglected and under-studied phenomenon. He sheds light on the language environment of migrants who moved from the South into the bazaar towns and rural settlements of Northern Pakistan. Matthias Weinreich’s interest has been devoted to minority and endangered languages in their respective settings. He previously published on the rarely spoken and threatened language of Domaaki. In this slim volume he offers insights into the perceptions and living conditions of Pashto speakers. Infrastructure development of recent decades, epitomized in the construction of the Karakoram Highway and the opening of the Pakistan-China border for trade and exchange, has stimulated the inflow of enterprising individuals and their families. Dynamic and affluent businessmen, people on the search for menial jobs and wage labour, clerks, cobblers, barbers and cooks offering their professional services, ambulant traders in cloth, electric devices and household goods, collectors of waste paper, plastic garbage and tins, all belong somehow to the Pathan or Pashtun community, which is composed of a number of individuals. Some follow the tracks of relatives, who often originate from a wide-spread area of Pashtun settlements, others search for new openings. The challenge for the linguist is tremendous if the aim is to grasp such a diverse group of people who are supposed to speak the same language. Matthias Weinreich faces the challenge and composes a readable volume around the socio-linguistic setting of Northern Pakistan in which precision in providing historical evidence about socio-economic transformations sometimes falls short, but it is only the framework in which the migrants’ stories are embedded. The main body of the narrative is a valuable one and has a clear focus on the personal views and perceptions. We hear the voices of the Pashtun migrants, relating their experiences, their backgrounds and their relationships in a changing socio-economic setting of the bazaars and valleys. Individuals tell their biographies emphasizing why they are here and how they reached this point. A mosaic picture is presented in which the living conditions and communication patterns become transparent and vivid. The use of mother tongue, the mutual challenge of dialects and the adaptation of dominant idioms prevalent in the neighbourhood are articulated and commented upon. Thus, the findings contribute to a better understanding of the everyday life of migrants, their aspirations and experiences and their dynamic approach to new avenues and enterprises.
Hillmann, Felicitas und Windzio, Michael (Hg.): Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration. 334 S., Abb. und Tab. Budrich UniPress, Opladen, Farmington Hills 2008, € 36,- (D)/ € 37,10 (A)/ sFr 61,-
When talking about “migration and urban space“, segregation and integration are central topics, not only in geographic migration research, but also in urban planning and urban politics. Hence, the recent German publication “Migration und städtischer Raum. Chancen und Risiken der Segregation und Integration” (Own translation: Migration and Urban Space. Opportunities and Risks of Segregation and Integration”) promises to be insightful for a broad audience. The compilation is based on a selection of presentations given at a conference in Bremen in November 2007 which was organized by the interdisciplinary research group MIGREMUS (MIGration, REsidential Mobility and Urban Structure). The aim of the conference was to discuss empirical evidence on the causes and the effects of migration. The multiplicity of disciplines in this field is reflected by the affiliations of the authors who stem from the fields of sociology, geography, education, psychology and criminology, with a focus on the first two subjects.
As already expressed in the subtitle, the book, which is not available in English, aims to shed light on the risks and opportunities of migration, segregation and integration. It consists of seventeen articles which are organised in three sections: (1) “Segregation and changing urban space”, (2) “Migration in the life course”, and (3) “Migrants as actors of integration in social and institutional contexts”. In an introductory text the editors Felicitas Hillmann and Michael Windzio link the key concepts of this book: migration as a topic of urban development, segregation and integration. They discuss positive and negative effects of segregation on the integration of migrants and present different concepts of integration. Finally, Hillmann and Windzio give an overview of available data bases (e.g. Allbus, Mikrozensus and SOEP) on migration and integration in Germany.
The articles in the first section “segregation and changing urban space” focus on the development of segregation and on its effects. They are based on studies on the city scale which were conducted in Cologne, Vienna, Bremen and an urban area in the Ruhr conurbation. The studies take different perspectives on segregation: the role of intra-urban migration (Friedrichs/Nonnenmacher), the spatial distribution of a specific ethnic group (Kohlbacher/Reeger) and the attitude towards migrants living in segregated areas (Farwick). In contrast to these articles, which rely on the analysis of statistical data and survey data, is Polat’s study on educational segregation which refers to a case study of four elementary schools in a selected urban area.
The second section “migration in the life course” comprises a collection of quite different articles which are united by the fact that the decisions of individuals, in general migrants, or households are the centre of interest. Kathmann, Mau, Seidel and Verwiebe explore the emigration of skilled labour from Germany, a group that has only attracted little attention so far. Glorius examines the migration and the integration of Polish migrants in Eastern Germany. The articles of Kley and Schmithals focus on the effects of attachment to place on migration and return migration. They are the only articles in the compilation that do not deal with international migration nor international migrants. Finally, the articles of Horr and Wiesemann describe choice of location by households with a migrant background. While Horr compares households with migrant backgrounds to those without migrant backgrounds, Wiesemann compares households with a Turkish background who chose to live in neighbourhoods with a mainly German population to those who chose to live in neighbourhoods with a high share of Turkish inhabitants.
The third section is dedicated to integration. The articles focus on different dimensions of integration. Aspects of structural integration are addressed by Pichler who worked on educational careers of Italian migrants; by Yildiz who demonstrates how migrants influence urban development through their business activities in immigrant quarters; and von Schlichting who analyses the influence of the residence status on transnational lifestyles. She takes up a transnational perspective which is not limited to the integration into a so-called host society, but regards migration as a circular movement which involves integration into different places. A cognitive dimension of integration is taken by Vogel and Rinke who discuss the importance of the command of German for integration in Germany. Finally, three articles deal with the social dimension of integration. The contact of migrants to Germans is analysed as a dependent variable (Babka von Gostomski/Stichs) as well as an independent variable in relation to juvenile delinquency (Rabold/Baier). Furthermore, matchmaking rituals are investigated (Hense/Stürmer/Böer/Gamper) to find out whether arranged marriages lead to intra-ethnic partnership and social closure.
This brief overview shows the variety of the contributions to this book which is already indicated by the rather unspecific book title. This lack of focus might be problematic for the accessibility of some articles. For example, a text about matchmaking rituals is unexpected in a book called “Migration and urban space”. However, the broadness of the topics covered is very attractive, because this book shows an array of up-to-date migration research in Germany and Austria. It includes more traditional questions in human geography, like segregation and residential choice. Nevertheless, some results are not ‘traditional’ at all and deserve to be mentioned. For example, Friedrichs and Nonnenmacher find out that choice of location of Germans and non-Germans does not lead to an increased segregation, but to a mixed composition of urban areas in Cologne (p. 44). In addition, the compilation contains more innovative topics like, for instance, the project on emigration of German labour force. Other topics lie rather outside the geographic perspective, e.g. the role of the command of language or arranged marriages, but are still very important for the understanding of geographic research on migration and integration. Its interdisciplinarity is a particular quality of this compilation because it allows the reader to widen their horizon, not only with respect to content, but also to the reporting of the results. Regarding the variety of the content it would have been a difficult task for the editors to write a concluding chapter. However, such a text would have been desirable, particularly when reading the editors’ initial claim that this compilation should add to a migration research that conciliates the results of empirical analyses from sociology and geography and that is able to deduce research progress from their intersection (p. 25).
A criticism applies to the poor quality of some of the maps. Particularly those in the article of Kohlbacher and Reeger are not discernible in the black-and-white version. The editors deal with this problem constructively by providing the original versions of the coloured maps on the MIGREMUS’ website. Nevertheless, in a book which costs 36 Euros, the reader could expect a better solution that allows for clear black-and-white maps within the book. It would already have helped to enlarge the maps and to use symbols instead of five shades of grey.
In the introduction Hillmann und Windzio note that the more concrete an analysis of case studies is, the more questionable is the generalisation of the results. This question of generalisation also applies to this book which is a collection of empirical studies. However, these case studies are very inspiring. Therefore, aside from its minor limitations, this book is highly recommendable, not only to researchers in the field of migration, but also to other people who are interested in questions of segregation and integration.
Butakov, Aleksej Ivanovič: Tagebuch der Aralsee-Expedition 1848/49. Übers. und hrsg. von Max-Rainer Uhrig, mit Dokumentenanh. 138 S., 6 Abb. und 5 Karten. Edition Buran, Zell 2008, € 16,90
„Арал, который мы потеряли – Aral, den wir verloren haben“ (1) – so lautet die geradezu symbolhafte Einbegleitung einer Internetseite über den Aral-See. Die Geschichte der Entdeckung, Erschließung und Nutzung eines der größten Binnenseen der Erde im 19. Jh. durch das russländische Imperium ist gleichzeitig auch der Ansatzpunkt seiner langsamen Zerstörung; eine ökologische Katastrophe geboren aus entgrenztem Glauben an Technik und Modernisierung ohne Rücksichten auf vielfältige Zusammenhänge in der Natur und deren Rückkoppelungseffekte; ein Wirtschaftssystem, wo Nachhaltigkeit einer forcierten Tonnenideologie zu weichen hatte.
M.-R. Uhrig legt mit diesem feinen Büchlein erstmals in deutscher Sprache das hierzulande wohl kaum bekannte Expeditionstagebuch des russischen Seeoffiziers A. I. Butakov (1816–1869) vor. Versehen mit Einleitung, ausführlichem wissenschaftlichen Apparat sowie Photographien und zeitgenössischen Landkarten bietet dieser Band einen breiten Zugang zu einer der ersten wissenschaftlichen Beschreibungen des Aralsees. Die gedruckte Ausgabe der Tagebücher erschien 1953 in Taschkent (2) und ist selbst in Bibliotheken der vormaligen Sowjetunion nur schwer greifbar(3) Butakov war und ist bis heute auch in den GUS-Staaten ein nur wenig bekannter Geograph. Die sowjetische Enzyklopädie (4) widmet etwa dem „Hydrographen“ weniger Platz als seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Grigorij Ivanovič (1820–1882), dem Kommandeur der russländischen Schwarzmeerflotte, obwohl A. I. Butakov bereits seit 1849 Mitglieder der angesehenen russischen geographischen Gesellschaft war.
Butakovs Tagebuch markiert den Auftakt zur späteren sowjetischen agroindustriellen Nutzung dieses Naturraums, getragen von wissenschaftlicher Neugier, geographischer Prospektion und getrieben von imperialer Expansion. Er beschreibt in seiner kurzen wie prägnanten Sprache nicht nur das Gesehene, „neu“ Entdeckte sondern auch die oftmals existentiellen Nöte der Expedition. Mehrmals stand das Unternehmen „am Rande des Verderbens“.(5) Stürme brachten die Boote nahe ans Kentern, chronischer Trinkwassermangel verursachte Erkrankungen der Mannschaft und die Küstenlinie bedeutete beständig Gefahr von Sklavenhändlern. Die andere Seite der imperialen Expansion – die in den Aufzeichnungen nicht direkt zum Ausdruck gelangt – ergänzt der Herausgeber in seiner Einleitung. Das autokratisch regierte Imperium der Romanows tolerierte Widerspruch in keiner Weise, auch wenn er von Seiten ihm absolut und treu ergebener Offiziere kam. Diese Härte bekommt Butakov voll zu spüren, als er versucht, sich für den ihm als Matrosen zugeteilten ukrainischen Schriftsteller T. Ševčenko einzusetzen, der für die Expedition zahlreiche Zeichnungen angefertigt hatte – und das, obwohl er als Verbannter einem strengen Schreib- und Zeichenverbot unterlag.
Hinsichtlich der Edition selbst ist auf einige, kleinere Unzulänglichkeiten hinzuweisen. In der Einleitung zitiert der Herausgeber mehrfach Textpassagen, bleibt jedoch die Quellangabe schuldig (S. 19, 21). Bei längeren Zitaten aus den Tagebüchern (S. 16–18) hätte der Verweis auf die jeweilige Seite genügt. Es bleibt unklar, welchem Kalenderstil die Tagebücher folgen (dem julianischen?). Die Auswahl der verschiedenen beigefügten Ergänzungstexte umspannt einen Zeitraum von 1842 bis in die 1950er Jahre und beabsichtigt wohl einen „Überblick“ zur Wahrnehmung des Aralsees während dieser Periode zu liefern, die Begründung dafür bleibt Uhrig schuldig. Eine tief gestaffelte Gliederung der Literaturliste erscheint angesichts ihres geringen Umfangs als Fleißaufgabe und erschwert die Handhabung der Edition unnötig. Die manchmal etwas launischen Kurzkommentare zur Literatur hingegen sind durchaus hilfreich. Auch wenn das Buchformat den größeren Abdruck der Kartenbeilagen nicht gerade unterstützt, so hätten doch zumindest die Karten Nr. 5 (… Aralsee um 1950) und Nr. 3 (…1848/49 gefahrene Routen) lesbarer gesetzt werden müssen, zumal es dem Leser den Überblick zum Tagebuchgeschehen wesentlich erleichtert hätte. Schließlich sei an dieser Stelle noch auf eine 2006 in Moskau erschienene Arbeit zu Butakov hingewiesen.(6)
Insgesamt jedoch sind Engagement und investierte Arbeit von M.-R. Uhrig hervorzuheben. Ihnen verdanken wir es letztlich, dass diese faszinierende Quelle aus der Geschichte eines in unseren Breiten immer noch zu wenig bekannten Raumes einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht wurde.
(1): www.kungrad.com (11.10.2009)
(2): Betger E. K. (ed.) (1953): Aleksej Ivanovič Butakov. Dnevnyje zapiski plavanija A. I. Butakova na škune “Konstantin” dlja issledovanija aral’skogo morja v. 1848–1849 gg.
(3): Auszugsweise findet sich der Originaltext Butakovs unter www.kungard.com/aral/seahist/but (V. I. Dimitriev, Redaktion E. E. Švede. Moscva 1955).
(4): Bolšaja Sovetskaja Encyclopedija 1979, S. 182
(5): Uhrig, M.-R. (Hg.) (2008): S. 64.
(6): Lymarev, V. I. (2006): „Aleksej Ivanovič Butakov 1816–1869“, isdatel’stvo nauka. Moskva.
Quelle, Alexander: Geopolitische Orientierungen nach dem 11. September. Pakistans Rolle im Kampf gegen den Terrorismus. 179 S. und 5 Abb. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens 4. Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2009, € 24,80
Pakistan, never really out of the bad news, is again regularly contributing to unsettling headlines, this time mostly connected to armed confrontations between security forces and Islamic militants in the country’s north-west.
Unfortunately, there is only little hope that the tense situation in the NWFP and the Tribal Areas might calm down anytime soon. In fact, it is much more likely that these tensions will spill over into the neighbouring provinces. An important reason for this deep internal crisis is that religious extremists operating in Swat and elsewhere have managed to link their own interests to the social and economical concerns of the local population. One of their ways to influence people’s minds in their favour is to portray the Pakistani government as “hypocrite” and “anti-Islamic”. But how comes that a good number of the population is receptive to arguments which place the leadership of their country in straight opposition to the nation’s main ideology?
In searching for an answer to this intriguing question one might like to have a closer look at the Pakistani government’s role in US dominated geopolitics. To do this it is now possible to refer to the book under review. Alexander Quelle’s study is based on an analysis of written sources and has the wider aim of examining Pakistan’s place within the G. W. Bush administration’s New World Order. Its focus is on an analysis of the political rapport between the US and Pakistan during the years 2001 to early 2008, seen through the prism of the Rogue State Doctrine. But before arriving at these more tangible matters, the author guides us through a number of theoretical issues, fundamental to understanding his method and way of reasoning: Chapter 2 deals with the relationship between political geography and geopolitic, and chapter 3 explains aim and approach of critical geopolitics. Chapter 4 follows with an investigation into the scope and structure of global geopolitical concepts current in the 1990s, in which special attention is given to C. L. Powell’s “Rough Doctrine” (1990), Z. K. Brzezinski’s “American Primacy” (1997) and S. P. Huntington’s “Clash of Civilisations” (1993), as parts of these theories were later serving as building blocks used for the construction the Bush administration’s very own dichotomous world view.
Having set the study’s theoretical background, the author moves on to dealing with concrete events. Chapter 5 outlines the evolution of the Rogue State Doctrine, tracing its origins back to the 1970s. In order to investigate the doctrine’s present status, the author turns to the “War on Terror” discourse. First, he demonstrates in detail how the Bush administration combined a simplified interpretation of the multi-layered terrorism phenomenon with bits and pieces from existing geopolitical concepts, so as to arrive at a vision of a world divided into clear-cut, geographically definable spheres of “good” and “evil”. Then he identifies the Rogue State Doctrine, adjusted to the political needs of the day and boosted by the military option of pre-emptive strike, as the US government’s main political tool to delineate these spheres.
Chapter 6 reveals the mechanism of such a delineation process in the case of Pakistan. To set the background for this, Alexander Quelle provides the reader with a short country profile and a synopsis of the relationship between Pakistan and the US over the second half of the last century. Then he turns to his main objective, the application of the Rogue States Doctrine criteria to Pakistan’s political reality in the years following 2001. The author reminds us that this reality included Islamabad’s highly controversial position on issues like transnational terrorism (Kashmir conflict, war in Afghanistan) and nuclear proliferation. Hence, had the US administration used the Rogue State criteria in a consistent way, there would have been every possibility of placing Pakistan within the sphere of “evil” and through this on the same enemy list as countries like Iraq, Sudan, Syria and North Korea. However, out of considerations of geopolitical expediency Washington chose to modify its yardstick and to allow its preferred “front line partner in the War on Terror” to perform a (still on-going) balancing act between the two spheres.
According to the author, and with this we are turning to the study’s conclusions, the option of such a choice indicates two fundamental flaws in the New World Order thinking model. First, the adaptability of the Rogue State Doctrine to the needs of its creators deprives this concept of its alleged universality and exposes it as a politically biased tool, solely determined by US foreign and security interests. And second, the fact that Pakistan was given the possibility to occupy a position outside the fixed spheres of “good” and “evil” presupposes the existence of a third, “grey” zone and thus reveals the artificiality and mendacity of the Bush administration’s dichotomous ideology.
But while playing with its own principles in the name of realpolitik may have given certain short-term benefits to the US and its military forces in Afghanistan, its partner Pakistan is now facing the darker side of the deal. As demonstrated in the second part of chapter 6, in order to (at least outwardly) conform to the Rogue State Doctrine Islamabad was encouraged to take a number of internally highly controversial political decisions. Some of them (e.g. to stop support to the armed Afghan opposition, to restrict the educational freedom of the madrasas, to remove the “father of the Islamic Bomb” from his position as head of the national nuclear programme, to discontinue helping the Kashmiri militants) were interpreted by many people within the country as undermining Pakistan’s Islamic foundations. Subsequently, this popular understanding of things was taken up by religious extremists like TNSM’s Sufi Mohammad, who now use it as a potent ideological weapon in their mass mobilisation against Pakistan’s leadership and state order.
To conclude: Alexander Quelle has presented us with a thorough, methodologically sound study on a highly relevant subject. His sources are up-to-date and comprehensive, combining scientific publications with print media articles and material from the internet. His argumentation is coherent and convincing, aptly illustrated with straight-to-the-point, well placed quotations. By dedicating the first half of his study to more general issues the author not only offers help to the reader unfamiliar with geopolitical theory but also gives extra credence to his articulate conclusions. The part dedicated to Pakistan’s internal/external post-September 11 affairs shows the author’s first-rate acquaintance with the country’s complex political landscape, a rare quality of high value, especially when, as in this case, combined with a balanced, unbiased approach. All these elements make Alexander Quelle’s book essential reading for everyone eager to understand more about Pakistan’s role and destiny in the present geopolitical set-up.
Regionalentwicklung und regionale Disparitäten. Hrsg. von Volker Elis und Ralph Lützeler. 395 S., zahlr. Abb. und Tab. Japanstudien 20. Iudicium Verlag, München 2008, € 52,-
Der 20. Band der „Japanstudien“ bietet als Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien 2008 neben zwei Varia-Beiträgen eine Sammlung von Aufsätzen zur Thematik „Regionale Disparitäten“, die z. Zt. in Japan Konjunktur hat. In einem einleitenden Beitrag von Volker Elis und Ralph Lützeler wird die zentrale Thematik interessant, spannend und profund in ihren verschiedenen Dimensionen dargelegt und die folgenden Beiträge kurz erläutert. Thomas Feldhoff diskutiert in seinem Beitrag die Auswirkungen, Probleme und Chancen der aufgrund der demographisch induzierten Veränderungen der japanischen Gesellschaft vorhandenen Schrumpfungs-, Alterungs- und Peripherisierungsprozesse. Insbesondere kumulativ-zirkulär wirksame Schrumpfungsketten werden überzeugend herauspräpariert und der Reformbedarf der Raumplanungen in Japan charakterisiert. Eine eindrucksvolle Skizze der städtischen Bevölkerungsentwicklung in ihren verschiedenen Facetten bildet der Beitrag von Winfried Flüchter, der darüber hinaus an einem exemplarischen Fall (Stadt Yubari) auch allgemeine Probleme der Raumplanung in Japan akzentuiert herauszustellen vermag. Christoph Brumann analysiert in seinem Beitrag die radikale Kehrtwendung der Stadtentwicklungspolitik in Kyoto, die zu „epochemachenden“ Beschränkungen von Bauvorhaben und Werbetafeln in der Stadt führte. Ein wirklich spannender Artikel. Maren Godzik untersucht in ihrer Studie, inwieweit die Alterswanderung Möglichkeiten für einige Gemeinden eröffnet, Zuwanderer für sich zu gewinnen und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind. Das ist ein Themengebiet, das in Zukunft noch wichtiger werden wird. Ein sehr verdienstvoller und sehr erhellender Beitrag, der auch verdeutlichen kann, dass die Verbesserung der statistischen Datengrundlage bezüglich der Alterswanderung dringend erforderlich ist. Cornelia Reiher hinterfragt kritisch die konkreten Auswirkungen der kommunalen Gebietsreformen der letzten Jahre auf die betroffenen Kommunen, wobei die Fragen nach der erhofften Steigerung der Effizienz der kommunalen Verwaltung und der lokalen Autonomie sowie nach den Ängsten bezüglich des Verlustes lokaler Identität auf Seiten der Fusionspartner im Vordergrund stehen. Absolut bemerkenswerte und notwendige Reflexionen, die weitergeführt und intensiviert werden sollten. Dasselbe zeigt sich auch in Carolin Funcks Beitrag zur Frage der Identitätsfindung für Regionalstädte, die im Rahmen der Gebietsreform viele periphere Orte eingemeindet haben und über den Tourismus sehr unterschiedliche Integrationsstrategien nutzen wollen. Sie verbindet geschickt Deindustrialisierung, Bevölkerungsrückgang, Gebietsreform und nationale Tourismuspolitik mit ihrer zentralen Frage nach der Identitätsfindung und ihrer Wirksamkeit und Langfristigkeit. Der ebenfalls auf die Identitätsfindung von Gemeinden – insbesondere im Rahmen der jüngsten Gebietsreform zusammengelegten Gemeinden – fokussierte Beitrag von Anthony Rausch zeigt sehr eindringlich die Schwierigkeiten auf, die mit der Problematik der Markenfindung bei regionalen Kulturgütern verbunden sind. Tatsushi Hirano, Sven Saaler und Stefan Säbel zeigen in ihrem aufschlussreichen Beitrag die Widrigkeiten auf, die mit Versuchen einhergehen, in peripheren Regionen eine eigene lokale Identität über Erhaltung und Restaurierung von Objekten, die mit historischen Begebenheiten verknüpft sind, zu etablieren. Zwei Varia-Beiträge sind dem Themenschwerpunkt des Bandes angefügt. Im ersten analysieren Andrew De Wit und Tatsuhiko Tani die Gründe, warum Japan bei der Energie- und der Klimapolitik nicht an führender Stelle zu finden ist, und fordern, dass die japanische Regierung über konkrete Aktivitäten eine Vorreiterrolle einnehmen soll. Im zweiten Varia-Beitrag diskutieren Susanne Brucksch und Carolina Grünschloss, wie eine „corporate social responsibility“ in japanischen Unternehmen aufgekommen, akzeptiert und implantiert wurde. Beide Artikel sind gleichermaßen lehrreich und anregend. Einige Rezensionen schließen den Band ab. Insgesamt haben wir also ein ganz ausgezeichnetes und sehr empfehlenswertes Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien vorliegen, in dem die Leser viel Wissenswertes erfahren und durch das viele Diskussionen belebt werden können.
Schulz, Manfred (Hg.): Entwicklungsträger in der DR Kongo. Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Religion, Zivilgesellschaft und Kultur. – Spektrum – Berliner Reihe zu Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Entwicklungsländern 100, 754 S., LIT Verlag, Berlin 2008, Euro 49,-
Gute Bücher über den Kongo sind selten. Zu spärlich sind belastbare Informationen, zu langlebig Stereotype, welche die Wahrnehmung des Landes negativ vorbelasten. Das von Manfred Schulz herausgegebene Sammelwerk bildet hier eine rühmliche Ausnahme. Der Band setzt sich aus verschiedenen Beiträgen von Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen, Tätigkeitsfeldern und Herkunftsländern zusammen, wodurch er nicht nur multidisziplinär, sondern auch ausgesprochen spannend und perspektivenreich wird. Der besondere Wert des Werkes drückt sich in zwei Hauptmerkmalen aus: Zum einen handelt es sich um überwiegend aktuelle bis aktuellste Situationsanalysen der gegenwärtigen Lebenssituationen in der Demokratischen Republik Kongo und zum anderen trägt gerade die Zusammensetzung der heterogenen Autorenschaft mit der Verbindung von Beiträgen aus Wissenschaft und angewandter Entwicklungspraxis zu einem ausgesprochen kompetenten Gesamtbild bei.
Der Band ist in insgesamt fünf Hauptkapitel untergliedert. Am Anfang steht eine aktuelle Situationsanalyse, deren Schwerpunkt unter dem Motto „Quo vadis, Kongo?“ auf der Darstellung des Ressourcenreichtums des Landes liegt. Im zweiten Kapitel werden die Entwicklungen in den Funktionsbereichen Politik, Wirtschaft, Religion, Zivilgesellschaft und Kultur behandelt. In diesem Abschnitt kommt die Qualität des breit gefächerten Perspektivenwechsels besonders deutlich zum Tragen, da durchaus nicht alle Autoren immer zu den gleichen Analyseergebnissen kommen. Diese Heterogenität der Meinungen ist – insbesondere im politischen Bereich – durchaus so gewollt und vom Herausgeber intendiert.
Konzeptuelle entwicklungspolitische Ansätze werden im dritten Abschnitt thematisiert und einer kompetenten Diskussion über profundes Hintergrundwissen zugeführt. So dass insgesamt der an Kongo-Themen interessierte in Zukunft weniger auf unseriöse Machwerke angewiesen ist, wie z. B. die des selbsternannten Kongokenners und Medienscharlatans, Peter Scholl-Latour („Mord am großen Fluß“ und „Afrikanische Totenklage“), der schon früh mit der Verbreitung zweifelhafter Halbwahrheiten über den Kongo zum Zwecke der eigenen Selbstdarstellung begann und damit genau in das Bild passt, welches Salua Nour am Anfang des Einleitungskapitels des anzuzeigenden Werkes gibt, indem er den Kongo als ein Land beschreibt, das fast ausschließlich mit Hilfe von Stereotypen wahrgenommen zu werden scheint. Verantwortungslose Journalisten sind daran ganz wesentlich beteiligt. So hatte schon Scholl-Latour über die damaligen sog. Kongo-Wirren berichten wollen, war aber nur bis Bukavu im Osten kurz hinter der ruandisch-zairischen Grenze gelangt, wo sich in Erwartung der aus Katanga heranrückenden Rebellen die dort ansässigen Shi (auch Bashi) in Ermangelung besserer Waffen mit Bögen und Speeren bewaffneten. Zum Teil in traditionelle Kleidung aus Fellen gehüllt, boten die Shi einen martialischen Anblick. Dieser veranlasste Scholl-Latour dazu, von den Shi noch schnell ein Foto zu schießen und sich dann ins sichere Ruanda abzusetzen. In Europa verbreitete er in Fernsehnachrichten dieses Bild von den Shi als eine Aufnahme der Simba-Rebellen (von denen er nie einen zu Gesicht bekommen hatte) und war sich sicher, dass – ob der Wirren und der weiten Entfernung – den Schwindel niemand bemerken würde. Zur Ironie der Kongogeschichte gehört, dass sich etwa gleichzeitig die Shi bei der Verteidigung von Bukavu in Kämpfen gegen die Rebellen aufopferten (auch um den über den Kivu-See evakuierten Europäern den Rückweg zu decken) und ausgerechnet Fotos von ihnen als Darstellungen wilder, ungezähmter Rebellen in Europa vermarktet wurden. Der Sammelband trägt dazu bei, dass solche Fehltritte zukünftig nur noch schwer verborgen bleiben dürften.
Das vierte Kapitel bietet Perspektiven künftiger politischer Entwicklungen der Demokratischen Republik Kongo vor dem Hintergrund von Berichten und Analysen der letzten Wahlen. Dabei gibt der Beitrag von Iseewanga Indongo-Imbanda einen knappen aber besonders treffenden Ausblick auf die Rolle von Regierung und Opposition.
Der letzte Abschnitt des Sammelbandes widmet sich der Darstellung der deutschen Entwicklungspolitik. Auch darin stehen sich unterschiedliche Kongo-Konzepte gegenüber, die von verschiedenen Mandatsträgern vorgestellt werden. Der Dialogcharakter des Sammelbandes wird besonders in diesem Abschnitt deutlich. Insgesamt kommen 51 Autoren, darunter 15 Kongolesen, auf über 750 Seiten zu Wort, laden zu einem kompetenten Diskurs über die Entwicklungschancen des Kongo ein und machen damit den Sammelband zu einem Werk, das in keiner Afrikabibliothek fehlen sollte.
Uttke, Angela: Supermärkte und Lebensmitteldiscounter. Wege der städtebaulichen Qualifizierung. 336 S., 169 Abb. und 26 Tab. StadtPerspektiven. Verlag Dorothea Rohn, Dortmund 2009, € 34,-
Beträchtliche Gestaltungsdefizite werden heute vor allem an unseren Stadträndern vielstimmig in der städtebaulichen Diskussion beklagt. In der von Thomas Sieverts bezeichneten Zwischenstadt entsteht hier seit Jahren in einer Auto orientierten Stadtlandschaft eine austauschbare Architektur, der es deutlich auch an ästhetischen Qualitäten mangelt. Eine besondere Rolle spielen dabei sicherlich die zahlreichen Supermärkte und Lebensmitteldiscounter, deren Standardbauten mit ihren ausgedehnten vorgelagerten Parkplatzflächen und oft überdimensionierten Werbetafeln uns allen vor Augen sind. Christa Reicher bezeichnet sie im Vorwort der Arbeit zu Recht als die „Schmuddelkinder der Baukultur“. Deshalb ist es ein ausgesprochen löbliches Anliegen, in einer Dissertation über die Entstehungsbedingungen dieser städtischen Erscheinungsbilder nachzudenken und Möglichkeiten der städtebaulichen Qualifizierung aufzeigen zu wollen.
Dies war der Anspruch der Dissertation von Angela Uttke, die sie im Mai 2008 an der Fakultät Raumplanung der Technischen Universität Dortmund vorgelegt hat. Leider kann die Arbeit diesen Anspruch nicht in allen Teilen einlösen. So beschreiben die beiden ersten Teile zwar durchaus korrekt und ansprechend die Geschichte der Supermärkte sowie die Trends im Lebensmitteleinzelhandel, die sich aber bereits vielfach in der Fachliteratur der Raum- und Stadtplanung finden lassen und bei der an einigen Stellen der Bezug zu ihrer eigenen Fragestellung recht knapp ausfällt. Die Abschnitte zu den durchaus informativen Unternehmensprofilen sind eher tabellarische Darstellungen als ein runder Fließtext. Die beiden ansonsten gut lesbaren Teile sind für ein Verständnis der dann folgenden Ausführungen über die Architektur der Supermärkte und Lebensmitteldiscounter stellenweise aber schon hilfreich, weil sie die veränderten Anforderungen der Anbieter und Nachfrager an die Einrichtungen aufzeigen.
Die interessantesten Teile der Arbeit sind aus meiner Sicht das vierte und fünfte Kapitel. Hier wird die Sicht der Betreiber und Standortplaner sehr schön deutlich. Dabei geht es Angela Uttke nicht nur um Gestaltungsfragen, sondern auch um standortbezogene Aspekte. Hier gelingt es ihr, die Denkweisen der Standortplaner zu vermitteln und uns dabei auch fast beiläufig in die spezifische Terminologie der „Freestander“ und „Schubladen“ einzuführen. Rund 20 Expertengespräche sind eine wichtige Grundlage für ihre Aussagen. Sehr eindrücklich werden einzelne Gestaltungsaspekte wie beispielsweise die kaum vorhandenen Fensterflächen der Gebäude oder die Lage und Anzahl der Stellplätze erläutert. Angedeutet werden auch die Konflikte und Aushandlungsprozesse zwischen den Betreibern, Standortplanern und den kommunal verantwortlichen Entscheidungsträgern. Hier wäre eine Vertiefung über das folgende Fallbeispiel in Dortmund wünschenswert gewesen.
Stattdessen wird im sechsten Teil dann aber letztendlich ein kommunales Einzelhandelskonzept für die Stadt Dortmund referiert, in dem die eigentlichen Forschungsfragen der städtebaulichen Gestaltung nur noch randlich behandelt werden. Hier geht es auf immerhin 50 Seiten um eine städtebauliche und empirische Analyse der Lebensmittelmärkte und ihrer Standorte in den Nebenzentren der Stadt Dortmund. Größenklassen der Lebensmittelmärkte werden bestimmt, Stellplätze gezählt, funktionale Ausstattungen beschrieben, um daraus ein Trendszenario zu entwickeln. Hier bricht aus meiner Sicht der Charakter einer Dissertation leider ab und nimmt die Form eines Gutachtens an.
Im siebten Abschnitt werden dann in recht allgemeiner Form Qualitätsmerkmale für Lebensmittelmärkte systematisiert und diskutiert. Hier verändert die Dissertation abermals ihren Blickwinkel. Statt die Defizite in der Gestaltung weiter über Fallstudien zu untersuchen, wird hier ein „Soll-Zustand“ für Supermärkte und Lebensmitteldiscounter formuliert. Erst mit der anschließenden Darstellung von sechs „guten Beispielen“ wird dieser Perspektivenwechsel in der Arbeit dann verständlich. So werden die sechs Fallstudien aus verschiedenen Teilen Deutschlands vorgestellt, in dem jeweils auf die verschiedenen, vorher systematisierten Qualitätskriterien Bezug genommen wird und sie jeweils abgeprüft werden. Dabei wird auch kurz auf den Prozess der Planung und Gestaltung eingegangen und somit eine Verbindung zum vierten und fünften Teil hergestellt. Lesenswert ist dann schließlich die zusammenfassende Betrachtung der Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen dieser Fallstudien.
Es wäre zu wünschen, dass die abschließenden strategischen Empfehlungen aus der Arbeit von Angela Uttke den praktischen Umgang mit der Gestaltung von Supermärkten und Lebensmitteldiscountern verändern können. Es bleibt aber Skepsis, ob die Anforderungen der Betreiber und Standortplaner mit den Qualitätskriterien kompatibel sind, die Angela Uttke in ihrer Arbeit entwickelt hat.
Egner, Heike: Gesellschaft, Mensch, Umwelt – beobachtet. Ein Beitrag zur Theorie der Geographie. 208 S., 8 Abb. und 1 Tab. Erdkundliches Wissen 145. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, € 44,-
Die Autorin geht von der Annahme aus, dass es beim gegenwärtigen Stand der Forschungen über Mensch/Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen erforderlich ist, die bisher vorliegenden theoretischen Überlegungen zur Struktur und Funktionsweise dieser Interaktionen durch neue Grundkonzepte zu erweitern. Sie schlägt vor, sich dabei der Systemtheorie Luhmanns zu bedienen, die sich grundlegend von den gängigen Systemkonzepten in der Geographie unterscheidet. Ihr Ziel ist es, den Luhmannschen Ansatz für die geographische Forschung nutzbar zu machen. Dabei geht es ihr ausdrücklich auch um den Versuch, „[…] über die theoretische Neu-Konzeptionierung der Beziehungen zwischen Gesellschaft, Mensch und Umwelt auf der Basis von Systemtheorie einen Vorschlag für eine theoretische Fundierung der Geographie zu unterbreiten“ (S. 13).
Die Arbeit ist in zwei Hauptteile gegliedert. Der erste Abschnitt befasst sich mit bisher gängigen Konzepten der Mensch-Umwelt-Forschung und mit der Ideengeschichte der Systemtheorien. Dabei werden terminologische Probleme des Forschungsfeldes erörtert und in knapper Form die Entwicklungslinien der Systemtheorie bis Luhmann skizziert. Im zweiten Teil verwendet die Autorin die Luhmannsche Perspektive, um die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Mensch und Umwelt auf der Grundlage dieser differenztheoretischen Zugangsweise darzustellen und einige der (aus traditioneller Sicht überraschenden und unerwarteten) Konsequenzen einer solchen Neukonzeption aufzuzeigen. Diese Konsequenzen werden in Abschnitt fünf vor dem Hintergrund der bisherigen Forschungspraxis ausführlicher erörtert. In den beiden Schlusskapiteln werden Folgerungen für eine theoretische Grundlegung der Geographie abgeleitet und differenztheoretisch begründete Thesen zu den Beziehungen zwischen Gesellschaft, Mensch und Umwelt formuliert.
Ein besonderer Nutzen dieses Textes für die Geographie, dessen Bedeutsamkeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, liegt in der erkenntnistheoretischen Reflexivität. Die Systemtheorie Luhmanns geht mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass die Konstitutionsbedingungen des eigenen Weltverständnisses axiomatische Setzungen und Vorentscheidungen darstellen, für die es keine Letztbegründungen geben kann. Dieses epistemische Grundproblem wird in vielen anderen Paradigmen der Geographie nicht ernsthaft reflektiert. Für den naiven Empirismus, aber auch für neopositivistische Zugänge ist die Frage nach den Letztbegründungen kein Thema der Selbstreflexion. Was Heike Egner in aller Deutlichkeit für die Systemtheorie herausgearbeitet hat, nämlich die konstitutive Funktion der theorieimmanenten axiomatischen Grundlegung, musste für Realismus und Positivismus erst von der analytischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie kritisch aufgezeigt werden (etwa von Hans Albert), wird aber von den Vertretern dieser Paradigmen auch heute noch weitgehend ignoriert. Wer sich in der Geographie also mit der Systemtheorie Luhmanns auseinandersetzt, muss mit Notwendigkeit die axiomatische Grundlegung aller Wissenschaft (auch die Entscheidung zum Rationalismus oder für das Falsifizierbarkeitskriterium) erkennen und sich der Konsequenzen für das eigene Fach bewusst werden.
Die Arbeit ist sprachlich sehr eingängig formuliert und durch eine sehr klare, pointierte und didaktisch bemühte Ausdrucksweise gekennzeichnet.
Symposium The Future of Peripheries. A European-Japanese Conference on Forgotten Territories in Japan and Europe. September 19–21, 2007. Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (ed.). 173 S., zahlr. Abb. und Tab. jdzb documentation 10. Iudicium Verlag, München 2008, € 35,20
In dem vorliegenden Band werden 16 Beiträge eines europäisch-japanischen Symposiums über die Peripherregionen in Japan and Europa zusammengefasst. In ihnen werden die vielfältigen Probleme diskutiert, die sich aus der zunehmenden Konzentration der Menschen in den Ballungsräumen einerseits und der deutlich werdenden Entvölkerung von peripheren Regionen andererseits ergeben. Vier Schwerpunkte der Diskussion sind dabei herauszustellen: erstens das Umfeld, die Ursachen und Politiken der Peripherie in Europa und Japan, zweitens die öffentliche Infrastruktur, drittens Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten und viertens konzeptionelle Szenarien für die „Forgotten Territories“. Die regional und themenspezifisch sehr unterschiedlich ansetzenden Beiträge ergeben als Ganzes ein umfassendes und zugleich differenziertes Bild der Gründe, Probleme, Herausforderungen und Visionen, die für die Peripherregionen in Europa und Japan gültig sind. Die Veröffentlichung der Symposiums-Beiträge erweist sich als sehr lobens- und lesenswert.
Lentz, Sebastian und Ormeling, Ferjan (Hg.): Die Verräumlichung des Welt-Bildes. Petermanns Geographische Mitteilungen zwischen „explorativer Geographie“ und der „Vermessenheit“ europäischer Raumphantasien. Beiträge der Internationalen Konferenz auf Schloss Friedenstein Gotha, 9.–11. Oktober 2005. 267 S., 23 Abb., 3 Tab. und 27 Farbtafeln im Anhang. Friedenstein-Forschungen 2. Franz-Steiner-Verlag, Stuttgart 2008, € 48,-
Die 150. Jährung der ersten Ausgabe der Zeitschrift Petermanns Geographischen Mitteilungen (kurz PGM, Einstellung des Erscheinens in 2004 nach mehrmaliger Titeländerung) wurde zum Anlass genommen, sich im Rahmen einer Konferenz mit der Wirkung dieser Zeitschrift im Besonderen bzw. mit europäischen Raumphantasien allgemein auseinander zu setzen. Die Ergebnisse liegen in dieser vielschichtigen und interdisziplinären (Geographen, Kartographen, Historiker, Literaturwissenschaftler, Ethnologen, Soziologen) Monographie mit 17 Beiträgen (14 deutsch-, 3 englischsprachige) von Autoren aus Deutschland, den Niederlanden und Israel – sowie einer Einleitung der Herausgeber vor. Die Herausgeber fassen die Beiträge nach wissenschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkten (2), der kartographiehistorischen Perspektive (4), nach raumbezogenen Konstruktionen (9) sowie unter dem Wissen-Macht-Aspekt (2) zusammen und stellen die einzelnen Beiträge kurz vor (das Inhaltsverzeichnis kann unter http://d-nb.info/986905674/04 abgerufen werden).
In den meisten Aufsätzen wird zu den PGM und dessen Wirkung Bezug genommen. Mit einem geographiegeschichtlichen Schwerpunkt sind die Beiträge von H. P. Brogiato, U. Wardenga und I. J. Demhardt zu nennen. P. van den Brink und F. Ormeling richten den Blick aus den Niederlanden auf die Zeitschrift. Verschiedene Autoren setzen sich unter einem regionalen Aspekt mit den PGM auseinander: Gotha (H. P. Brogiato), Niederlande inkl. seiner Kolonien (P. van den Brink), Nordpol (T. Nanz), Südostasien (F. Ormeling), Palästina (H. Goren), Afrika (I. J. Demhardt), Simbabwe (M. C. Frank), Südwestafrika (J. Moser) sowie Argentinien (C. Wertz). Keinen Bezug zu den PGM weisen die Artikel von F. Torma, G. Glasze, H. Wolter und R. Zöllner auf: In ihnen liegt der Schwerpunkt auf den Raumphantasien, wie beispielsweise auf einen Sprachraum (G. Glasze zur Frankophonie) oder den „Lebensraum“ (H. Wolter). Dass durch die Manifestation von unbekannten Gebieten auf Karten zum einen kartographische Tatsachen geschaffen bzw. zum anderen mittels Forschungsreisen zum Füllen dieser „blinden“ oder „weißen Flecken“ angeregt wurde, wird in mehreren Aufsätzen behandelt (T. Nanz, J. Moser, F. Torma). Nicht weit ist es davon zu einer politischen Instrumentalisierung von Karten, wie sie bei J. Moser oder C. Wertz (von Raumimagination zu Raumokkupation) bzw. zur Geopolitik, die von G. Wolkersdorfer, H. Wolter, R. Zöllner und G. Glasze thematisiert wird. Die Beilage „Militärgeographie“ der PGM wird von U. Best aufgegriffen. Von einer kritischen Perspektive aus wurde der Eurozentrismus (M. C. Frank am Beispiel von Simbabwe sowie F. Torma am Pamir) hinterfragt. Aufgrund der Interdisziplinärität der Autoren werden auch verschiedene Theorieansätze und Methoden mit eingebracht (T. Nanz: Semiotik der Karte, M. C. Frank und G. Glasze: Diskursanalyse, R. Zöllner: Zeitschriftenanalyse, F. Torma: mental maps). Der Beitrag von R. Zuch hebt sich von den anderen Aufsätzen ab: Er beschäftigt sich mit der Verwendung der Kartographie in der phantastischen Literatur.
Das Werk ist mit verschiedenen Abbildungen und Farbtafeln versehen: Manche Abbildung ist leider so klein geraten, dass man kaum etwas darauf erkennen kann (z. B. Abb. 1 und 2 des Beitrags von G. Glasze). Die Farbtafeln sind aufwendig auf Glanzpapier gestaltet: Sie sind geeignet, um einen bildlichen Eindruck von der Arbeitsweise A. Petermanns zu erhalten, jedoch teilweise zu stark verkleinert, um Details erkennen zu können (auch fehlt der Verkleinerungsfaktor). Andere Tafeln hätten als Abbildung völlig ausgereicht (z. B. im Artikel R. Zöllner die Farbtafeln 21–23). Ansonsten könnte man noch ein paar orthographische und Interpunktionsfehler anmerken.
Wenn es bereits jetzt so viele interessante Beiträge zur Geschichte der Zeitschrift gibt, obwohl die Sammlung Perthes mit rd. 800 laufenden Metern Archivalien z. Zt. wegen Verzeichnungsarbeiten nicht zur Verfügung steht, so dass sie bis auf die Artikel von H. Goren und C. Wertz nicht als Quelle herangezogen wurde, dann kann man gespannt sein, was nach Bereitstellung der Quellen noch erforscht und veröffentlicht werden wird.