Book reviews 2009 [3]
Wehrhahn, Rainer (Hg.): Risiko und Vulnerabilität in Lateinamerika. 316 S., 50 Abb. und 13 Tab. Kieler Geographische Schriften 117. Selbstverlag des Geographischen Instituts der Universität, Kiel 2007, € 16,50
Der Doppelband umfasst 15 Beiträge, die auf einer in 2007 in Kiel veranstalteten Tagung zu dem im Titel genannten Thema vorgestellt wurden sowie drei aus dortigen Posterpräsentationen entstandene Aufsätze.
Sicherlich ist dem Herausgeber unumwunden zuzustimmen, dass Risiko und Vulnerabilität in Lateinamerika „feste Größen wissenschaftlicher Untersuchungen“ sind (S. 1). Während aber durch natürliche Prozesse (Erdbeben, Hurrikans etc.) verursachte Risiken mit ihren physio- wie anthropogeographischen Folgen schon länger im Mittelpunkt von Forschung und Politik stehen, gewinnen die „sozialwissenschaftliche Dimension der Problematik und die gesellschaftstheoretische Verankerung“ (S. 1) der entsprechenden Untersuchungen erst an Bedeutung bzw. spiegeln sich neuerdings in den Untersuchungskonzepten und in den folgenden Ergebnisinterpretationen stringent wider.
Leider wird dieser Anspruch nur in einigen Beiträgen eingelöst. Zu nennen sind hier vor allem die von V. Deffner und E. Rothfuss über Salvador/Bahia, der „Eukalyptus“-Diskurs von T. T. Schmitt, aber werden dazu Hinweise auf die „konstruktivistische Sichtweise des diskursanalysierenden und somit diskursproduzierenden Autors“ benötigt?; (S. 107) und auch der von V. Sandner Le Gall über die Überlebenssicherung indigener Gesellschaften an der Karibikküste Nicaraguas. Theoretisch durchaus fundiert erscheinen m.E. auch die Artikel von M. Neuburger über die Perspektiven ländlicher Räume unter dem Risiko der Globalisierung (allerdings mit Schwächen in den „historischen Perspektiven“) oder von A. B. Dröger zu den Entwicklungspfaden des Zuckerrohranbaus in Guayana.
Bei den anderen Studien gewinnt man den Eindruck, dass sie z.T. keinen Ausweg aus dem „Dschungel der Risikobegriffe“ (S. 10) gefunden haben und das Karrierekonzept der Verwundbarkeit nur traditionell-randlich einbeziehen. M. Coy hat aber in seinem Einführungsbeitrag diese Begriffe eindeutig dargestellt und vor dem Hintergrund der geographischen Lateinamerika-Forschung auch interpretiert.
Es lohnt sich, diesen wahrlich bunten „Aufsatzstrauß“ allein schon wegen der herausgestellten, theoretisch fundierten Beiträge zur Risiko- und Vulnerabilitätsforschung zur Hand zu nehmen.
Rettberg, Simone: Das Risiko der Afar. Existenzsicherung äthiopischer Nomaden im Kontext von Hungerkrisen, Konflikten und Entwicklungsinterventionen. XIX und 317 S., 34 Abb., 14 Tab. und 58 Photos. Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung 35. Verlag für Entwicklungspolitik, Saarbrücken 2009, € 38,-
Das Werk behandelt die Lebensbedingungen und die Entwicklung von Handlungsstrategien im Umgang mit krisenhaften Veränderungen in der Lebenswelt der Afar im ariden bis semi-ariden Tiefland Nordost-Äthiopiens. Die Lebenswelt der Afrar-Region ist unterschiedlichen, in Wirkungsweise und Intensität stets wechselnden Einflussfaktoren ausgesetzt, wobei Naturgefahren, inneren Konflikten und externen Interventionen eine zentrale Bedeutung zukommt. Afar leben heute in den Staaten Äthiopien, Eritrea sowie Dschibuti und bilden in allen drei Ländern ethnische Minderheiten. Das wirtschaftliche Wohlergehen der überwiegend nomadischen Afar (85%) in Äthiopien wird im Wesentlichen bestimmt durch die Verfügbarkeit und den Zugang zu Weiden und Wasser. Seit Mitte der 80er Jahre haben Dürren und konfliktbedingte Restriktionen der traditionellen Wanderrouten zu irreversiblen Degradationen der Lebensgrundlagen der Afar geführt. Durch die Abtrennung Eritreas von Äthiopien und den Konflikt mit somalischen Bevölkerungsgruppen wurde ihre Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Dabei kommt dem traditionellen Konflikt der Afar mit ihrem somalischen Nachbarvolk, den Issa, mittlerweile nur noch eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Auseinandersetzungen mit dem äthiopischen Staat zu. Die Autorin macht auf beeindruckende Weise klar, dass dort, wo tragfähige Strategien des Umgangs mit Naturkatastrophen sowie internen und externen Konflikten entwickelt wurden, teilweise im Ansatz eigentlich wohl gemeinte Entwicklungsprojekte ihrerseits zum Desaster wurden und die Situation der Afrar nachhaltig verschlechterten. Die Ergebnisfindung auf unterschiedlichen Maßstabsebenen belegt die Autorin mit umfangreichem Primärdatenmaterial und einem ausführlichen Interviewdokumentationsanhang. Reichhaltige Übersichts- und Detailkarten runden den kompetenten Gesamteindruck des Afar-Buches ab. Das Werk gehört – um dies deutlich zu betonen – zum Besten, was in den letzten Jahren an Monographien über Äthiopien produziert wurde. Dabei drückt sich der Wert des Afar-Werkes vor allem in seiner gelungenen Verknüpfung aktueller wissenschaftstheoretischer Ansätze mit sorgfältig vor Ort recherchierten Feldforschungsergebnissen aus, die durch eine beeindruckende Detailgenauigkeit und Regionalkompetenz charakterisiert sind. Neben dem klar zu prognostizierenden Langzeitwert als Lokalstudie und richtungweisendes Werk im Schnittfeld zwischen geographischer Entwicklungsforschung und angewandter Entwicklungszusammenarbeit liegt der Wert des Afar-Werkes vor allem auch in seinem konzeptionellen Vorbildcharakter, der es zur Richtschnur für vergleichbare Anliegen anderer Arbeiten werden lässt.
Heinz, Werner: Der große Umbruch. Deutsche Städte und Globalisierung. 354 S. Edition Difu Stadt Forschung Praxis 6. Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin 2008, € 38,-
Nachdem Anfang des Jahres 2008 die drei Stadtsoziologen Hartmut Häussermann, Dieter Läpple und Walter Siebel ihre langjährigen Forschungsaktivitäten zur Stadtpolitik in Deutschland bereits in einem bemerkenswerten Suhrkamp Taschenbuch zusammengetragen und veröffentlicht haben, ist Ende 2008 ein weiteres ausgesprochen instruktives und umfassendes Werk zur aktuellen Situation der kommunalen Stadtpolitik in Deutschland erschienen. Werner Heinz, der seit vielen Jahren beim Deutschen Institut für Urbanistik am Standort Köln beschäftigt ist und von daher ein hervorragender Kenner der kommunalen Praxis in Deutschland ist, hat sich gründlich und grundsätzlich mit dem viel diskutierten und zitierten Phänomen der Globalisierung auseinander gesetzt. Er hat sich die beiden einfachen, aber doch hoch anspruchsvollen Fragen gestellt, wie sich die weltweite Globalisierung auf die Städte in Deutschland auswirkt und mit welchen Strategien und Aktivitäten die Städte versuchen, dieser Globalisierung zu begegnen. Die aktuelle weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise gibt dem Buch eine Aktualität, die der Verfasser beim Recherchieren und Schreiben noch nicht ahnen konnte. Dabei ist – um es vorweg zu nehmen – ein dichtes und ausgesprochen anregendes Werk herausgekommen, das zahlreiche Hinweise gibt, weiter über das Verhältnis von weltweit wirksamen Prozessen und konkretem Handeln der Entscheidungsträger vor Ort nachzudenken.
Auch wenn der Begriff der Globalisierung erst seit Anfang der 1990er Jahre in der gesellschaftspolitischen Debatte verwendet wird, gibt es einen allgemeinen Konsens, dass die Prozesse der Globalisierung bereits sehr viel früher einsetzen. In einem ersten Abschnitt beschränkt sich Werner Heinz dann aber zu Recht auf den aktuellen Handlungsrahmen, in dem er die maßgeblichen Triebkräfte für die jüngere Globalisierung identifiziert. Schlaglichtartig werden Entwicklungen wie die Krise des Fordismus oder die Neuausrichtung des internationalen Währungs- und Finanzsystems, die Prinzipien des Neoliberalismus oder die technologischen Innovationen im Produktions-, Kommunikations- und Transportsektor als solche Triebkräfte erläutert. Ergänzt wird die Darstellung dieser allgemeinen Entwicklungen um die vielfältigen weltpolitischen Ereignisse, die zur Öffnung der Grenzen und zu neuen Marktteilnehmern geführt haben, um die Veränderungen in der Europäischen Union mit der Öffnung neuer Märkte und um einen Richtungswechsel in der deutschen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, der den Sozial- und Wohlfahrtsstaat verändert hat.
Im zweiten Abschnitt beschäftigt sich Werner Heinz dann mit den vielfältigen Auswirkungen der Globalisierung auf die kommunale Ebene. Dabei konzentriert er sich auf sechs Felder: den wirtschaftlichen Strukturwandel, die zahlreichen Konsequenzen der Globalisierung für den Arbeitsmarkt, den demographischen Wandel, die soziale Spaltung der Gesellschaft, die wachsenden groß- und kleinräumigen Disparitäten sowie die Auswirkungen der Globalisierung auf die kommunale Selbstverwaltung. Auch wenn sich die Wirkungen im Einzelfall zwischen den Städten unterscheiden, überwiegt bei Werner Heinz doch eine kritische Einschätzung gegenüber dem Phänomen der Globalisierung. So geht beispielsweise die lokale Verbundenheit der Unternehmen mit den Städten verloren, so sind Arbeitslosigkeit und schlecht entlohnte Beschäftigungsverhältnisse ein zunehmend verbreitetes Phänomen, so belastet die unterschiedliche räumliche Verteilung von Migranten und Aussiedlern einzelne Städte in besonderer Weise, so führen Armut und Arbeitslosigkeit zu sozialer Isolierung und Ausgrenzung, so gibt es räumlich Gewinner und Verlierer der Globalisierung, und so werden die kommunalen Handlungsspielräume durch eine Verbetriebswirtschaftlichung und Verschlankung der Verwaltung reduziert.
Nach dieser schonungslosen Analyse zeigt Werner Heinz im dritten Teil die vielfältigen kommunalen Reaktionen auf diese Wirkungen der Globalisierung. Er stellt dabei auf der einen Seite wettbewerbsorientierte Angebotspolitiken heraus, die die Standortbedingungen verbessern sollen und deshalb stark die kommunale Wirtschaftsförderung betreffen, und beschreibt auf der anderen Seite bewohnerorientierte Innenpolitiken, die sowohl soziale Aspekte als auch Integrations- und Qualifizierungsaspekte umfassen. Kommunale Aktivitäten wie die wachsende internationale Vernetzung oder die Maßnahmen zur Image- und Attraktivitätssteigerung können auf diese Weise ebenso eingeordnet werden wie beispielsweise die kommunalen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitiken. Damit macht Werner Heinz deutlich, dass die Kommunen gleichzeitig versuchen, sich einerseits im scharfen heute internationalen Wettbewerb der Städte zu behaupten sowie sich andererseits mit den „Nebenwirkungen“ der Globalisierung auseinanderzusetzen.
Werner Heinz stützt seine Untersuchung auf rund 50 Interviews, die er eigens für die Studie mit ausgewählten Experten geführt hat. Dabei handelt es sich um kommunale Entscheidungsträger in leitenden Funktionen aus ausgewählten deutschen Städten und um andere Schlüsselpersonen wie beispielsweise Unternehmer oder Raum- und Wirtschaftswissenschaftler, die mit den aktuellen kommunalen Entscheidungsprozessen gut vertraut sind. Zusätzlich hat er zahlreiche Dokumente aus den fast 20 Untersuchungsstädten ausgewertet. Er greift so auf vielfältige Erfahrungen zurück und zeichnet dadurch ein schlüssiges Bild der aktuellen Lage in der deutschen Stadtpolitik.
Das Buch ist vor der großen Wirtschafts- und Finanzkrise recherchiert und geschrieben und erhält durch die Entwicklungen seit dem Herbst 2008 noch einmal eine besondere Brisanz. Es sei auch deshalb allen Geographen empfohlen, die sich mit den Phänomenen von Stadtentwicklung und Globalisierung in Deutschland beschäftigen, weil es einen treffenden praxis- und realitätsnahen Blick einnimmt, gleichzeitig aber auch durch eine kritische gesellschaftspolitische Haltung gekennzeichnet ist. Das Buch zeigt den „großen Umbruch“ – so der Titel – wenn auch deutlich wird, dass die Prozesse die deutschen Städte in unterschiedlicher Weise treffen und die Städte auch unterschiedlich reagieren. Am Ende der Untersuchung steht dann eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen, die sich durch eine Mischung aus Resignation und Skepsis sowie gut gemeinten Ratschlägen für eine Stadtpolitik auszeichnen, die sich einer „Globalisierung mit menschlichem Antlitz“ verpflichtet fühlen soll.
Bebermeier, Wiebke: Wasserbauliche Maßnahmen in Norddeutschland und ihre Folgen. Von den ungünstigen Wasserverhältnissen an der Hunte (1766–2007). 180 S., 51 Abb. und 25 Tab. Göttinger Geographische Abhandlungen 118. Goltze Druck, Göttingen 2008
Wiebke Bebermeier beschreibt in ihrer Dissertation „Wasserbauliche Maßnahmen in Norddeutschland und ihre Folgen – Von den ungünstigen Wasserverhältnissen an der Hunte“ die Entwicklung des Wasserbauwesens in Niedersachsen sowie den Wertewandel im Wasserbau in den letzten zwei Jahrhunderten und rekonstruiert die an der Hunte in den letzten 250 Jahre umgesetzten wasserbaulichen Maßnahmen. Darüber hinaus beleuchtet sie die Folgen der durchgeführten Maßnahmen.
Auf Basis von Recherchen und Analysen gelingt es ihr, den historischen Rahmen der jeweiligen Zeit zu skizzieren und verschiedene Phasen voneinander abzugrenzen, in denen unterschiedliche Prioritäten hinsichtlich der Werte und Zielvorstellungen des Wasserbaus gesetzt wurden. Im Fokus steht hier die Analyse der Entwicklung vom technischen zum naturnahen Wasserbau mit dem Schwerpunkt der Skizzierung des Wasserbaus und der Melioration im Hunte-Einzugsgebiet vor dem Hintergrund landesweiter Entwicklungen.
Die Arbeit rekonstruiert im Wesentlichen umgesetzte und verworfene sowie erfolgreiche wie auch gescheiterte wasserbauliche Maßnahmen im Einzugsgebiet der Hunte. Differenziert beschrieben werden lokale Maßnahmen (bis 1765), die Phase der koordinierten Regulierung (1766 bis 1830), gescheiterte Regulierungsplanungen (1831 bis 1903), die Phase der Melioration und des technischen Ausbaus (1904 bis 1990) sowie die naturnahe Gestaltung der Hunte (nach 1990). Berichtet wird für alle Phasen von verschiedenen Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen wie Begradigungen, Ausbau und Räumung des Gewässerbetts, Melioration, Stauregelung sowie von den jeweiligen Konsequenzen für die gewässerökologischen Verhältnisse der Hunte. Abschließend diskutiert Wiebke Bebermeier die regionalen Folgen der wasserbaulichen Maßnahmen an der Hunte. So wurde zum Beispiel die landwirtschaftliche Nutzung im betrachteten Zeitraum erheblich intensiviert, Heiden und Feuchtgebiete sind gebietsweise verschwunden und die Landschaft hat bis weit in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts an Strukturreichtum verloren. Die Arbeit zeigt aber auch, dass sich eine Reihe dieser Tendenzen Ende des 20. Jahrhunderts wieder umgekehrt haben. Hier scheint sich das Bewusstsein über den Wert der Landschaft an sich durchgesetzt zu haben. Des Weiteren beginnen inzwischen auch EU-Richtlinien, Wirkung zu zeigen.
Die Dissertation von Wiebke Bebermeier bietet einen anschaulichen Einblick in die Lebensbedingungen im Einzugsgebiet der Hunte vor der Umsetzung umfangreicher wasserbaulicher Maßnahmen, die uns heutzutage auf umfangreiche Weise vor dem Wasser schützen, uns aber teilweise auch in trügerischer Sicherheit wiegen. In Form von Briefen und Dokumenten kommen Zeitzeugen aus zeitgenössischen Druckschriften zu Wort. Verschiedenste Quellen zeugen auch zur damaligen Zeit bereits von Interessenskonflikten hinsichtlich der Notwendigkeit wasserbaulicher Maßnahmen vor dem Hintergrund der finanziellen Aufwendungen, bezüglich der Oberlieger-Unterlieger-Problematik sowie in Bezug auf unterschiedliche Zielvorstellungen von Hochwasserschutz, Schifffahrt und im weiteren Sinne auch Naturschutz (Landschaftsbild, Fischerei). Die vorliegende Arbeit bietet somit zugleich eine umwelthistorische und geographische Perspektive der wasserbaulichen Entwicklung der Hunte-Niederung während der letzten Jahrhunderte und deren Folgen.
Winkler, Stefan: Gletscher und ihre Landschaften. 183 S., zahlr. Abb. und farb. Photos. WBG, Primus Verlag, Darmstadt 2009, € 39,90 / sFr 67,-
In der Debatte um die globale Erwärmung und ihre Auswirkungen erfahren Gletscher aufgrund ihrer Bedeutung als Klimaindikatoren und Wasserspeicher derzeit große Aufmerksamkeit durch Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik. An Gletscherschwankungen lassen sich klimabedingte Veränderungen in der Geosphäre besonders plakativ darstellen, so dass Bildpaare von zurückschmelzenden Gletschern beinahe zum Sinnbild des globalen Wandels geworden sind. In diesem Zusammenhang verwundert es, dass seit Wilhelms „Schnee- und Gletscherkunde“ aus dem Jahr 1976 kein deutschsprachiges glaziologisches Lehrbuch mehr erschien. Diese Lücke wird nun von Stefan Winklers „Gletscher und ihre Landschaften“ weitgehend geschlossen. Wie der Titel des Werks bereits erahnen lässt, deckt es zusätzlich noch den Bereich der Glazialgeomorphologie ab, wobei beide Teile vom Umfang her in etwa gleich gewichtet sind und am Schluss noch durch einen Überblick zur holozänen Gletschergeschichte abgerundet werden.
Nach einer gelungenen Einführung in die Thematik und einem Abriss der Gletscherentstehung durch Schneemetamorphose liefert Winkler im Kapitel über die Eisbewegung eine längst überfällige deutschsprachige Zusammenfassung aktueller Forschungsergebnisse und weist zum Beispiel der in älteren Lehrbüchern überbewerteten „Blockschollenbewegung“ eine angemessene Bedeutung zu, nämlich die eines interessanten Ausnahmefalls. Anschließend werden die Themen Massenhaushalt und Längenänderungen sehr ausführlich behandelt, bevor der Autor mit Glazialhydrologie und einer für geographische Lehrbücher unumgänglichen Gletschertypisierung, deren Bedeutung Winkler im Falle einer morphologischen Klassifikation trefflich relativiert, den eigentlichen glaziologischen Teil abrundet. Das sich anschließende Kapitel über das Gletschertransportsystem ist bereits ein Übergang zum geomorphologischen Teil, der sich zunächst mit den Prozessen der glazialen Erosion und Akkumulation und anschließend mit den resultierenden Landschaftsformen beschäftigt. Da die Beschreibung der glazialen Abtragungs- und Ablagerungsprozesse physikalisch anspruchsvoll ist und statt einer allgemein akzeptierten Lehrmeinung verschiedene Modellvorstellungen existieren, sind die beiden Kapitel aufgrund ihrer textlichen Knappheit nur relativ schwer verständlich. Bei der Beschreibung des resultierenden Mikro-, Meso- und Makroformenschatzes wird dann deutlich, dass sich der Großteil der glazialgeomorphologischen Forschung in den letzten Jahrzehnten im angelsächsischen Raum abgespielt und bislang offenbar nicht den Weg in deutsche Lehrbücher gefunden hat. Auch bei den Akkumulationsformen macht Winkler einen Hausputz in der verstaubten deutschsprachigen Terminologie und zeigt auf, dass moderne Glazialgeomorphologie weitaus mehr ist als das 100 Jahre alte Konzept der „glazialen Serie“. Abschließend skizziert Winkler die Chronologie der Klima- und Gletscherschwankungen seit dem Ende der letzten Kaltzeit.
In allen Kapiteln ergänzen Exkurse und Fallbeispiele aus der Forschung auf sinnvolle und anschauliche Weise den Text. Winkler legt sehr viel Wert auf eine korrekte Fachsprache, weist auf begriffliche Unsauberkeiten hin und erklärt kompetent die oft feinen definitorischen Unterschiede zu den englischen Entsprechungen. Deshalb erstaunt es umso mehr, dass er gleichzeitig äußerst ungebräuchliche Begriffe verwendet („Stagnanteis“) oder englische Fachtermini direkt übernimmt („Debris“). Letzteres Beispiel begründet er, indem er eine neue Nomenklatur für den im deutschen mehrdeutig benutzten Begriff „Moräne“ vorschlägt. Diese ist zwar in sich schlüssig und eindeutiger als die bestehende, trotzdem sollten solche Versuche einer terminologischen Neuordnung skeptisch betrachtet werden, weil diejenigen, die sich nicht durchzusetzen vermögen, eher zur fachsprachlichen Verwirrung beitragen.
Fachlich könnte man Winkler vorwerfen, dass er sein eigenes wissenschaftliches Steckenpferd, nämlich die hoch maritimen Gletscher Norwegens und Neuseelands etwas zu sehr in den Vordergrund rückt. Dadurch bekommen diese besonderen Gletscher, die flächen- und zahlenmäßig nur einen äußerst geringen Anteil an den außerpolaren Gebirgsgletschern ausmachen, im Vergleich zu ihren kontinentaleren Verwandten ein unverhältnismäßiges Übergewicht, doch diese private Vorliebe sei dem Autor verziehen. An anderer Stelle, zum Beispiel bei der Modellvorstellung zur glazialen Umformung von Talquerschnitten dürften Winklers Ausführungen jedoch auf konkrete Ablehnung stoßen.
Eine der größten Stärken des Buchs liegt in der ausgezeichneten Illustration. Beeindruckende Fotos veranschaulichen den Text ebenso gut wie die didaktisch hervorragenden Grafiken. Das macht „Gletscher und ihre Landschaften“ für jeden, der sich allgemein für Gletscher oder für ihre Funktion als Wasserspeicher, Landschaftsgestalter oder Klimazeugen interessiert, unbedingt empfehlenswert. Allerdings sollte der Leser geowissenschaftliche Vorkenntnisse mitbringen, was der Untertitel „eine illustrierte Einführung“ nicht eben suggeriert. Für Studenten stellt das Buch derzeit die einzige Möglichkeit dar, sich in deutscher Sprache über den aktuellen Stand der glaziologischen und glazialgeomorphologischen Forschung zu informieren. Die hohe Informationsdichte könnte den Studienanfänger jedoch über weite Strecken überfordern. Man wünscht sich eine zweite Auflage mit den gleichen Inhalten, aber mindestens doppelt so viel Text.
Geyer, Gerd und Schmidt-Kaler, Hermann: Den Main entlang durch das Fränkische Schichtstufenland. 208 S., 214 farb., 17 schwarzw. Abb. und 1 Karte. Wanderungen in die Erdgeschichte 23. Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München 2009, € 25,-
Der Main quert auf seiner über 500 km langen Strecke von der Quelle im Osten bis zur Mündung in den Rhein das gesamte Fränkische Schichtstufenland und damit fast alle Epochen der Erdgeschichte Süddeutschlands: das Grundgebirge im Fichtelgebirge, den Jura in den nördlichen Ausläufern der Fränkischen Alb, den Keuper von Haßbergen und Steigerwald, den Unterkeuper und Muschelkalk der Mainfränkischen Platten, den Buntsandstein des Spessarts und schließlich das Grundgebirge des Vorspessarts. Aus Sicht eines geologisch Interessierten ist das eine beinahe perfekte Anordnung der Natur, die zu einer näheren Erkundung geradezu herausfordert. Ein größerer Führer zur Geologie entlang des Mainlaufs existierte bisher allerdings nicht. Die Verfasser, beides Geologen und erfahrene Autoren früherer Bände dieser Reihe, haben es sich aus diesem Grund zur Aufgabe gemacht, die Leser auf unterhaltsame Weise mit sieben Exkursionen durch die Erdgeschichte dieser vielfältigen Landschaft zu führen.
Nach bewährtem Muster geologischer Führer ist den ausführlichen Routenbeschreibungen ein Überblick (Kapitel 2–5) zu Geologie und Landschaftsgenese des Fränkischen Schichtstufenlandes vorangestellt. Einen guten Einstieg in die Thematik bieten dabei die geologisch-physische Übersichtskarte (nicht ganz korrekt als „geomorphologische Karte“ bezeichnet) am Anfang des Buches (S. 2–3) und eine geologische Karte am Ende (S. 206–207). Ein geologisches Raumbild des Schichtstufenlandes entlang des Mains (S. 8) sowie ein Profilschnitt vom Spessart bis zum Frankenwald (S. 8–9) helfen dem Leser, sich den groben Aufbau des Gebietes und die wichtigsten räumlichen Bezüge einzuprägen. Anschließend (Kapitel 3) wird die regionale Schichtfolge von der Entstehung des Grundgebirges bis zum Jura vorgestellt und durch entsprechende Profilzeichnungen illustriert.
Kapitel 4 beschreibt die Landschaftsgeschichte vom Jura-Meer bis zur heutigen Schichtstufenlandschaft. Es macht Sinn, diesem Zeitraum ein eigenes Kapitel zu widmen, liefen in ihm doch die meisten derjenigen Prozesse ab, die das rezente Relief geprägt haben. Hier seien die wichtigsten Punkte herausgegriffen, die die Autoren in diesem Kapitel ansprechen: Die Abtragung des mächtigen mesozoischen Deckgebirges begann bereits in der Kreidezeit. Sie setzte sich im Tertiär fort, in dem durch die „Herauspräparierung der unterschiedlich verwitterungsresistenten Schichten [...] allmählich eine Schichtentreppe und damit auch eine Schichtstufenlandschaft“ entstand (S. 18). Die klassische Diskussion zur Schichtstufengenese kommt hier allerdings noch nicht zur Sprache, sondern wird erst in Kapitel 5 erwähnt (siehe unten).
Relativ ausführlich werden die pleistozänen Terrassensysteme des Mains behandelt (S. 19ff.). Ihre zeitliche Einstufung entspricht allerdings nicht mehr ganz dem aktuellen Forschungsstand. Neueste Untersuchungen im Mittelmaintal bei Marktheidenfeld, die auf paläopedologischen und paläomagnetischen Befunden sowie Korrelationen mit angrenzenden Regionen beruhen (Seidenschwann u. Rösner 2007), stellen die außergewöhnlich starke Periode der Taleintiefung in das Jaramillo-Event (0,91-0,98 Mio. Jahre), also vor den Günz-Komplex. Die mächtige Talverschüttung („A-Terrasse“ nach Körber 1962) setzte bereits gegen Ende des Jaramillo-Events ein. Für die folgende „E-Terrasse“ (nach Körber 1962) lässt sich eine mindestens fünftletztkaltzeitliche Entstehung nachweisen. Im Hinblick auf die Gesamtkonzeption des Buches – geologischer Überblick über einen Landschaftstyp – spielen solche quartärstratigraphischen Ungenauigkeiten jedoch keine überragende Rolle, sondern sind nur für einen kleinen Kreis von Forschern von Bedeutung. Sie sollten deshalb nicht überbewertet werden.
Trotzdem dürfen einige weitere Ausführungen im Zusammenhang mit der Pleistozänstratigraphie und der pleistozänen Flussdynamik nicht unwidersprochen bleiben:
So war die Cromer-Zeit keine längere Warmzeit (S. 22), sondern ein von ausgeprägten Kaltzeiten gegliederter Komplex).
Dass die mächtige Talverschüttung des Mains in einem „relativ kurzen Zeitraum“ entstanden sei (S. 22), ist durch mehrere regionale Untersuchungen widerlegt. Der Aufschüttungsvorgang erstreckte sich über mindestens zwei Kaltzeiten und die dazwischen liegende Warmzeit. Eine solche Mehrgliedrigkeit ist nicht nur im Maintal, sondern auch z.B. in den Main-Nebentälern Kinzig und Kahl nachgewiesen.
Nach heutigem geomorphologischem Kenntnisstand sollte eine Zuordnung von fluvialer Einschneidungsphase zu einer Kaltzeit resp. fluvialer Aufschüttungsphase zu einer Warmzeit nicht mehr vorgenommen werden, wie es hier im Zusammenhang mit der Einschneidung des Maintals und der Talverschüttung geschieht (S. 22), oder wenn die Entstehung der Mittelterrassen vorwiegend einem Mindel-Riß-Interglazial zugeschrieben wird (S. 23).
Überhaupt scheint das Pleistozän nicht gerade die Lieblingsepoche der Autoren zu sein, denn sonst hätten sie nicht geschrieben, dass ein fossiler Bt-Horizont [also der Rest einer warmzeitlichen Bodenbildung] eine Solifluktionsperiode [kaltzeitliche Morphodynamik repräsentierend] während eines Interglazials [Warmzeit] markieren würde (S. 159)).
Der letzte Abschnitt des Kapitels 4 widmet sich der plio-pleistozänen Entwicklung im Flussnetz des Mains. Anhand anschaulicher Kartenskizzen erfährt der Leser, wie der auffällige Zickzack-Kurs des heutigen Mains entstanden ist, nämlich durch die Verknüpfung verschiedener Abschnitte eines ursprünglich nach Süden zur Ur-Donau gerichteten und dann nach Norden umgedrehten Entwässerungssystems. Ausgelöst wurde die Umkehr der Fließrichtung durch eine leichte Schollenkippung, die den oberfränkischen Ur-Main nach Westen ablenkte und auch die Fließrichtung im Regnitztal und anderen (heutigen) Zuflüssen des Mains nach Norden leitete (S. 25f.).
Hier endet das Kapitel zur jüngeren Landschaftsentwicklung – leider. Denn in Anbetracht der landschaftsprägenden, der stratigraphischen und vor allem der landwirtschaftlichen Bedeutung der vielfach mehrere Meter mächtigen Lößdecken auf den Mainfränkischen Platten, im Ochsenfurter Gäu und am Ostrand des Spessarts, hätte in diesem Übersichtskapitel zumindest kurz auf die äolischen Sedimente des Quartärs eingegangen werden sollen.
Kapitel 5 greift dann noch einmal die Entstehung der Fränkischen Schichtstufenlandschaft auf. Sie wird als strukturabhängig erklärt (S. 18) und der Zerschneidung eines leicht schräg gestellten, wechselnd widerständigen Schichtpaketes und einer erosiv bedingten Rückverlegung der Stufen seit dem Tertiär zugeschrieben. Das ist die verbreitetste – und m.E. auch plausibelste – Interpretation. Leider gehen die Autoren nicht näher auf die seit Jahrzehnten kontrovers geführte Diskussion zur Schichtstufengenese in Franken (Hauptvertreter: H. Schmitthenner contra J. Büdel) ein, sondern verweisen hierzu nur auf eine zusammenfassende Arbeit von Hofbauer 2005 (S. 27). Das ist schade, weil sich ein Leser, der mit dieser Thematik nicht vertraut ist, in einem Buch über das Fränkische Schichtstufenland zumindest eine kurze Gegenüberstellung der unterschiedlichen Erklärungsansätze gewünscht hätte. Immerhin handelt es sich um die namengebende Landschaftsform des in diesem Buch behandelten Raumes.
Dafür bieten die folgenden fünf ganzseitigen West-Ost-Profilschnitte durch das Fränkische Schichtstufenland (S. 28–32) reichlich Entschädigung. Sie sind eine gelungene Kombination aus geologischem Grundprofil und Informationen zu Höhenlage, Temperatur und Niederschlag, natürlicher Vegetation, Nutzung und pleistozänen Deckschichten. Aus diesen Darstellungen lässt sich übrigens unschwer die Bedeutung der in Kapitel 4 vermissten Lößdecken für Bodenbildungen und Nutzung ablesen.
An die Überblickskapitel schließt sich der umfangreiche Hauptteil des Buches (Kap. 6) an. Er erschließt dem Leser das Fränkische Schichtstufenland entlang des Mains über sieben Exkursionsrouten durch repräsentative Regionen:
das Grundgebirge Ostbayerns
das Oberfränkische Bruchschollenland
die Obermain-Alb
den Keuper zwischen Steigerwald und Haßbergen
den Muschelkalk des Main-Dreiecks
den Buntsandstein im Main-Viereck
das Grundgebirge und das Perm des Vor-spessarts
Die Touren sind als Fahrradexkursionen konzipiert, die im Wesentlichen dem ausgeschilderten Main-Radweg folgen. Abstecher führen auch zu geologischen Besonderheiten abseits der ausgeschilderten Route. Die Exkursionen können natürlich auch in Abschnitten zu Fuß erwandert werden. In jedem Fall sollte man Kartengrundlagen mitführen; empfohlen werden die topographischen Karten des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation im Maßstab 1:50 000 oder die Wanderkarten des Fritsch-Verlags. Radfahrern wird der spezielle Führer „Main-Radweg“ (Esterbauer-Verlag, 10. Aufl., 2008) nahe gelegt.
Es würde den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen, wollte man jede einzelne Etappe besprechen. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn bei allen Exkursionen wurde nach dem gleichen bewährten System verfahren:
Eine kleine geologische Karte, die auch Strecken-verlauf und Standorte ausweist, gewährt einen ersten Überblick über das Exkursionsgebiet.
Jeder Exkursionsbeschreibung ist ein kurzer Abriss zu Geologie und Tektonik des Raumes vorangestellt.
Danach folgt eine allgemein verständliche Darstellung der geologisch-tektonischen Verhältnisse entlang der Route und in den besuchten Aufschlüssen. Ein echtes Aha-Erlebnis für den geologisch noch unerfahrenen Leser dürften die zahlreichen Verweise auf lokale Bausteine in historischen Gebäuden (Kirchen, Burgen, Rathäuser, Bürgerhäuser) sein – selbstverständlich durch Fotos illustriert –, die den Text immer wieder auflockern. Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist die geologische Kartierung der Bausteine an der Ostfassade des Bamberger Doms (Abb. D3, S. 82). Überhaupt verweisen die Verfasser erfreulich oft auch auf kunstgeschichtlich und historisch interessante Örtlichkeiten.
Aussagekräftige Skizzen, Profildarstellungen, Blockbilder und Kartenausschnitte erleichtern es ganz erheblich, sich eine Vorstellung von den geologischen Verhältnissen zu machen.
Zahlreiche Farbfotos von typischen Land-schaftsausschnitten, Aufschlüssen, Gesteinen und Gesteinsanschliffen bieten die Gelegenheit, seinen Blick schon vorab für das zu schulen, was im Gelände oder im Aufschluss zu erwarten sein wird.
Alles in allem stellt das Buch eine sehr gelungene geologisch-tektonische Übersicht zum Fränkischen Schichtstufenland dar. Hier wird Wissen, das sonst in trockenen, wissenschaftlichen Abhandlungen und Lehrbüchern nur einen kleinen Kreis von Adressaten erreichen würde, in allgemein verständlicher Sprache und in hervorragender Ausgestaltung einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Aber auch der Fachmann, der sich einen geologischen Überblick über die Region verschaffen will, profitiert von dem Band. Mit den Exkursionsroutenvorschlägen erhält der Leser die Chance, Wissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes greifbar nachzuvollziehen. Das kann nicht genug betont werden, war es doch lange Zeit für einen deutschen Forscher beinahe ein Sakrileg, Zusammenfassungen wissenschaftlicher Resultate auch für Nicht-Fachleute anschaulich und eingängig zu präsentieren. Hervorzuheben ist zudem, dass die meisten Karten und Abbildungen farbig sind. Wer sich früher beim Lesen von Fachliteratur schon durch farblose und signaturüberladene Skizzen und Graphiken quälen musste, weiß diese Tatsache heute um so mehr zu schätzen.
Der vorliegende geologische Führer ist deshalb – wie auch die vorherigen – sehr zu empfehlen. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht der letzte der Reihe „Wanderungen in die Erdgeschichte“ ist. Die Zahl der Bände – inzwischen sind es 23, seit 1990 der erste Band erschienen ist – spricht eindeutig für dieses Erfolgskonzept.
Seidenschwann, G. u. Rösner, U. (2007): Das Pleistozänprofil der Ziegeleigrube Marktheidenfeld und seine Stellung innerhalb der Terrassenfolge des Mittelmaintals. Jahresber. d. Wetterauischen Gesellschaft für die gesamte Naturkunde 155-157, 37-66.
Zusammenfassende quartärstratigraphische Tabelle in: Habbe, K. A. (1998): “In the Alpine area, the classical nomenclature of Penck & Brückner has to be abandoned“ (Šibrava 1986) – Was ist davon zu halten?. In: Glatthaar, D. u. Herget, J. (Hg.): Physische Geographie und Landeskunde. Festschrift für Herbert Liedtke. Bochumer Geogr. Arb. 13. Bochum, 14–22.
Die Kommentare in eckigen Klammern sind Anmerkungen der Rezensentin.
Nau, Stephanie: Lokale Akteure in der Kubanischen Transformation: Reaktionen auf den internationalen Tourismus als Faktor der Öffnung. Ein sozialgeographischer Beitrag zur aktuellen Kuba-Forschung aus emischer Perspektive. 157 S., 29 Abb. (davon 12 farbig), 5 Tab. und 81 Bilder. Passauer Schriften zur Geographie 25. Selbstverlag Fach Geographie der Universität, Passau 2008, € 29,50.
Nach dem krankheitsbedingten Rückzug Castros aus den Regierungsgeschäften und der Ankündigung einer Neuorientierung der US-Politik durch Obama (Embargo seit 1962!) rückt Kuba erneut in das internationale Blickfeld, aus dem es nach der Überwindung der Wirtschaftskrise in der Folge der Auflösung des sozialistischen Lagers Anfang der 1990er Jahre wegen nur halbherziger Reformen und stagnierender Entwicklung verschwunden war.
Eine wichtige Stütze für Deviseneinnahmen stellt der staatlich gelenkte internationale Tourismus mit jährlich über 2 Mio. Besucher dar. Während Pauschaltouristen in Hotelkomplexen am Strand von der einheimischen Bevölkerung weitgehend abgeschottet werden, können Individualreisende auch die unter strenger Aufsicht stehenden privaten Vermieter, Restaurants und Dienstleister in Anspruch nehmen. Durch die hiermit verbundenen Deviseneinnahmen und die zum Ausgleich staatlicher Versorgungslücken erforderlichen Netzwerkbeziehungen mit dem informellen Sektor bzw. dem Schwarzmarkt, entstehen soziale Ungleichheit in der kubanischen Gesellschaft. Hier setzt die Dissertation von Frau Nau an, um hinter die Fassade der von staatlicher Propaganda geprägten Lebenswelt der Kubaner zu blicken. Durch den direkten persönlichen Kontakt zu den Kleinunternehmern können tatsächliche Herausforderungen und Probleme des Alltags identifiziert aber auch ihre persönlichen Wertvorstellungen, Ziele, Strategien und Netzwerkbeziehungen aufgedeckt werden. Es geht folglich um die Veränderungen in ihrem Denken und Handeln bei der Gestaltung des alltäglichen Lebens und die Nutzung der Chancen des Tourismus für die Erzielung privater Deviseneinkommen zur Verbesserung der ökonomischen Situation.
Wissenschaftliche Forschung ist in Kuba für Ausländer in der Regel nur nach staatlicher Genehmigung und in Zusammenarbeit mit einheimischen Institutionen möglich. Insbesondere Erhebungen auf der Mikroebene der Haushalte und Einzelakteure werden mit Misstrauen beobachtet. Aus diesem Grunde war es für die Autorin als verdeckt arbeitende „Einzelakteurin“ natürlich nicht möglich, formalisierte Erhebungen und statistisch abgesicherte quantitative Ergebnisse anzustreben. Demgegenüber rückten Methoden der qualitativen Sozialforschung und explorative Vorgehensweisen in den Mittelpunkt: Teilnehmende Beobachtung, Einzelgespräche mit Vertrauenspersonen und generelle Informationsgewinnung bei sonstigen Einrichtungen. Auf diese Weise wurden bei drei mehrmonatigen Aufenthalten zwischen 2002 und 2005 umfangreiche Tagebuchnotizen, Gedächtnisprotokolle von informellen Gesprächen und 36 Stunden Interviews aufgezeichnet, die transkribiert, kodiert und inhaltsanalytisch ausgewertet wurden.
Wissenschaftstheoretisch stützt sich die phänomenologisch hermeneutisch ausgerichtete Forschung auf die Lebensweltanalyse von Husserl mit ihren Erweiterungen durch Schütz sowie soziale Handlungstheorien und ihre sozialgeographischen Rezeptionen (diskutiert in Kap. 3). Gesellschaftliche Phänomene und Strukturen können durch eine Rekonstruktion von Handlungsabläufen beschrieben und unter Berücksichtigung der Motive der Akteure und ihrer verfügbaren Mittel interpretiert werden. Hermeneutisches Verstehen erfordert folglich Sachwissen über die Ressourcen und Knappheiten in ihrer räumlichen Differenzierung, deshalb wird den Erhebungsergebnissen ein Kapitel zum Kontext Kuba vorausgestellt (vgl. Kap. 5). Der Band gliedert sich somit in jeweils zwei knappe Einführungs- und Abschlusskapitel von wenigen Seiten, zwei kürzere Kapitel zur wissenschaftstheoretischen und methodologischen Grundlegung sowie ein umfangreiches Informationskapitel zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation in Kuba. Dabei erhalten die Versorgungsproblematik und die Bedeutung des Tourismus zur Ergänzung der Haushaltseinkommen besondere Beachtung. Der folgende Hauptteil liefert die empirischen Ergebnisse zu den drei Fallstudien: Havanna, Santiago de Cuba/Oriente und Viñales/Pinar del Río jeweils untergliedert nach einführenden Bemerkungen zur Lebenswelt, sowie zu den Wahrnehmungen, Reaktionen und Netzwerkbeziehungen der Akteure. Die Darstellung hat beschreibenden und dokumentierenden Charakter wegen der vielen Originalzitate, durch welche die Kubaner selbst zu Wort kommen. Interpretationen und theoretische Einordnungen treten demgegenüber zurück. Zahlreiche Photos ergänzen und visualisieren die Aussagen.
Die abweichenden Ergebnisse der drei Fallbeispiele belegen die Bedeutung der regional unterschiedlichen Rahmenbedingungen. In der Landregion Viñales mit tragfähiger agrarischer Basis sind Gäste nicht nur wegen der Nebeneinnahmen willkommen. Die positive Grundeinstellung zum sozialistischen System hat sich bisher dadurch nicht verändert. Demgegenüber fühlen sich die Bewohner der Großstadt Santiago bei prekärer Versorgungssituation von der Regierung vernachlässigt und versuchen aggressiv ihre Lebensumstände durch die Devisen der Reisenden zu verbessern, wodurch Konflikte ausgelöst werden. In der vergleichsweise gut ausgestatteten Metropole Havanna mit starkem Einfluss des Tourismus bieten sich vielfältige Möglichkeiten für Aktivitäten zur Einkommensverbesserung. Aber nicht alle Gruppen haben Zugang zum Devisengeschäft, deshalb ist die Unzufriedenheit mit dem System hoch, und sogar die Flucht wird als Option gesehen.
Die vorliegende sozialgeographische Arbeit liefert mit ihrem Fokus auf die Mikroebene der kubanischen Gesellschaft und die tieferen Einsichten in das Alltagsleben ausgewählter Akteure in unterschiedlichen Regionen authentische Einblicke in die jüngeren Veränderungen unter dem Einfluss des internationalen Tourismus. Eine weitergehende theoretische Einordnung wird nicht angestrebt. Die Ergebnisse sind gewissenhaft recherchiert und methodisch abgesichert soweit das unter den schwierigen Forschungsbedingungen möglich war. Sie liefert zwar keine spektakulären neuen Erkenntnisse, ergänzt aber in vortrefflicher Weise zahlreichere Arbeiten zum ökonomischen Transformationsprozess in Kuba.
Sperling, Walter: Bäume und Wald in den geographischen Namen Mitteleuropas: Die böhmischen Länder. Eine geographisch-statistisch-namenkundliche Bestandsaufnahme. 427 S., 3 Abb. und 1 Tab. Namenkundliche Informationen Beiheft 24. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2007, € 29,-
Als Ausgangspunkt für seine „multidisziplinär konzipierten Studie“ sieht der Trierer Geograph Walter Sperling seine langjährige Beschäftigung mit der Landeskunde der ehemaligen Tschechoslowakei, wobei die thematischen Akzenten auf der Siedlungsgeographie und der Erforschung der Kulturlandschaftsgenese lagen. In diesem Zusammenhang richtete der Verfasser von Anfang an sein Augenmerk auch auf die Interpretation geographischer Namen, da er hieraus Erkenntnisse zur Geschichte der Siedlungen und der Kulturlandschaft zu gewinnen hoffte. Sperling legte neben den landeskundlichen und siedlungsgeographischen Veröffentlichungen seit 1980 mehrere Beiträge zur Geotopologie mit einem besonderen Schwerpunkt auf der internationalen Standardisierung von geographischen Namen vor. Zwei weitere Aspekte kennzeichnen die einschlägigen Veröffentlichungen von Walter Sperling: 1. die enge Nachbarschaft zur Geoökologie, 2. der zunehmende Einfluss der Perzeptionsgeographie, die sich mit der Raum- und Umweltwahrnehmung durch die Bevölkerung beschäftigt.
Nachdem Sperling bei seinen landeskundlichen Forschungen wie schon erwähnt sich immer schon intensiv mit den geographischen Namen beschäftigt hatte und dabei vor allem die älteren tschechischen und deutschen Forschungen (z.B. von V. Šmilauer und E. Schwarz, beide Jahrgang 1895) ausgewertet hatte, brachte ihm der Kontakt zum namenkundlichen Forschungsschwerpunkt der Universität Leipzig und vor allem zu dem etwa gleichalten Ernst Eichler entscheidende neue Anregungen. In der Einleitung findet sich deshalb auch folgender Satz (S. 14): „E. Eichler (geb. 1930) hat bei seinen Untersuchungen über die slawischen Namen zwischen Saale und Lausitzer Neiße auf die Bedeutung der Bezeichnungen für die Bäume und Sträucher, Wald und Gehölze, Waldrodung und Waldwirtschaft hingewiesen und damit auch diese Studie angeregt“. Diese enge wissenschaftliche Verbindung erklärt auch zur Genüge, warum das Werk eines Geographen über die böhmischen Länder in einer Leipziger namenkundlichen Reihe erschienen ist. Wichtig zur Bestimmung des interdisziplinären Umfeldes des Buches erscheint auch der Dank im Vorwort an Hans-Jürgen Klink für seine Unterstützung im Bereich der Geoökologie.
Das 2007 veröffentlichte Buch (auf dem Außentitel findet sich wohl irrtümlich die Jahreszahl 2008) enthält außer dem Vorwort des Verfassers und drei Zusammenfassungen (deutsch, englisch, tschechisch) vier Hauptkapitel: I. Einleitung und Grundlagen. II. Bäume und Sträucher. III. Wald, Waldwirtschaft, Waldrodung. IV. Ergebnisse und Ausblick. Im ersten Teil (S. 13–73) erläutert Sperling die Zielsetzung der Arbeit; er kennzeichnet das Untersuchungsgebiet und beschreibt die Landesnatur; weiterhin äußert er sich zur nacheiszeitlichen Waldgeschichte und zum Besiedlungsgang; schließlich behandelt er allgemein die Geographischen Namen und den Bilinguismus sowie die Quellenlage. Im zweiten Teil sind systematisch die Belege für Bäume und Sträucher in den geographischen Namen der böhmischen Länder zusammengestellt (S. 75–217). Es handelt sich dabei um folgende Bäume: Eiche, Hainbuche, Buche, Birke, Hasel, Linde, Ahorn, Ulme, Kiefer, Lärche, Eibe, Tanne, Fichte, Erle, Esche, Pappel, Weide, Salweide, Apfelbaum, Birnbaum. Unter der Überschrift „Weitere Bäume und Pflanzen“ sind zusätzlich knappere Ausführungen zu finden über weitere Pflanzen: Brennnessel, Brombeere, Erdbeere, Hartriegel, Himbeere, Holunder, Hopfen, Kirsche, Pflaume, Pimpernuss, Schilf, Schlehe, Traubenkirsche, Wein, Weißdorn. Im dritten Teil sind Hinweise auf Wald, Waldwirtschaft und Waldrodung systematisch zusammengestellt (S. 219–329). Es handelt sich dabei um folgende Begriffe: Umritt, Frist, Gehege, Sumpf, Aue, Heide, Gestrüpp, Hain, Wald, Bergwald, Holz, Lichtung, Schlag, Rodung, Brand. Es schließen sich noch drei kürzere Abschnitte an zu den deutschen Rodungsnamen auf -reuth, -rode, -ried; auf -grün; auf -schlag. Im vierten Teil (S. 331–380) wird zunächst noch einmal Fragestellung und Aufbau der Arbeit erläutert. Danach folgen die Ergebnisse der Untersuchungen zum Komplex „Bäume und Sträucher“ und zum Komplex „Wald- und Rodungsnamen“. Abgeschlossen wird dieser Teil durch ausführliche Erörterungen zur historischen Doppelsprachigkeit und den früheren Umbenennungen sowie zu der Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Erwähnenswert ist noch die Tabelle „Vergleich der Namen von Orten und Baumarten“ mit folgenden Angaben: Anzahl, Früheste Erstnennung, Niedrigster Ort, Höchster Ort, Durchschnittliche Höhe sowie die drei Figuren: Bezirksgliederung 1996; Höhenstufen der Vegetation; Verbreitungsgebiete der Eiche und der Buche nach den Ortsnamen.
Wie aus dem Untertitel deutlich hervorgeht, versteht Sperling seine Arbeit primär als eine geographisch-statistisch-namenkundliche Bestandsaufnahme eines thematisch definierten Teils der geographischen Namen der böhmischen Länder. Im Mittelpunkt stehen dabei die Namen von Landschaften, Geländeteilen, Bergen, Wäldern und Siedlungen einschließlich der Wüstungen. Die Flurnamen bleiben weitgehend unberücksichtigt, was hauptsächlich mit der Art der verwendeten Quellen und den Arbeitsmöglichkeiten des Autors zusammenhängt. Das Untersuchungsgebiet, die „böhmischen Länder“ deckt sich weitgehend mit der heutigen Tschechischen Republik. Die Verwendung des Begriffs „Mitteleuropa“ im Haupttitel befremdet etwas, da sich in dem Buch fast keine Ansätze zu einer vergleichenden Einordnung der gewonnenen Ergebnisse in die weitere mitteleuropäische Namenkunde finden. Das Basismaterial ist der offizielle tschechische Namenbestand der Gegenwart. Nur wenn es nach Meinung des Verfassers zur Klärung siedlungsgeschichtlicher Vorgänge nötig war, wurden auch ältere deutsche Namen herangezogen. Es fehlt aber eine systematische Zusammenstellung und Auswertung des historischen deutschen Namenguts. Nicht recht nachvollziehen kann man die regelmäßig durchgeführten Vergleiche mit den Angaben in der älteren Veröffentlichung (1912) von W. Friedrich über „Die historische Geographie Böhmens bis zum Regime der deutschen Kolonisation“. Die Ausführungen zu den verschiedenen Um- und Neubenennungen vom Tschechischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Tschechische sind dagegen sehr fundiert, wenn sie auch häufig nicht recht zu der zentralen Fragestellung des Buches passen.
Als Quellen wurden hauptsächlich die amtlichen Gemeindeverzeichnisse und Ortslexika verwendet. Die wichtigsten Aufgaben bestanden in der namenkundlichen Sichtung der geographischen Namen in Hinblick auf das Thema, die Feststellung der Erstnennungen und die Zuordnung zu einer bestimmten Höhenstufe und damit einer biogeographischen Einheit. Die Auswertung des derart vorgelegten statistischen Materials sollte dann in folgende Richtungen erfolgen: 1. Hinweise auf die biogeographischen Verhältnisse der Siedlungen in der Frühzeit und damit auch auf deren Lebensweise der Bevölkerung. 2. Hinweise auf die Besiedlungsphasen. 3. Hinweise auf die wechselnden Formen des deutsch-tschechischen Bilinguismus und damit auf das wechselnde Verhältnis beider Völker. Sperling weist Bezüge der in den Geonamen aufscheinenden Arten zur biogeographischen Höhengliederung nach und macht Zusammenhänge mit der Gründungszeit der Orte wahrscheinlich. Es werden eindrucksvolle Hinweise auf die Bodenbedeckung zur Landnahmezeit, auf die Entwicklung der Landeskultur und den Fortgang der Rodungstätigkeit gegeben.
Der Verfasser weist an verschiedenen Stellen darauf hin, dass die Forschungen noch weitergeführt werden müssten. In Hinblick auf die Quellen räumt er ein, dass die seit der Wende wieder uneingeschränkt zugänglichen aktuellen und historischen großmaßstäbigen Kartenwerke sowie die Luftaufnahmen und Satellitenbilder nur vereinzelt ausgewertet wurden. Die Einordnung der Namen in die naturgeographischen Verhältnisse könnte mit Hilfe dieser Quellen, aber auch durch den Einsatz von Datenbänken und quantitativen Methoden noch wesentlich verbessert werden. Vor allem könnten dann auch Flurnamen erfasst werden, was aus arbeitstechnischen Gründen bei der vorliegenden Untersuchung nicht möglich war. Es ist zu hoffen, dass es dem Autor gelingen möge, die mehrmals angesprochenen in Arbeit befindlichen Spezialuntersuchungen im Bereich der geographischen Namen zum Abschluss zu bringen. Dann würde sicherlich die Bedeutung der „geographisch-statistisch-namenkundlichen Bestandsaufnahme“ für die Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeschichte der böhmischen Länder noch größer werden. Trotz gewisser Einschränkungen des Stellenwerts der allgemeinen Interpretation der Ergebnisse durch Walter Sperling verdienen Autor, Herausgeber und Verlag große Anerkennung, dass sie dieses Werk herausgebracht haben. Von ihm werden sicherlich weit reichende Anregungen für Forschungen in dem in der Nachkriegszeit viel zu wenig gepflegten wissenschaftlichen Zwischenbereich zwischen Geographie und Namenkunde ausgehen.
Vorlaufer, Karl: Südostasien. Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Politik. XI und 244 S., 178 Abb. und 60 Tab. WBG-Länderkunden. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, € 39,90 / sFr 67,-
Immer wieder streiten sich die Geographen über den wissenschaftlichen Wert von Länderkunden, insbesondere dann, wenn es sich nicht um ein einzelnes Land sondern, wie im Fall Südostasien, um einen ganzen „Kulturerdteil“ handelt, der sowohl nach Einwohnern als auch nach Fläche größer ist als die Europäische Union. Man fragt sich, wie es eine einzelne Person schaffen kann, die wesentlichen Strukturen und Entwicklungen eines derart riesigen und in sich höchst differenzierten Raumes in einem begrenzten Umfang von 244 Seiten angemessen zu erfassen. Das vorliegende Werk zeigt, dass dies sehr wohl möglich ist, aber nur, weil es dem Autor in großartiger Weise gelungen ist, selbst komplizierte Strukturen und Prozesse in überschaubarer Form zu analysieren und wechselseitige Abhängigkeiten, etwa zwischen naturräumlichen Gegebenheiten und sozio-ökonomischen Prozessen, zu interpretieren. Bei der Bewältigung einer derart anspruchsvollen Aufgabe halfen dem Autor seine fundierten regionalen Kenntnisse, die er sich über mehr als 30 Jahre durch fast alljährliche Forschungs- und Studienaufenthalte, Durchführung von Projekten und auf ausgedehnten Reisen in allen Teilen Südostasiens aneignen konnte.
Deutlich ist die Absicht erkennbar, nicht einfach eine enzyklopädische Darstellung des Raumes anzufertigen, sondern im Stil einer modernen problemorientierten Länderkunde aktuelle Fragestellungen aus globaler Perspektive zu sichten und an ausgewählten Beispielen zu durchleuchten. Demzufolge ist das Buch nicht nach Ländern untergliedert, sondern nach Themenbereichen – von den natürlichen Standortfaktoren und der historischen Entwicklung über die Bevölkerung, die verschiedenen Wirtschaftssektoren bis hin zu Problemen der Urbanisierung und der Umwelt. Dabei überzeugt die souveräne Beherrschung auch fachfremder Disziplinen. Wenn man überhaupt ein Kapitel besonders hervorheben will, dann vielleicht das über den Tourismus, ein Bereich, mit dem sich der Autor über viele Jahre (und nicht nur in Südostasien) intensiv beschäftigt hat. Ein weiteres Sonderlob gebührt den hervorragenden Abbildungen, insbesondere den ausgezeichneten Karten und den wunderbaren, aussagekräftigen Fotos. Hinzu kommt der gut verständliche Schreibstil, eine wichtige Voraussetzung, um nicht nur Geographen und andere Wissenschaftler anzusprechen, sondern auch um das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an Südostasien zu wecken.
Fazit: Mit diesem Buch liegt uns ein höchst verdienstvolles Werk vor, ein würdiger Nachfolger von H. Uhligs klassischer Länderkunde „Südostasien“ (1988) und ein erfreulicher Beleg dafür, dass nach wie vor gute Länderkunden benötigt werden, als unverzichtbarer Gegenpol zu der kaum noch überschaubaren Datenflut aus dem Internet.
Küster, Hansjörg (Hg.): Kulturlandschaften. Analyse und Planung. 181 S., 12 Abb. und 1 Tab. Stadt und Region als Handlungsfeld 5. Peter Lang, Frankfurt a.M. 2008, € 34,80
Es kann nicht verwundern, dass Reflektionen, die zwei sprachgeschichtlich so aufgeladene und daher auch aktuell so vielfach belegbare Begriffe wie Kultur und Landschaft zu Kulturlandschaft zusammenbinden, eine große Breite in den Verständnissen und methodischen Zugängen zeigen. Das gilt umso mehr für daraus abgeleitete Aufsätze, die aus einer lockeren Vortragsreihe zur Analyse und Planung von Kulturlandschaften hervorgegangen sind, wie im vorliegenden Fall aus einer des Kompetenzzentrums für Raumforschung und Regionalentwicklung in der Region Hannover, denn eine strikte Vorabsprache unter den Vortragenden erfolgt selten. Folglich kann in den Vorträgen kaum aufeinander eingegangen werden. Es darf dennoch verwundern, dass keiner der Beiträge wenigstens in den Schriftfassungen auf die Gedanken zur Verwendung des Terminus im Einführungsbeitrag des Bandherausgebers eingeht. Da dies nicht geschieht, vermittelt dieser Band „Kulturlandschaft“ als ein analytisch-planerisches Konzept extremer Beliebigkeit. Darunter können dann wie hier Beiträge zur niedersächsischen Hauslandschaft, zur Realität filmischer Landschaften, zu den räumlichen Wirkungen neuer Energieträger ebenso subsumiert werden wie Berichte über Inventarisierungsprojekte zu historischen Kulturlandschaftselementen in Niedersachsen. Ohne Zweifel finden sich in jedem Aufsatz anregende Gedanken, die herauszufiltern aber einem jeden Leser nach seinen Bedürfnissen überlassen werden muss.
Dass aktuelle Diskussionen zu „Kulturlandschaft“ vor allem im raumplanerischen Kontext sich derzeit aber keineswegs in völliger Beliebigkeit ergehen, da sie sich auf wiederholte Aktualisierungen des Gesetzgebers zur „gewachsenen Kulturlandschaft “im Raumordungsgesetz und auf Übereinkommen der Denkmalpflege zur „historischen Kulturlandschaft“ beziehen, zeigt die ausführliche Dokumentation von Diskussionen zu Kulturlandschaft im Kontext der Akademie für Raumforschung und Landesplanung durch einen ehemaligen Mitarbeiter dieser Akademie, nämlich Volker Wille, in diesem Band. Man kann es hinnehmen, dass die dabei erzielten Ergebnisse von diesem Metier Fernstehenden nicht im Detail rezipiert werden. Ärgerlich wird jedoch die Nichtzurkenntnisnahme von Diskussionsständen, wenn man den Eindruck gewinnt, dass das trotz fachlicher Nähe systematisch geschieht, wie im Falle des Beitrags „Die Bedeutung historischer Kulturlandschaftselemente für die Eigenart und Schönheit von Kulturlandschaften“ von Hans Herrmann Wöbse. So stammen von den insgesamt neun im Literaturverzeichnis genannten Arbeiten fünf aus der Feder dieses Autors, und der Rekurs auf die geographischen Diskussionen um Kulturlandschaft erfolgt auf ein Buch von Ernst Neef zu den theoretischen Grundlagen des Landschaftslehre von 1967 und eine Sammlung von Anneliese Siebert im „Umschaudienst“ der ARL zu Wort, Begriff und Wesen der Landschaft von 1955! Die Bereitschaft, neuere Ergebnisse der Forschung wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, ist doch Basis wissenschaftlichen Diskurses, selbst wenn man andere Ansichten hat. Vor diesem Hintergrund sehe ich in der Publikation eines solch disparaten Sets an Aufsätzen eher eine vertane Chance zur weiteren Schärfung von „Kulturlandschaft“ in einem raumplanerischen Kontext.
Gather, Matthias; Kagermeier, Andreas und Lanzendorf, Martin: Geographische Mobilitäts- und Verkehrsforschung. 303 S., 112 Abb. und 24 Tab. Studienbücher der Geographie. Gebr. Borntraeger Verlagsbuchhandlung, Berlin, Stuttgart 2008, € 29,-
For some years, the issue of transport and mobility in geographical research has been gaining increasing importance, in terms of which lies the strength of geographical research in regard to its integrative capacity as well as the great readiness for multi-disciplinarity. The preoccupation with mobility and transport has thus developed into an established field of geographical teaching and research.
The publication offers an oversight concerning the most important findings, not only of geographical research but also of transport sciences of other disciplines. With regard to content, the issue always lies at the focus of attention, according to the concept of sustainability, both from the social and economic and ecological points of view, as to how far the development trends and approaches analysed can be viewed as sustainable.
The current textbook begins with a presentation of transport-geographical research into the transport sciences and thus points out how tight the network of scientific disciplines has already progressed. The analysis of the social framework conditions of transport development is followed by a fundamental overview concerning approaches which politically influence transport development. Supported by the sustainability issue, the requirements for a future transport system are presented in a general abstract manner in Chapters 4 to 6. There then follows the content-concept on the basis of the core issue of reciprocal effects of space and transport as well as of major problem areas of passenger and freight transport development.
Based on the problem analysis, the existing options for transport configuration are presented in Chapters 10 and 11 and are discussed by means of examples. The volume concludes with a brief assessment of the current transport development against the background of the debate on sustainability and tries to deduce future issues of geographical mobility and transport research.
Bellér-Hann, Ildikó: Community Matters in Xinjiang 1880-1949. Towards a Historical Anthropology of the Uyghur. XV und 476 S. und 16 Abb. China Studies 17. Brill, Leiden, Boston 2008, € 115,- / $ 171.-
The mid-19th century is characterized by transformations in Eastern Turkestan that contained the option of an independent Kashgaria as envisaged by Yaqub Beg and finally ended up with what is Xinjiang, the New Territory, in the far West of the Chinese Empire. The downfall of Kashgaria and the formation of Mao Zedong’s PR of China mark the period which is covered in this valuable contribution to Xinjiang studies. Ildikó Bellér-Hann presents us with a title that can be read in at least two meanings. “Community matters” are introduced as “… social relations and local understandings of sources belonging in specific historical contexts” as well as the “… emic emphasis on the importance of being social, i.e., of belonging” (p. 19). The dual approach puts community and reciprocity into the core of the study, which aims at a contribution “towards a historical anthropology of the Uyghur”. The book provides much more. With caution and care the author reflects the state of the art in Xinjiang studies, negotiates ways and methods how to understand the multiplicity in views and perceptions of the North-Western periphery, and identifies an important niche that needs proper scholarly attention. Making use of a host of contemporary sources five chapters are presented that are structured to look at place and people, to comprehend economic and social organization, to investigate social relations and the force of custom, to describe a person’s life cycle, and to address religion, Islamic institutions and activities. Despite the categorization of chapters the overall theme and their contribution to an understanding, which does not provide a container full of “culture”, remains central and provides a leitmotif for the reader. The vast experience of the author from extended fieldwork in Xinjiang creates the necessary background for a context-based reading of the historical material and interpreting it from then to now. Thus, “community matters in Xinjiang” introduce a more diversified perspective on Uyghur social embeddedness, economic relations and participation in customary and religious practices. Ildikó Bellér-Hann has made a major contribution to and cornerstone for the house of Xinjiang studies.
Hanspach, Dietrich und Porada, Haik Thomas (Hg.): Großenhainer Pflege. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme im Raum Großenhain und Radeburg. XIX und 397 S., 80 Abb. und 2 Übersichtskarten. Landschaften in Deutschland 70. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2008, € 29,90 (D) / 30,80 (A) / sFr 52,20
Die vorliegende Bestandsaufnahme der „Großenhainer Pflege“ erscheint mit der laufenden Nummer 70 der 1957 gegründeten Reihe. Von der „Neuen Folge“ mit dem Titel „Landschaften in Deutschland. Werte der deutschen Heimat“ liegen nunmehr seit 2001 neun Bände vor, die teilweise auch schon in dieser Zeitschrift besprochen wurden (Band 63 in Erdkunde 60, 2006, S. 191; Band 67 in Erdkunde 61, 2007, S. 116; Band 69 in Erdkunde 61, 2007, S. 298). Es handelt sich dabei um folgende Räume: 62: Saalfeld und das Thüringer Schiefergebirge; 63: Der Schraden; 64: Um Eberswalde, Chorin und den Werbellinsee; 65: Das Mittelrheinische Becken; 66: Bitterfeld und das untere Muldetal; 67: Die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft; 68: Das nördliche Vogtland um Greiz; 69: Brandenburg an der Havel und Umgebung; 70: Großenhainer Pflege.
Die neueren Bände wurden gemeinsam im Auftrag des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig von wechselnden Einzelpersonen herausgegeben. Die Redaktion liegt derzeit bei dem Mitarbeiter des Leibniz-Instituts, Dr. des. Haik Thomas Porada. Neben dem Direktor des Leibniz-Instituts, Prof. Dr. Sebastian Lentz, betreut die Reihe noch ein achtköpfiger Wissenschaftlicher Beirat unter Vorsitz von Prof. Dr. Dietrich Denecke, Göttingen. Die Federführung und die Moderationsaufgabe liegt bei diesem interdisziplinären Unternehmen eindeutig bei der Geographie, was auch bei der Besetzung des Wissenschaftlichen Beirats deutlich zum Ausdruck kommt.
Im Vorwort des zu besprechenden Einzelbandes über die Großenhainer Pflege wird darauf hingewiesen, dass diese Behandlung einer sächsischen Kulturlandschaft eine Lücke in der landeskundlichen Bestandsaufnahme schließe. In diesem Zusammenhang werden die bereits vorliegenden Bände 22, 27, 30, 32, 63 und 67 genannt. Der Inhalt des neuen Bandes gliedert sich in den „Landeskundlichen Überblick“ (S. 1-79), die „Einzeldarstellung“ (S. 81-311), das „Quellen- und Literaturverzeichnis“ (S. 313-337) und den „Anhang“ (S. 338-397). Im „Landeskundlichen Überblick“ sind zahlreiche Einzelbeiträge zur „Einführung“, zum „Naturraum“, zur „Geschichte“, zur „Gebietsstruktur und Landnutzung“, zu „Ortsnamen, Mundart und Volkskunde“ und zu „Siedlungsformen und ländliche Bauweise“ zusammengestellt. Diese Abschnitte, die von Vertretern verschiedener Fächer verfasst wurden, werden durch zahlreiche eigens angefertigte Buntkarten veranschaulicht. Bei den „Einzeldarstellungen“ handelt es sich um unterschiedlich ausführliche monographische Darstellungen zu 86 Einzelobjekten bzw. Einzelstandorten. Dieser Teil enthält mehrere Dutzend durchwegs bunte Photographien, Luftbilder, Pläne und Zeichnungen. Der Anhang besteht aus einigen Listen, Vorschlägen für landeskundliche Exkursionen und mehreren Registern.
Bei der „Großenhainer Pflege“ handelt es sich um eine weitgehend agrarisch geprägte Beckenlandschaft, die sich westlich an die Waldlandschaft der Königsbrücker und Lausitzer Heide anschließt. Bedeutsam für den Raum sind das Flusssystem der Großen Röder und die beiden Verkehrsstränge der seit prähistorischen Zeiten genutzten „Hohen Straße“ und der Bundesautobahn von Berlin nach Dresden. In dem Bearbeitungsgebiet liegen die beiden Städte Großenhain und Radeburg sowie zahlreiche ländliche Siedlungen. Über diese sächsische Kernlandschaft erfährt der landeskundlich Interessierte durch den vorliegenden Band zahlreiche Fakten aus den verschiedensten Wissenschaften.
Da im folgenden bei der Besprechung des Bandes Nr. 70 auch immer die Gesamtreihe in der neuen Ausrichtung seit 2001 im Auge behalten werden soll, erscheint es hilfreich, zunächst den allgemeinen Text aus dem offiziellen Prospekt wiederzugeben: „Ziel der Herausgeber, der Autoren und des Wissenschaftlichen Beirats dieser 1957 gegründeten Reihe ist es, die Kenntnis über die Entstehung und die derzeitige Entwicklung von Landschaften in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dazu werden ausgewählte Objekte eines Gebietes innerhalb des breiten Spektrums zwischen Naturelementen und Siedlungen anhand neuer Forschungsergebnisse beschrieben und hinsichtlich ihres Stellenwertes für die Kulturlandschaft eingeordnet. Auf regionaler Ebene lassen sich davon abgeleitet Aussagen zur Naturausstattung und Landschaftsentwicklung sowie zur Wirtschafts- und Sozialstruktur treffen. Der Naturraum, der geologische Bau und die Oberflächenformen, das Klima, die Böden, das Gewässernetz, die Vegetation, die Tierwelt und die Naturschutzgebiete werden in diesem Zusammenhang ebenso untersucht wie die historische Entwicklung, die aktuelle Gebietsstruktur sowie die sprachlichen bzw. dialektalen Verhältnisse, die Alltags- und Festkultur, der Bestand an archäologischen und an Baudenkmalen. Die Auswahl der bearbeiteten Gebiete und der in ihnen exemplarisch zu erfassenden Phänomene orientiert sich an aktuellen räumlichen Entwicklungen. Auf diese Weise leistet die landeskundliche Bestandsaufnahme einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um kulturlandschaftliche Werte und ihre jeweilige gesellschaftliche Bedeutung, z.B. für die Ausprägung einer regionalen Identität“.
Es ist aus Raumgründen an dieser Stelle nicht möglich, auf die teilweise komplizierte Entwicklung der Reihe einzugehen. Einige einschlägige Ausführungen hierzu finden sich in der Besprechung von Hans-Jürgen Klink in Erdkunde 61, 2007, S. 116. Hier muss zumindest mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass ab Band 54 Inhalt und Ausgestaltung behutsam den neueren Anforderungen angepasst wurden. Diese Umorientierung, die aus verschiedenen Gründen bis heute noch nicht vollständig realisiert werden konnte, zielte hauptsächlich auf eine stärkere Problemorientierung bei der Auswahl der Räume und der Objekte sowie auf die Ausweitung des Bearbeitungsgebiets auf ganz Deutschland.
Hinter dem Konzept der „Landeskundlichen Bestandsaufnahme“ stand ursprünglich ein breiter disziplinübergreifender Ansatz. In dem interdisziplinären Verbund spielte zwar von Anfang an die Geographie eine führende Rolle, sie hatte aber nicht die gegenwärtige schwierige Koordinations- und Moderationsaufgabe für die Herausarbeitung der charakteristischen Kennzeichen der verschiedenen Landschaften.
Das ursprüngliche Ziel der landeskundlichen Bestandsaufnahme war die flächendeckende Bearbeitung von Landschaftsausschnitten nach dem Blattschnitt der Topographischen Karte 1:25 000. Auch wenn in einigen späteren Bänden mehr als nur ein Blatt erfasst wurde, änderte sich an diesem Grundprinzip nur wenig. Die schematisch abgegrenzten Bearbeitungsgebiete stellten prinzipiell keine naturräumlich oder funktional zusammenhängende Landschaften dar. Falls Landschaftseinheiten welcher Art auch immer hätten vorgestellt werden sollen, hätte zwangsläufig im Text und in den Karten über den Ausschnitt hinausgegriffen werden müssen, was aber durchwegs nicht geschah. Nachdem neuere Überlegungen neben den sozusagen neutralen landeskundlichen Bestandsaufnahmen auch die fundierte Kennzeichnung der unterschiedlichen Regionen eingefordert hatten, geriet das Unternehmen in eine schwierige Situation. Einerseits werden die Vorteile einer „pragmatischen Abgrenzung“ gegenüber der Orientierung an Naturräume, Verwaltungseinheiten oder funktional zusammengehörenden Gebieten herausgestellt, andererseits gelang es bisher noch nicht recht, die bearbeiteten Ausschnitte nach zusammenfassenden Kriterien als „Landschaften“ zu kennzeichnen und in größere Zusammenhänge zu stellen. In den neueren Bänden finden sich einige Begriffe, die als Ansatzpunkte hätten dienen können wie z.B. Bergbaufolgelandschaft (63), Klosterlandschaft (64), Altindustrialisierter Raum (66), Heide- und Teichlandschaft (67), Mittelgebirgslandschaft (68) und Stadtlandschaft (69). Weder in Text noch in den Karten wird dieser Ansatz aber weiterverfolgt. Der Benutzer des Bandes Nr. 70 wird dementsprechend z.B. auch nur sehr ungenügend über die interessante Konstellation in der Nordostecke des Blattausschnitts informiert, wo kleinere Teile der Königsbrücker Heide (ehemals Truppenübungsplatz, jetzt Naturschutzgebiet) erfasst sind. In diesem Zusammenhang darf auch der Wunsch geäußert werden, dem Band eine Übersichtskarte beizugeben, um die wohl nicht jedermann bekannte „Großenhainer Pflege“ besser verorten zu können. Es sollten auf alle Fälle Wege gefunden werden, um die Ergebnisse der landeskundlichen Bestandsaufnahme in größere regionale Zusammenhänge einzubetten.
Ein weiteres ebenfalls nicht leicht zu erreichende Ziel ist die durchgängige Problemorientierung. Dies bedeutet nämlich eine Auswahl und eine Gewichtung der darzustellenden Sachverhalte. Dann dürfte es wohl nicht mehr zu rechtfertigen sein, dass, wie in dem zu rezensierenden Band, jede Siedlung und dann noch nach einem relativ einheitlichen Schema behandelt wird. Bei einer strikt problemorientierten Sicht hätte es sich z.B. angeboten, beim Suchpunkt F2, dem Dorf Tauscha, alle wichtigen Informationen zu den im Zusammenhang mit der Anlage des Truppenübungsplatzes Königsbrücker Heide erfolgten Altsiedlungen und Neuanlagen zu bündeln. Die Behandlung der nationalsozialistischen Zeit im Landeskundlichen Überblick lässt sowieso zu wünschen übrig. Im Gegensatz dazu sind viele der sehr reichlichen Daten sowohl zur mittelalterlich-frühneuzeitlichen Herrschafts- und Besitzgeschichte als auch zur Entwicklung nach 1990 unter dem Gesichtspunkt der Problemorientierung überflüssig. Ähnliches wird man wohl von einem anderen Ansatzpunkt zu manchen Daten zum Naturraum sagen können. Auch hier kommt es also darauf an, eine gute Mitte zwischen der wertvollen Zusammenstellung der regional-lokalen Einzelfakten und der problemorientierten und vergleichenden Verknüpfung und Einordnung zu finden.
Das Plädoyer für die konsequente Ausrichtung auf die „Landschaften“ bedeutet nicht eine Empfehlung, nur das Typische oder überregional Bedeutsame herauszuarbeiten. Es geht vielmehr bei dieser Reihe nach wie vor um die wissenschaftlich zuverlässige und gleichzeitig allgemeinverständliche Darstellung der „unmittelbaren Lebensumwelt der Bewohner als Identitätsregion in einer zunehmend global bestimmten Welt“. Deshalb wurde im Untertitel auch der Alttitel „Werte der deutschen Heimat“ beibehalten. Die Bemühungen des Wissenschaftlichen Beirats und der Herausgeber zielen aber mit Recht bei der Bestimmung der Werte nicht primär auf Einzelgegebenheiten, sondern auf Strukturen und Zusammenhänge, also wie es im Haupttitel heißt auf „Landschaften“. Diese Landschaften könnten dann durchaus speziell gekennzeichnet werden z.B. als Bergbaulandschaft oder als Klosterlandschaft. In beiden Fällen stünde dabei die konkrete Landschaftsgestaltung in „Objekt und Lokalität“ im Mittelpunkt und nicht – was in eine andere Richtung führen würde – die ideell-mentale Beziehung. In diesem Zusammenhang ist der Vorschlag, die einzelnen Bände mit einer komplexen aus den Einzelbefunden erarbeiteten landschaftsorientierten Einleitung zu versehen, sehr zu begrüßen.
Da die flächendeckende Bearbeitung aus verschiedenen Gründen nicht fortgesetzt wird, eröffnet die Auswahl für die nächsten Bände gute Chancen, von Anfang an die landeskundliche Bestandserfassung in eine bessere Verbindung zu den hochgestellten Zielen der Herausarbeitung von Landschaftseinheiten und der Problemorientierung zu bringen. Hierzu steht nunmehr das gesamte Deutschland zur Verfügung. Mit Band 62 (Saalfeld und Thüringer Schiefergebirge) wurde erstmals ein kleinerer Teil aus dem benachbarten bayerischen Franken (Lauenstein) mitbehandelt. Es folgte mit Band 65 (Das Mittelrheinische Becken) ein ganzer Band für ein westdeutsches Gebiet. Von den beiden demnächst erscheinenden Bänden wird einer (Band 71) ein Teilgebiet der Neuen Länder, jedoch nicht aus Mitteldeutschland behandeln (Fischland, Darß, Zingst und Barth mit Umgebung), der andere aber (Band 72) einen Raum in Schleswig-Holstein (Eiderstedt).
Das Schwanken zwischen älteren und neuen Konzepten lässt sich auch beim zweiten Hauptteil (nach dem Landeskundlichen Überblick) feststellen. Die Überschrift im Text lautet: „Einzeldarstellung“. Im Inhaltsverzeichnis wird dagegen von „Einzeldarstellung (Sachpunkte)“ bzw. von dem „Verzeichnis der Sachpunkte“ gesprochen. Bei den „Einzeldarstellungen“ handelt es sich fast ausschließlich um Siedlungen. Ausnahmen bilden einige Bäche, Seen, Heiden und Wälder sowie die Bundesautobahn. Denkbare andere Ansatzpunkte könnten wie schon erwähnt der Truppenübungsplatz, aber auch die „Hohe Straße“ oder das Gewerbegebiet von Großenhain sein. Ganz allgemein wird angestrebt, die Suchpunkte stärker nach ihrer thematischen Bedeutung auszuwählen und die hierzu getätigten Aussagen wesentlich enger als bisher mit dem Landeskundlichen Überblick zu verbinden.
Eine erhebliche Verbesserung gegenüber den älteren Bänden stellt die Ausstattung mit Karten und Bildern dar. Während die Karten, die ausschließlich den bearbeiteten Ausschnitt wiedergeben, systematisch die einzelnen Abschnitte des „Landeskundlichen Überblicks“ veranschaulichen, setzen die Abbildungen im Bereich der Einzeldarstellungen sehr gute landschaftskundliche Akzente. Die Luftbilder der Siedlungen und die Fotos der Einzelbauten wurden gezielt neu angefertigt und sind deshalb sehr aussagekräftig. Das Quellen- und Literaturverzeichnis enthält nur regionale und lokale Veröffentlichungen, die im Text nach einem nicht recht durchsichtigen System nur gelegentlich als Belege zitiert werden.
Im Anhang sind 10 Listen zu ganz verschiedenen Sachverhalten zusammengestellt, wobei man darüber streiten kann, ob alle hier nötig sind. Es handelt sich um 1. Einwohnerzahlen von 1551 bis 2006. 2. Kennziffern der kartierten Bodenformengesellschaften. 3. Gebiete des Naturschutzes. 4. Pflanzen- und Pilzarten. 5. Tierarten. 6. Geologische Skala. 7. Industriegeschichtlich bedeutsame Unternehmen in Großenhain und Radeburg: Standort, Entwicklung bis 1989, Entwicklung nach 1989. 8. Industrie- und Gewerbegebiete mit ausgewählten Unternehmen in Großenhain und Umgebung 2007. 9. Bedeutende Persönlichkeiten (in Auswahl; insgesamt 39). 10. Vorschläge für landeskundliche Exkursionen (7). Die Exkursionsrouten sind in der Landeskundlichen Übersichtskarte (auf der Rückseite der Suchpunktkarte in der Kartentasche) angegeben. Diese hätten durchaus noch ausführlicher ausgearbeitet werden können.
Der Registerteil umfasst mehrere Verzeichnisse: Personennamen, Geographische Namen und Sachwörter. Was das letztere Verzeichnis betrifft, so ist es sicherlich zuverlässig erstellt worden. Es hätte aber die Benutzung des Bandes erleichtert, wenn noch einige Hilfsstrukturen eingebaut worden wären. So fehlt z.B. das Sachwort: Flurform. Es wäre sinnvoll gewesen, dieses Sachwort aufzunehmen und dort Verweise auf die im Verzeichnis vorkommenden Spezialbegriffe zu geben wie Angerdorf, Blockflur, Dorfplatz, Gassendorf, Gelängeflur, Gewannflur, Gutsblockflur, Platzdorf, Straßendorf, Streifenflur, Waldhufenflur, Zeilendorf. Beim Geographischen Register hätte man sich überlegen können, die Orte, die außerhalb des Kartenausschnitts liegen, gesondert aufzulisten.
Der wissenschaftliche Beirat bemüht sich seit seiner Gründung intensiv um die zeitgemäße Weiterentwicklung der Erfassungsmethoden und Darstellungsweisen. Hierzu dienen vor allem die regelmäßig durchgeführten „Interdisziplinären Werkstattgespräche“, deren wichtigsten Ergebnisse veröffentlicht werden. Das erste Symposium befasste sich 2004 mit den ländlichen Siedlungen, das zweite 2006 mit Städten und das dritte 2008 mit Siedlungsräumen, Siedlungen und Bausubstanz. Folgende einschlägigen Publikationen liegen bereits vor: Zum ersten Symposium ein Themenheft der Berichte zu deutschen Landeskunde (82, 2008, Heft 1) mit dem Titel: Der ländliche Siedlungsraum, zum zweiten Symposium das Heft 9 der Reihe „forum“ des Instituts für Länderkunde2008 mit dem Titel „Die Darstellung von Städten im Rahmen einer landeskundlichen Erfassung und Übersicht“ und zum dritten Symposium ebenfalls ein Heft der Reihe „forum“ mit dem Titel „Die Erfassung und Darstellung ländlicher Siedlungsräume, der Siedlung und Bausubstanz in einer landeskundlichen Bestandsaufnahme“ (2009 im Druck).
Die Beurteilung des vorliegenden Bandes 70 der Reihe ist schwierig, da er in einer ausgesprochenen Umbruchsituation erschienen ist. Er wird den an verschiedenen Stellen formulierten neuen oder zumindest modifizierten Zielen des Unternehmens sicherlich nicht in genügendem Umfang und in ausreichender Intensität gerecht. Dies hängt offensichtlich ganz wesentlich auch damit zusammen, dass das Mitarbeiterteam sich über einen langen Zeitraum in der Region selbst zusammengefunden hat und nicht gänzlich auf das modifizierte Konzept der Reihe eingestellt werden konnte. Es wird mit Spannung zu beobachten sein, wie das Ergebnis bei den demnächst neu erscheinenden Bänden 71 und 72 sein wird. Vor allem beim Eiderstedt-Band müssten eigentlich nicht unerhebliche Schwerpunktverlagerungen festzustellen sein.
Die etwas weiter ausholende Besprechung der Darstellung der „Großenhainer Pflege“ in der Reihe: „Landschaften in Deutschland. Werte der deutschen Heimat. Eine landeskundliche Bestandsaufnahme“ soll mit dem Versuch einer Skizzierung der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft schließen. Dabei ist einleitend nochmals festzuhalten, dass es sich um eine behutsame Weiterentwicklung eines bewährten Konzepts und nicht um einen Neuanfang handelt.
Ausgehend von einer systematischen Bestandserfassung der verschiedensten landeskundlich relevanten Einzelobjekte und Sachverhalte ist das Besondere und das Typische der behandelten Landschaften herauszuarbeiten. Durch eine konsequente Problemorientierung erscheint es sowohl möglich, zu einer Binnengliederung auf der Basis von Schwerpunktsetzungen zu gelangen als auch solide Grundlagen für eine Regionen übergreifende vergleichende Landeskunde zu schaffen. Bei dieser anspruchsvollen Zielsetzung wird die Zusammenarbeit der Wissenschaften im Bereich der Landeskunde schwieriger, da ein Nebeneinanderstellen der jeweiligen Fachergebnisse nicht ausreicht. Hier kommt auf die Geographie ein erhebliches Maß an Koordinations- und Moderationsaufgaben zu, da nur dort das integrative Gesamtkonzept vorhanden ist. Erfreulicherweise sind intensive Diskussionen mit Nachbarwissenschaften in Gang gekommen, wie diese sich am besten einbringen können. Als Beispiel sei die Vor- und Frühgeschichte genannt, die sich neuerdings im Gegensatz zu früheren Phasen der Wissenschaftsgeschichte zunehmend auch mit „vor- und frühgeschichtlichen Landschaften“ beschäftigt. Damit wird deutlich, dass im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Bände der Reihe „Landschaften in Deutschland“ auch eine fruchtbare Diskussion über Fragestellungen und Methoden innerhalb des Faches Geographie und im Übergangsbereich zu benachbarten Fächern zustande gekommen ist. Bedauerlicherweise ist die Zahl der daran beteiligten Wissenschaftler aber bislang noch viel zu gering.
Bei den Bänden der Reihe handelt es sich auch um angewandte Forschung. Bisher wurde eher der Bildungsauftrag und die Transferleistung der Wissenschaft für die Bevölkerung betont. In Zukunft wird dieser Aspekt sicherlich weiterhin eine große Rolle spielen, vor allem wenn es gelingt, die Identifizierung der Bevölkerung mit ihrer „Heimat“ und das bedeutet mit ihrer „Landschaft“ zu erreichen. In diesem Zusammenhang sind nachvollziehbare Bewertungskriterien für die Einzelelemente und die Strukturen der Landschaft zu entwickeln.
Zu den Aufgaben der angewandten Forschung im Bereich der Landeskunde wird in Zukunft in erheblich verstärktem Umfange auch die Mitwirkung an der Kulturlandschaftspflege gehören. Über die bekannte schon lange geleistete Mitwirkung beim Naturschutz und der Denkmalpflege geht es nun darum, die Grundlagenforschung für Schutz, Pflege und erhaltende Weiterentwicklung der Kulturlandschaften zu leisten. Die gewonnenen Ergebnisse sollten dann in die Raumplanung eingebracht werden, um adäquate Lösungen bei den vielfältigen Interessenkonflikten zu ermöglichen. Die landeskundlichen Erkenntnisse lassen sich auch gut für die Entwicklung und den Ausbau eines regionalen Tourismus nutzen, da hier systematisch fundierte Hinweise auf Erlebnis- und Anmutungswerte in der Landschaft gegeben werden. Sehr hilfreich sind in diesem Zusammenhang didaktisch aufbereitete Exkursionsvorschläge, die über die Zusammenstellung von Einzelfakten hinausgehen. Die durchgängige Adressatenorientierung der Forschung und die allgemeinverständliche Darbietung der Ergebnisse sollen auch dann wesentliche Kennzeichen des Unternehmens bleiben, wenn die Problemorientierung immer stärker in den Vordergrund gerückt wird. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass bei den Benutzern der Reihe, die nach wie vor gut angenommen wird, eine ausgeprägte Erwartungshaltung besteht. Hier muss für die zukünftige Entwicklung eine Mittellinie gefunden werden, was sicherlich eine nicht einfache Gratwanderung werden wird. Hoffentlich engagieren sich genügend fähige Wissenschaftler aus der Region und aus anderen Teilen Deutschlands für diese wichtige Aufgabe.
Internationale Bauausstellung Emscher Park. Die Projekte 10 Jahre danach. Hrsg.: Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung, Fakultät Raumplanung, TU Dortmund.[Verantw. Christa Reicher und Achim Dahlheimer]. 304 S., zahlr. farb. Photos und Kartenabb. Klartext Verlag, Essen 2008, € 29,95
Zehn Jahre sind inzwischen vergangen, seit die Internationale Bauausstellung EmscherPark – oder auch IBA EmscherPark genannt – im Jahr 1999 ihren feierlichen Abschluss gefunden hat. Diese IBA, in deren Rahmen über 100 Projekte zwischen 1989 und 1999 im schwierigsten Teil des Ruhrgebiets entstanden sind, war eine der sicherlich spektakulärsten und auch in der allgemeinen Öffentlichkeit sehr gut wahrgenommenen strategischen Planungen der Nachkriegszeit in Deutschland. Die IBA hat zu einer neuen Identität im Ruhrgebiet beigetragen, die sich zu einer langen Industriegeschichte und dem gleichzeitigen Strukturwandel einer Region offensiv bekennt. Sie hat nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Teilen Nordrhein-Westfalens mit den REGIONALEN, im gesamten Bundesgebiet und auch im Ausland ihre Spuren hinterlassen und war Vorbild für viele Planungsaktivitäten im vergangenen Jahrzehnt.
Wer nun von dem in 2009 erschienenen Katalog zur IBA eine Information oder gar eine systematische Analyse erwartet, wie es im Ruhrgebiet nach Abschluss der IBA grundsätzlich in der räumlichen Planung weitergegangen ist, wird von dem Katalog enttäuscht sein. Hier ist auf ein Forschungsprojekt des Fachgebiets Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund mit dem Titel „9,5 revisited“ zu verweisen (www.iba-forschung.de), in dem es auch um eine kritische Reflektion der Planungsverfahren, Projektideen und Beteiligungsprozesse gehen soll. Allererste Ideen für eine solche Analyse liefert das Grußwort von Karl Ganser in dem Katalog.
Wer aber von dem Katalog eine Information erwartet, wie sich die sechs zentralen Leitthemen und die über 100 Einzelprojekte der IBA in den letzten zehn Jahren weiter entwickelt haben, ist mit dem Werk bestens bedient. Auf fast 300 Seiten werden nach dem Gliederungsprinzip des Abschlusskatalogs aus dem Jahr 1999 noch einmal die Grundgedanken zu den einzelnen Leitthemen und zu den vielfältigen Projekten in einer ansprechenden Aufmachung vorgestellt – für den Leser, der den Planungsprozess in den 1990er Jahren verfolgt hat, eine gute Wiederholung und Auffrischung – und es werden dann jeweils jüngere Entwicklungen zu Leitthemen und Einzelprojekten in knapper Form ergänzt. Eine kritische Auseinandersetzung, die beispielsweise den Aspekt der Folgekosten der einzelnen Projekte beleuchtet oder gar die sozialen und ökologischen Wirkungen bewertet, leistet der Katalog dann allerdings nicht. Vielmehr dient er in dem bereits angesprochenen Forschungsprojekt einer ersten Bestandsaufnahme, die Christa Reicher und ihr Team aus Dortmund mit Achim Dahlheimer aus dem Städtebauministerium in Düsseldorf an einen interessierten Leserkreis weitergegeben.
So werden die einzelnen Projekte jeweils in kurzer und übersichtlicher Form auf zwei, im Einzelfall auch auf vier Seiten in einer eher deskriptiven Form vorgestellt. Dabei finden sich einige steckbriefartige Informationen zu den beteiligten Akteuren und zur Geschichte des Vorhabens, ein kurzer Fließtext sowie Fotos und eine kleine Übersichtskarte. Diese Karte mag zwar graphisch ansprechend sein, für eine Orientierung vor Ort wäre aber eine klassische topographische Karte besser gewesen.
Zusammenfassend bleibt so festzuhalten, dass es sich um eine aktualisierte und – trotz der Kritik an den Karten – sehr ansprechend gestaltete Neuauflage des IBA-Katalogs handelt, wobei eine kritische Analyse der einzelnen Projekte hinsichtlich ihrer langfristigen Wirkungen hier allerdings noch nicht erfolgt. Und dennoch: Für Geographen, aber auch für andere Raumwissenschaftler besitzt der Katalog einen hohen Wert, speziell für den Besuch der einzelnen Vorhaben und die Vorbereitung von Exkursionen. Und auch allen anderen, die sich einfach nur über den Fortgang der IBA-Projekte informieren wollen, sei der Katalog empfohlen.
Haefeli, Ueli: Verkehrspolitik und urbane Mobilität. Deutsche und Schweizer Städte im Vergleich 1950-1990. 380 S., 59 Abb. und 12 Farbtafeln. Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung 8. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, € 66,-
The formation of larger agglomerations is just as much part of the characteristics of modern-day life as the frantic growth of flows of traffic. Modern towns and cities are not conceivable without mobile people, by which it is clear that the negative side-effects of mechanisation have turned into a threat to the urban quality of life. Future societies will also have to deal increasingly more with the area of conflict of town/city and transport. Even if the historical analysis gives no simple patent recipes or is unable to offer a silver bullet, it is however capable of sharpening the focus on processes, which far too often escape the notice of the decision-makers.
The mobility systems in the large Swiss cities/towns are considered as a model internationally. The historical comparison with German towns/cities shows differences in a new light and puts established transport-scientific explanation approaches into perspective: less decisive were economic factors or the greater public-transport affinity in Switzerland. Many more factors were determined beyond actual transport policy: thus for instance, car-friendly financing mechanisms for transport infrastructure in Germany and the mechanics of the semi-direct democracy in Switzerland, which prevented key projects for cars, unlike Germany, in the 1960s.
The current publication, which has been slightly modified, is based on the professional dissertation of the author, which was submitted in 2006 at the University of Berne. Haefeli comes to the conclusion that the way into the future of the town/city is still via the car, a result of which will be significantly shaped by advantages. Decisive are thus of course the issues, such as for example: how dominant is the car in the city of the future? Is it leading to a genuine co-existence with other modes of transport? How much mobility do we want to afford and how much traffic should be linked with it? In conclusion, Haefeli sums up that institutional reforms do not contribute alone to improving municipal mobility systems. In his opinion, a lot more depends on whether the local societies are in position to carry out a reflected discourse on mobility.