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Book reviews 2009 [1]

Fugmann, Gerlis: Wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven von Nationen der Vierten Welt. Eine Untersuchung am Beispiel der indigenen Bevölkerung Nunavuts. 126 S., 10 Abb., 3 Tab. und 7 Karten. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens 3. Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2008, € 18,90

This treatise, based on the author’s master’s thesis in geography, focuses on the perspectives of modern socio-economic developments for Fourth World Nations and especially for the aboriginal population, the Inuit, in the Territory of Nunavut in arctic Canada. Since the early 1970s the term ‘Fourth World’ has been used by Canadian aboriginals to describe the particular situation of indigenous peoples – First Nations – encapsulated in modern industrialized nation-states that emerged from former colonies. After introducing and discussing the issues around aboriginal lands rights and the completed and still continuing negotiations between the Canadian State and aboriginal nations, Fugmann concentrates on the emergence of Nunavut after lengthy negotiations between the Federal Government and the Inuit that resulted in legal settlements that dealt with Inuit claims to land and compensation and in the creation of a new public entity, the Territory of Nunavut in 1999 in which the Inuit represent the majority of the 30,000 inhabitants (2008) within area of two million square kilometres – a precarious construct considering cultural, socio-economic and political perspectives. The author presents briefly the geographical, demographic and political framework for modern Nunavut and then delves in detail into the economic conditions and the future prospects for the territorial population. Here the terms ‘mixed economy’ and ‘wage-based economy’ are introduced to show the dependence, on the one side, on existing renewable resources (e.g. caribou, sea mammals, and fish) and, on the other side, on the ever-increasing wage-economy based heavily on the public service sector, exploitation of non-renewable resources and, finally, tourism with global dimensions. The author discusses diligently some of these sectors in their resource base, infrastructure and future possibilities, connecting them, in the end, with the current scientific and political discussions around global change and environmental impact which have become of paramount importance in arctic regions. Fugmann’s analysis is solidly researched and based on extensive literature and other sources. She has understood to frame her discussions by highlighting the precariousness of modern development for a minute population in a large geographical area within a political system – Canada – whose sovereignty and national prospect is still evolving next to the claims and expectations of aboriginal nations within the same framework. The author’s work is a welcome addition to the understanding of such processes.

Ludger Müller-Wille




Leendertz, Ariane: Ordnung schaffen. Deutsche Raumplanung im 20. Jahrhundert. 459 S. Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 7. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, € 42,-

Die Raumplanung in Deutschland wird in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend von europäischen Vorgängen beeinflusst und aus einer europäischen Perspektive gestaltet. Insbesondere durch diese Verflechtung mit der übergeordneten Politikebene ist die Raumplanung im Deutschland des 20. Jahrhunderts ein Gegenstand der historischen Betrachtung geworden.
Ariane Leendertz hat nun in ihrer Tübinger Dissertation den ersten zusammenhängenden Überblick über diese Geschichte erarbeitet. Bislang haben sich historische Arbeiten vor allem der Zeit des Nationalsozialismus gewidmet, in die die Institutionalisierung der Raumplanung auf Reichsebene fiel und in der die Raumplanung massiv als wirtschaftspolitisches Instrument im Altreich und als Herrschaftsinstrument der Germanisierungspolitik in Osteuropa aufgebaut wurde. Leendertz’ Anspruch umfasst dagegen auch die Vorgeschichte dieses Institutionalisierungsprozesses in der Weimarer Republik und seine Folgewirkungen in der Bundesrepublik. Diesem Anspruch wird sie mit einer knappen Sprache und präzisen Argumentationsführung, aber gleichwohl mit einem voluminösen Seitenumfang, der sich zu einem Vierteil der NS-Zeit, zur Hälfte aber tatsächlich der Bundesrepublik widmet, vollkommen gerecht. Allein dies unterstreicht schon die originäre Stellung der Leendertzschen Arbeit. Primär interessiert sie sich dabei für „Kontinuitäten und Wandel von planerischen Konzepten, Leitbildern und Ordnungsvorstellungen als auch nach Positionierungs- und Legitimationsstrategien“ der Raumplanung (S. 13). De facto liefert Leendertz für den Zeitraum 1920 bis 1980 jedoch nicht nur eine Geschichte der raumplanerischen Konzepte und ihrer ideengeschichtlichen Ursprünge, sondern zugleich eine Institutionengeschichte, die in vielen Teilen exemplarisch mit einer Geschichte einflussreicher Personen angereichert wird. Die verschiedenartigen Erzählstränge werden von Leendertz souverän und sprachlich gekonnt miteinander verknüpft. Sie schöpft dabei nicht nur aus einer beeindruckenden Literaturkenntnis, sondern zusätzlich aus umfangreichen Archivarbeiten, die vor allem Wissenslücken für die Raumplanung in der Bundesrepublik schließt. Mit all diesen handwerklichen Vorzügen geht Leendertz weit über den Standard von Dissertationen hinaus und setzt einen Markstein, der auch  für die künftige Bewertung der deutschen Geschichte der Raumplanung bedeutsam bleiben wird.
Erste Anfänge einer raumplanerischen Idee sieht Leendertz im Laboratorium der Moderne um die Jahrhundertwende entstehen. Hier werden die Initiativen für Gartenstädte, großstadtkritische Ansätze in der Architektur und Verfechter der Inneren Kolonisation zu Impulsgebern. Diese Bewegungen sieht Leendertz zwischen „Zivilisationskritik und Fortschrittsoptimismus“ (S. 27) angesiedelt und diagnostiziert agrarromantische, nationalistisch-völkische und organizistische Gedankenströmungen als geistiges Milieu. Darin äußert sich ein Streben der Versöhnung von Stadt und Land, von Industrie und Landwirtschaft, von Mensch und Natur, wobei es sich allerdings um politisch-ideologische Gruppierungen von ganz unterschiedlicher Provenienz und Reichweite handelt, deren gemeinsamen Nenner Leendertz in ihrem Harmoniestreben sieht. Gleichwohl geht die Institutionalisierung der Raumplanung von anderen Akteuren – den großen Kommunalverwaltungen – aus. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden überkommunale Planungsinstanzen gegründet, deren bedeutendster der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk war. Gleich in diesem ersten Kapitel schildert detailliert Leendertz einige der Tagesaufgaben der ersten Raumplanung, wie etwa die Bereitstellung raumbezogener Daten, Flächenerschließung und Verkehrsplanung. Besonders erhellend ist der Nachweis, dass die überörtlichen Institutionen vor allem in den wirtschaftlich großen Verflechtungsräumen entstanden, neben dem Ruhrgebiet waren dies u.a. Berlin, Halle-Merseburg, Hamburg und Westsachsen. Entsprechend stellten die industriellen Großunternehmen und die städtischen Verwaltungen wesentliche Handlungsträger bei der Implementation der Raumplanung dar. Diese Akteurskonstellation und die eher nüchterne und zeitaufwendige Tagesarbeit kontrastieren mit der „Sehnsucht nach Harmonie“ (S. 75), die Leendertz als geistige Klammer der frühen Raumplanung identifiziert. Dies liegt zum einen daran, dass Leendertz sich primär auf die Auswertung von Denkschriften und Grundsatzerklärungen stützt. Zum anderen fließen die Themen, Arbeitsmethoden und institutionellen Verankerungen, die Leendertz interessanterweise in ihren materialen Analysen der Planungstätigkeit benennt, nicht in ihre zusammenfassenden Bewertungen ein. Dieses Missverhältnis zwischen Detailanalyse und Gesamturteil beruht auch auf einer geringen Anerkenntnis realer Handlungsprobleme. Wohnungsnot und geringer Lebensstandard in den Großstädten, fehlende Versorgungseinrichtungen im ländlichen Raum, Wanderungsbewegungen oder Umweltbelastungen werden von Leendertz zwar aufgegriffen, erscheinen aber im Kontext der raumplanerischen Gedankenwelt als kulturkritische Warnungen vor der Vermassung und als überzogene Ängste, in denen die Dynamik der modernen Gesellschaft nur als Verwerfung und Disharmonie wahrgenommen werden kann. Auf diese Weise stellen sich die Krisendiagnose und die darauf antwortenden Konzepte und Aktivitäten der Raumplaner in den 1920er Jahren für Leendertz als eine kulturkritische Hybris dar. Ein international vergleichender Blick hätte hier zeigen können, dass die Komponente der konservativ-lebensphilosophischer Weltanschauung zwar für die deutsche Situation bedeutsam war, aber auch ohne ihre Anwesenheit kam es in den westlichen Industrieländern zu parallelen Institutionalisierungsprozessen der Raumplanung – verwiesen sei hier auf den ersten County-weiten Regionalplan in den USA für Los Angeles von 1922 oder die Gründung der „Regional Planning Association of America“ von 1923.
In der NS-Zeit kam es mit der Gründung der „Reichstelle für Raumordnung“ (RfR) und der „Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung“ (RAG) 1935/6 zur Implementation der Raumplanung auf nationaler Ebene. Diese gebietsfüllende Orientierung setzte sich mit der Ausdehnung der Raumplanung auf die im Zweiten Weltkrieg eroberten osteuropäischen Gebiete, die dem deutschen Staats- bzw. Einflussgebiet zugeschlagen werden sollten, fort. Hier wurde das Planungsamt beim Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, Heinrich Himmler, zur zentralen Schaltstelle der Raumplanung. Insgesamt sieht Leendertz eher ideologische Kontinuitätslinien und einen schrittweisen Übergang von der Raumplanung der 20er Jahre zur NS-Verwaltung. Es „vermischten sich rassenideologische Elemente der nationalsozialistischen Agrar- und Bevölkerungspolitik und Vorgaben des Vierjahresplans mit Traditionen der Großstadtkritik und der Großstadtbewegung“ (S. 115), und in den Vorgaben der RfR äußerte sich „genau jene Mischung aus überkommenen Sichtweisen aus der Jahrhundertwende, Traditionen der Raumplanung, [und] aktuellen politischen Erfordernissen und Elementen der NS-Ideologie“ (S. 129).
Gegen diese These der Kontinuität sprechen jedoch erstens die Beweggründe der nationalen Ausdehnung der Raumordnungspolitik. Das Motiv für den autoritären Machtstaat lag darin, ein weiteres Instrument der Gestaltung und Kontrolle zu erlangen. Die meisten der von Leendertz bemühten Vordenker einer Reichsplanung in der Weimarer Republik standen in einem krassen Gegensatz zu den Zielen dieser Raumordnungspolitik, die sich als Instrument einer regulierten Ökonomie und der Kriegsvorbereitung verstand. Zweitens wird von Leendertz zu Recht die Orientierung an der ökonomischen Effizienz des „Volksganzen“ hervorgehoben. Dies führte in der NS-Zeit methodisch zu einem Boom für die Statistik und zu quantifizierend-mathematischen Ansätzen, planerisch zu Leitbildern einer optimalen Raumstruktur im Sinne der ökonomischen Rationalität und prozessual zu einer von Experten ausgeübten Sozialtechnologie. Es gehört zu den Glanzstücken der Leendertzschen Arbeit, in diesem Kontext die Entstehung bzw. Rezeption der Tragfähigkeitsrechnung von Gerhard Isenberg (S. 163 ff.) und des „Zentrale-Orte-Modells“ von Walter Christaller (S. 167 ff.) nachzuzeichnen. Beide Konzepte erlebten im Rahmen des Völkermords in Osteuropa eine starke Konjunktur. Diese Orientierung an abstrakten Effizienzzielen stand – und auch dies macht Leendertz deutlich – in Widerspruch zu den rassistisch-nationalistischen Ideologieelementen in der Raumplanung. Der gleiche Widerspruch ist in der NS-Forschung zur Wirtschaftspolitik prominent anhand des Konflikts von völkischen Zielen und der Rationalisierung der Vierjahrespläne diskutiert worden. All dies deutet daraufhin, dass das „Harmoniedenken“ nicht die gemeinsame Klammer für die Raumplanung der 20er und 30er Jahre darstellen kann. Drittens ging mit der Machtergreifung 1933 eher ein berufsbiographischer Bruch einher. Zentrale Protagonisten der Siedlungsverbände wie Philipp Rappaport und Stefan Prager wurden abgesetzt und später verfolgt. Dagegen stammten zahlreiche der neuen Akteure, wie etwa Konrad Meyer, Gerhard Isenberg, Norbert Ley oder Josef Umlauf aus den Geburtsjahrgängen nach 1900. Demnach scheint die in der Forschung gängige These von der nationalsozialistischen Revolution als Generationenkonflikt beispielhaft auf die Raumplanung zuzutreffen.
Schließlich bleibt die Frage nach der Modernität der Raumplanung unter dem Nationalsozialismus. Sofern man einen emphatischen Begriff der Moderne im Sinne Max Webers vertritt, dann war die Raumplanung im Nationalsozialismus ihr in vielen Elementen zugehörig. Professionalisierung, Formalisierung von Verfahren und die Herausbildung einer Expertenkultur, die sich eigene Diskussions- und Ausbildungsinstitutionen schuf, sowie schließlich die Vorschläge zur Flurbereinigung, Industrieansiedlung und Bevölkerungsverteilung haben eindeutig die Modernisierung beschleunigt. Dieser Aspekt wird von Leendertz auch überzeugend herausgearbeitet (S. 120, 202 ff.). Gleichwohl wird die Raumplanung im Nationalsozialismus als anti-moderne Strömung vorgestellt, die eine Entdifferenzierung räumlicher Strukturen angestrebt habe. Letztlich kommen hier zum einen Ambivalenzen des Moderne-Begriffs zum Tragen, gegenüber denen Leendertz sich nicht hinreichend positioniert. Zum anderen wird der Aspekt der Harmonie-Sehnsucht überbetont, so dass die Leistungen bei der Entwicklung von Raumplanung als technokratischem Instrument während der NS-Zeit unterschätzt werden.
Auch für die Zeit nach 1945 vertritt Leendertz die Kontinuitätsthese, und sie kann hier erdrückende Belege anführen. Dies betrifft nicht nur die inzwischen bekannte schnelle Wiederkehr der Deutungs- und Funktionseliten in die administrativen und wissenschaftlichen Instanzen der Raumplanung der Bundesrepublik. (Die DDR wird im Buch ausgespart.) Vielmehr werden auch die institutionellen Neugründungen wie das Bad Godesberger Institut für Raumforschung (IfR) und die Hannoveraner Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) zu Recht als Erben der RfR geschildert. Dabei rekonstruiert Leendertz jedoch auch die schrittweise Begründung der Raumplanung aus marktwirtschaftlichen Prinzipien, wie sie das IfR unter ihrem Direktor Erich Dittrich vornahm und mit dieser impliziten Kritik am nationalsozialistischen Interventionismus auf den anti-totalitären Gründungskonsens der Bundesrepublik einschwenkte. Demgegenüber verstand sich die ARL unter ihrem Präsidenten Kurt Brüning konzeptionell noch länger als Erbe der RfR. Schließlich zeigt Leendertz ebenfalls auf, dass wichtige Denkinstrumente der NS-Zeit, wie etwa die Tragfähigkeitsrechnung und das Konzept der Zentralen Orte, auf veränderte Problemkonstellationen in der Bundesrepublik angewandt wurden. Leendertz führt dies weiter zu der These, dass auch das zentrale Leitbild der bundesdeutschen Raumplanung, die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, in der NS-Zeit wurzele. Dieses Leitbild, das im wegweisenden Gutachten des Sachverständigenausschusses für Raumordnung von 1961 empfohlen wurde und seinen Platz im Raumordnungsgesetz von 1965 fand, führt sie auf die Ideologie der Volksgemeinschaft zurück, die eine Überwindung der Klassengesellschaft versprochen hatte (S. 138 f.). Aber nicht nur diese dunkle Vergangenheit belastete diesen „Kernbestand raumplanerischen Selbstverständnisses“ (S. 254). Vielmehr sieht Leendertz in dem Gedanken eines an sozialen Maßstäben gemessenen räumlichen Ausgleichs die alte Großstadtfeindschaft und Panik vor räumlicher Unordnung wieder erstehen. Mehr noch, die ganze „antiliberale Tradition der deutschen Raumplanung“ (S. 261) verkörpert sich für sie in der Gedankenfigur der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. In ihr drückt sich für Leendertz die Weigerung aus, die Pluralität und Dynamik moderner Gesellschaften zu akzeptieren. In den Legitimationsstrategien der Raumplaner, die die Gleichwertigkeit verstärkt aus den Prinzipien des sozialen Rechtsstaates ableiteten, sieht sie eine erneute Abkehr von der Marktwirtschaft (S. 281). Auffällig ist, dass das Für und Wider eines Ausgleichsansatzes von Leendertz wiederum nicht im Kontext des realen Ausmaßes räumlicher Disparitäten in der Bundesrepublik abgewogen wird. Die Kennzeichnung dieser Aktivitäten als keynesianischer Interventionismus stellt noch eine der höflicheren Formulierungen dar, generell ordnet sie den Ausgleichsansatz als Beleg für eine verfehlte raumplanerische Weltbeglückung ein. Mit dieser Kritiklinie, die sich bis zum Ende des Buches durchzieht, legt sich Leendertz auf eine ultra-liberale Position fest, die jedwede staatliche Aktivität als Eingriff in bürgerliche Freiheitsrechte wertet.
Von dieser Warte aus werden die institutionellen und programmatischen Entwicklungen, vor allem die Verabschiedung des Bundesraumordnungsprogramms 1975, mit dem der Vorrang der Fachpolitiken vor den Belangen der Raumordnung zementiert wurde, als knapper Sieg der Freiheit begrüßt. Am Ende steht für Leendertz die Erkenntnis, dass es sich bei der Raumplanung um ein „utopisches Großprojekt“ (S. 391) gehandelt habe, deren Diktate gegenüber „den Menschen“ (S. 379) sich nicht durchgesetzt hätten. Insgesamt hat Leendertz weniger die Geschichte einer Verwaltungs- und Forschungsdisziplin, als vielmehr die Kritik einer spezifischen kulturkonservativen Weltanschauung innerhalb des staatlichen Handelns vorgelegt. Diese Ergebnisse zu den programmatisch-konzeptionellen Entwicklungen sind in die Bilanz der Raumplanung in Deutschland im 20. Jahrhundert einzuordnen. Deren Geschichte war substanziell eine Geschichte der Verflechtung unterschiedlicher Handlungsebenen – das trifft bereits besonders stark auf die Siedlungsverbände der 1920er Jahre zu –, und hält für das gegenwärtige Hinauswachsen der nationalen Raumordnungspolitik auf eine europäische und transnationale Handlungsebene noch viele Lektionen bereit.

Christoph Scheuplein

 

 

 

Kiel, Wilfried: Omuramba Omatako. Dornige Pfade in Südwest-Afrika. Hrsg. von Andreas Dittmann. 392 S. und 45 Abb. Scientia Bonnensis, Bonn, Manama, New York, Florianópolis 2008,  € 28,90

Das Buch erzählt die Geschichte von Wilfried Kiel, der vor mehr als neun Jahrzehnten auf einer Farm in der damaligen Kolonie „Deutsch-Süd-West-Afrika“ geboren wurde. Die Familie des im Busch Aufgewachsenen übersiedelte nach dem Scheitern der elterlichen Farm am Waterberg nach Deutschland und dann in neuer Zusammensetzung wieder zurück nach Windhoek. Hier machte Wilfried Kiel sein Abitur und erhielt ein Stipendium zum Medizinstudium in Deutschland, wo ihn der Krieg einholte und die Nachkriegsjahre festhielten. Sein großer Traum von einer Rückkehr und Wiederansiedlung in Namibia erfüllte sich nicht. Zu groß waren die wirtschaftlichen Herausforderungen beim Aufbau einer eigenen Existenz im zerstörten Nachkriegsdeutschland, zu unsicher die Verhältnisse im von Südafrika besetzten Südwest-Afrika und altersbedingt zu sehr beschränkt schließlich die Möglichkeiten im spät unabhängig gewordenen Namibia. Über Jahre hinweg reiste Wilfried Kiel immer wieder nach Südwest-Afrika. In den 60er Jahren sammelte er umfangreiches Material zu seiner ethno-medizinischen Promotionsarbeit über die Herero. Er wirkte als stiller, aber maßgeblicher Unterstützer zahlreicher humanitärer Hilfsprojekte im Land. Geblieben ist aus all dem eine große, unerschütterliche Liebe zu Afrika und seinen Menschen.
Die Autobiographie ist in vier ganz unterschiedlich gewichtete Hauptkapitel gegliedert. Die größte Bedeutung kommt dabei dem Teil zu, der die Kindheits- und Jugendjahre von Wilfried Kiel in Südwest-Afrika beschreibt. Man gewinnt einen Eindruck von den Schwierigkeiten und Härten des Farmlebens, die in krassem Gegensatz zu dem standen, was Kolonialwerber versprachen. Im durch den Krieg der Deutschen Schutztruppe gegen die Herero historisch vorbelasteten Raum zwischen dem Waterberg und dem Oberlauf des Omuramba Omatako wächst Wilfried Kiel auf und erfährt eine Prägung, die für sein ganzes spätere Leben ausschlaggebend sein wird.
Von besonderem Interesse sind Schilderungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren, die zum Teil völlig andere klimatische Verhältnisse belegen, als sie heute in Namibia vorherrschen. Demnach hat es im Brandberg-Massiv bis Mitte des 20. Jahrhunderts permanente oder zumindest jährlich wieder aufgefüllte Wasserstellen gegeben, in denen es Fische gab und man – wie Fotos belegen – sogar baden konnte.
Das Leben im frühen Windhoek, die Existenznöte der Siedler und der Weg der Gescheiterten „heim ins Reich“ beleuchten Abschnitte, die ebenso frei sind von übertriebener Kolonialromantik wie die anschließenden Kriegsschilderungen von unangebrachten Heldengeschichten. Das Kapitel über Kriegswirren fällt daher auch vergleichsweise knapp aus, obwohl der Leser ahnt, dass der als Fallschirmspringer ab 1943 in ständigem Fronteinsatz stehende Arzt viel erlebt hat – vor allem vieles, was ihm eine tief empfundene Abscheu vor Kampf und Krieg eingeprägt hat.
Die Schwierigkeiten setzten sich nach Kriegsende fort und fanden ihren Ausdruck in den Problemen, die einem Afrikaner bei der Niederlassung und der Suche nach einer neuen Heimat gemacht wurden. Sie werden im dritten Kapitel kurz geschildert, das vor allem jedoch die zahlreichen Reisen zurück nach Afrika behandelt und dabei den langen Weg Südwest-Afrikas vom Mandatsgebiet zum unabhängigen Staat Namibia beleuchtet.
Nach philosophischen Nachdenklichkeiten im Schlusskapitel erschließt ein Glossar am Ende des Bandes die wichtigsten im Text vorkommenden Toponyme, Tier- und Pflanzennamen sowie heute weniger gebräuchliche, altertümliche Ausdrücke. Sofern sie aus Sprachen namibischer Ethnien stammen, ist in Klammern die jeweilige Herkunft angegeben.

Sönke Wanzek




Popp, Herbert: Bayreuth - neu entdeckt. Ein stadtgeographischer Exkursionsführer. 384 S. und zahlr. farb. Abb., Photos und Karten. Ellwanger Druck und Verlag, Bayreuth 2007, € 24,90

Es gehört zu den Traditionen der Deutschen Geographentage, dass gleichsam als Teil des Tagungsangebotes ein „Exkursionsführer“ zum Veranstaltungsort und seiner Region vorgelegt wird. Das hier anzuzeigende Werk über Bayreuth, den Ort des Geographentages 2007, steht ganz in dieser Tradition und weicht dennoch in mancherlei Hinsicht von den entsprechenden Publikationen der Vergangenheit ab. Der Band hat nicht nur einen einzigen Autor und erscheint damit „wie aus einem Guss“, er ist darüber hinaus allein der Stadt Bayreuth gewidmet und blendet die weitere Region Oberfranken vollständig aus. Als abweichend von der Tradition erscheint auch die Zielgruppe des Bandes, es sind dies in erster Linie – wie dem Vorwort des Autors zu entnehmen – weder die Teilnehmer des Geographentages noch die Touristen, die Bayreuth besuchen, sondern vielmehr die Bürger Bayreuths selbst, die dazu angeregt werden sollen, „sich ihre eigene … Stadt erneut anzuschauen – natürlich unter der Annahme, dass sie hier etwas erfahren, was sie so bisher noch nicht gesehen haben oder vielleicht auch noch nicht wussten“ (S. 8).
All dies verleiht der Publikation einen durchaus sympathischen, aber eben auch etwas provinziellen Charakter, der durch den expliziten Verzicht auf jeden „wissenschaftlichen Ballast“ sowie durch das insgesamt eher konventionelle Layout des Buches zusätzlich unterstrichen wird. Für den Inhalt des Exkursionsführers zeichnet Herbert Popp verantwortlich, der als gebürtiger Bayreuther und Professor für Stadtgeographie an der Universität seiner Heimatstadt wie kaum ein anderer als höchst kompetenter Autor in Frage kam.
Das mit 384 Seiten recht umfangreiche und äußerst opulent ausgestattete Werk – von einem „Bändchen“ (S. 8) kann nun wahrlich keine Rede sein – ist in zwei große Abschnitte unterteilt. Der erste, etwa 75 Seiten umfassende Teil liefert unter der Überschrift „Bayreuth im Überblick“ eine Einführung in den Naturraum, die Phasen der Stadtentwicklung von Bayreuth und die Geschichte der Eingemeindungen, in die Entwicklung der überregionalen Verkehrsanbindung sowie die Rolle des Tourismus einschließlich der Bedeutung der Richard-Wagner-Festspiele. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei sehr stark auf die „räumlichen“ und „sichtbaren“ Aspekte der Stadtentwicklung, so etwa auf die bauliche Struktur der Stadtviertel und die Führung der Verkehrswege, während die allgemeine historische und politisch-gesellschaftliche Entwicklung nur sehr kurz angeschnitten wird. Überraschend für den Außenstehenden sind die Bemerkungen zur geringen Bedeutung der Festspiele für die Stadt Bayreuth und vor allem ihre Bürger, ein Sachverhalt, der sich mit der im Sommer 2008 eingeführten öffentlichen Übertragung von Opernaufführungen aus dem Festspielhaus in Zukunft wohl etwas ändern mag. Bereits dieser erste Teil des Bandes ist mit Karten, Photos, Luftbildern und Tabellen vorzüglich ausgestattet, auch wenn in einigen Fällen (z.B. S. 17, 18/19, 30) die Lesbarkeit der Karten durch die Hinzufügung von Orts- und Stadtteilnamen sowie durch eine modifizierte Farbwahl noch hätte verbessert werden können.
Die große Stärke des Bandes aber liegt zweifellos im zweiten Teil mit seinen insgesamt 20 Exkursionsbeschreibungen. Hier kann sich die ausgesprochen profunde und intime Kenntnis des Autors zur jüngeren Stadtentwicklung von Bayreuth voll entfalten. Die Exkursionen liefern eine beeindruckende Fülle von Informationen zu historischen, städtebaulichen, ökonomischen und planerischen Aspekten in den verschiedenen Stadtbezirken. Die Darstellung der einzelnen Exkursionen wird jeweils eingeleitet durch technische Hinweise sowie eine aktuelle Karte mit dem Exkursionsweg und den ausgewählten Standorten. Diese Übersichtskarte wird in der Regel ergänzt durch ein Luftbild und/oder eine historische Karte des entsprechenden Gebietes. Die textlichen Ausführungen werden in höchst anschaulicher Form verdeutlicht durch zahlreiche aktuelle Photos und Kartenausschnitte, aber auch durch eine Fülle an „historischem Material“. Vor allem die Gegenüberstellung von Karten, Photos und Luftbildern aus unterschiedlichen Phasen der Stadtentwicklung gehört zu den Stärken des Bandes und macht ihn zu einer schier unerschöpflichen Fundgrube für alle, die an der Siedlungsentwicklung Bayreuths interessiert sind. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis verweist auf die weiterführende und vertiefende Literatur.

Hans Dieter Laux 




Tamisier, Maurice: Reise in den Hochländern Arabiens. Hrsg. u. übers. von Uwe Pfullmann. 278 S., mit Bildteil. Edition Morgenland 4. trafo Verlag, Berlin 2008, €  39,80

Mit der Edition und Übersetzung der Reisetagebücher des französischen Orientforschers  Maurice Tamisier ist es dem bereits durch zahlreiche vergleichbare Werke bekannt gewordenen Orient-Experten Uwe Pfullmann gelungen, einen weiteren wichtigen Meilenstein in der Erschließung und Erklärung richtungweisender Primärliteratur über die frühen geopolitischen Verhältnissee auf der Arabischen Halbinsel am Vorabend der Entstehung von Nationalstaaten zu liefern. In der für Pfullmann charakteristischen, akribischen Textanalyse und Quelleninterpretation wird für heutige Leser ein hierzulande bislang nur wenigen Spezialisten bekanntes und nur schwer zugängliches Original ausgesprochen benutzerfreundlich für neue Ebenen der wissenschaftlichen Diskussion erschlossen.
Maurice Tamisier (1810–1875) verließ im Alter von 21 Jahren Frankreich, um im Orient nach Wegen für eine Realisierung der Ideen der Saint-Simonisten zu suchen. Diesen war nach ihrem Eigenverständnis vor allem daran gelegen, das Wohl der Menschheit zu mehren sowie neue gesellschaftliche und religiöse Maßstäbe zu finden. Der namengebende Begründer der Bewegung, Claude Henri Graf von Saint-Simon (1760–1825), war, nachdem er sich zunächst in Nordamerika für die Unabhängigkeit der britischen Kolonialgebiete und danach in Mexiko für einen Kanal vom Atlantik bis zum Pazifik eingesetzt hatte, in Europa vor allem durch seine Schriften „Lettres d’un habitant de Genève à ses contemporains“, „Système Industriel“ sowie „Nouveau Christianisme“ bekannt geworden. Darin entwarf er frühe sozialistische Gedankengebäude, welche später von seinen Anhängern so weiterentwickelt und verfeinert wurden, dass Saint-Simon heute vielfach als einer der Vordenker von Karl Marx angesehen wird. Im religiösen Weltbild der Saint-Simonisten kam der Vorstellung, dass Gott sowohl in einer männlichen wie einer weiblichen Gestalt existiere und sich Belege für diese Annahme vor allem in Orient finden ließen, eine zentrale Bedeutung zu.
Abgesehen von Sympathien für solche eher philosophischen Gedanken waren die äußeren Umstände der ersten Begegnung mit dem Morgenland von Maurice Tamisier durchaus von handfester weltlicher Natur. Nachdem er 1833 zusammen mit seinem Freund Edmond Combes zwischen Kairo und Khartum Erkundungen im Zusammenhang mit dem Bau des künftigen Suez-Kanals unternommen hatte, war er bereits ein Jahr später als Sekretär des Militärarztes Teil der ägyptischen Armee, die sich anschickte, die Herrschaft Asir im Westen der Arabischen Halbinsel zu erobern, eine Unternehmung, die, wie uns Tamisier durch die Worte eines arabischen Reisebegleiters wissen lässt (S. 115), ohne vernünftigen politischen Grund allein dem Ehrgeiz Mohammad-Alis, dem Begründer des modernen Ägyptens, zuzuschreiben sei. Die Reiseschilderungen Tamisiers gehören zu den ersten detaillierten Berichten über die traditionelle Unruheprovinz Asir an der südlichen Peripherie des bereits wankenden Osmanischen Reiches. Beobachtungen zu Klima, Fauna und Flora sowie Geographie und Ethnographie bilden einen ebenso festen Bestandteil wie Berichte zu Religion und Politik, wobei es Tamisier durch seine im Stil des Briefschreibens verfassten Epiloge und zahlreiche Abschnitte in wörtlicher Rede immer versteht, eine gewisse Grundspannung aufrecht zu erhalten. Wichtige Stationen der Reise sind: Kairo, Suez, Golf von Akaba, Ras e-Hamra, Djeddah, Bahara, Mekka, Goufoudah, Taif, Wadi Fatma, Hodeil, Akig, Wadi Bicha, Tania, Billa, Assir, Wadi Hamama und Ménader.
Abgerundet wird die in zwei Teile und 24 Kapitel untergliederte Edition von umfangreichen Fuß- und Endnotenkommentaren, einem Glossar sowie einem Orts- und Namensregister. Dabei werden vor allem Abweichungen in der Schreibweise von Ortsnamen zwischen englischen, deutschen und französischen Reiseberichten thematisiert. Insgesamt wird ein aufwändig gestaltetes, ansprechend ausgestattetes und originalgetreu umgesetztes Werk präsentiert, das in keiner Sammlung der Geographie, der Entdeckungs- und Kolonialgeschichte oder der Islam- und Orientwissenschaften fehlen sollte.

Andreas Dittmann

 

 

Conrad, Jobst: Von Arrhenius zum IPCC. Wissenschaftliche Dynamik und disziplinäre Verankerungen der Klimaforschung. 300 S. Monsenstein u. Vannerdat, Münster 2008,  € 19,80

Ohne eine wissenschaftliche Klimaforschung wäre der Klimawandel weder eindeutig erkennbar, nachweisbar und (in seinen Struktur- und Entwicklungsmustern) erklärbar, noch wäre die Entwicklung effektiver (auf ihre Folgewirkungen hin untersuchter) Klimatechnologien möglich. Daher ist es gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend verwissenschaftlichten Gesellschaft und einer wachsenden Vorherrschaft problemorientierter Forschung gegenüber disziplinärer (Grundlagen-)Forschung von weitergehendem, nicht nur rein wissenschaftlichem Interesse, die die Klimaforschung prägenden Triebkräfte und Dynamik genauer zu untersuchen und zu erklären.
Was dieses Buch unter von der Vielzahl der in den letzten ein/zwei Jahren erschienenen Bücher zu Klimaproblem, -forschung, -diskurs und -politik abhebt, ist insbesondere die Kombination der prägnanten Darstellung inhaltlicher (naturwissenschaftlicher) Ergebnisse der Klimaforschung mit der Reflexion der epistemischen Struktur von Klimatheorien und ihrer disziplinären Verankerungen und mit der wissenschaftshistorischen und -soziologischen Analyse der wissenschaftlichen Entwicklungsdynamik der Klimaforschung. Hierbei kommen Conrad seine sowohl natur- als auch sozialwissenschaftliche Ausbildung ebenso wie seine problemorientierte Herangehensweise und historisch übergreifende Betrachtungsweise zugute. Bei dieser Analyse von Wissenschaftsdynamik, Community- und Disziplinbildungsprozessen in der Klimaforschung steht vor allem die epistemologische Ebene des Geltungszusammenhangs im Vordergrund. „Die Arbeit wertet die diesbezüglichen Befunde insbesondere daraufhin aus, ob sich die Entwicklung der Klimaforschung retrospektiv als eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte interpretieren lässt, inwieweit es sich um finalisierte Forschung handelt, und ob sich die Klimaforschung hin zu einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin entwickelt.“ (5)
Mit dieser problemorientierten, auf die Klimaforschung fokussierenden Bündelung unterschiedlicher Perspektiven und Ansätze gelingt es dieser sekundär-empirischen historischen Längsschnittstudie, maßgebliche Kennzeichen dieser Entwicklungsdynamik zu verdeutlichen und zuzuspitzen als auch den Prozess der sozialen Einbettung und Institutionalisierung und den Wandel in den Erklärungsmustern der Klimaforschung herauszuarbeiten.
Denn „in ihrer nunmehr gut 150-jährigen Geschichte durchlief die Klimaforschung in mehrfacher Hinsicht signifikante Metamorphosen:
von einer regionalen Klimakunde zu einem globalen Klimakonzept,
von einfachen zu komplexen, die weltweit größte Computerkapazität beanspruchenden Klimamodellen,
von einer anfangs im Wesentlichen in der Meteorologie und Geografie beheimateten Forschung zur Einbeziehung immer weiterer das Klima bestimmender Faktoren in einer ganzheitlich-problemorientierten, auf Erdsystemanalyse ausgerichteten Forschung,
von einem als stationär angesehenen Klima zur Erkenntnis und Analyse abrupten Klimawandels,
von ungewissen (sich teils als durchaus korrekt herausstellenden) Spekulationen zur Absicherung ihrer Ergebnisse in einem aufwändigen, in dieser Form bislang nicht gekannten Review-Verfahren mit inzwischen durchweg als Stand der Forschung anerkannten IPCC-Berichten,
von zumeist unverbundenen, in unterschiedlichen Fächern gewonnenen klimarelevanten Einzelerkenntnissen zu einem eigenständigen Forschungsfeld und tendenziell zu einem sozial und institutionell verankerten Fach Klimawissenschaft,
von dem Engagement einiger weniger Einzel- und Amateurwissenschaftler zur professionell betriebenen, intensive weltweite Kooperation verlangenden und realisierenden Klimaforschung,
von ihrer impliziten Finanzierung in der Größenordnung von 10-20 Mio. EURO im Rahmen der Geowissenschaften, insbesondere der Meteorologie, zu einer jährlich weltweit einige Mrd. EURO an Ressourcen beanspruchenden Großforschung,
von einem – im Unterschied zur Wetterkunde – (forschungs)politisch kaum beachteten zu einem politisch hochbrisanten Forschungsfeld
und – in jüngster Zeit – von der Klimaforschung zur Entwicklung von Klimatechnologien und -strategien.“ (S. 4f.)
Im Ergebnis lässt sich die Entwicklung der Klimaforschung im Rückblick durchaus als eine Erfolgsgeschichte einstufen, wobei dies keineswegs (zwangsläufig) zu erwarten war. Infolge der zunehmenden Herausbildung einer eigenen Fachgemeinschaft der Klimaforscher und einer eigenständigen problemorientierten und multidisziplinären Klimawissenschaft weist die Klimaforschung tendenziell Fach-, jedoch keinen Disziplincharakter auf. Als Gesamtbild schält sich heraus, „dass zum einen der größte Teil klimawissenschaftlichen Wissens erst in den letzten Dekaden erlangt wurde und zum anderen die Mehrzahl zentraler Aussagen und Theoreme über Klimastruktur und -wandel überwiegend erst in den beiden letzten Jahrzehnten als wissenschaftlich anerkannte Tatbestände durchweg akzeptiert wurden.“ (S. 198f.)
Um ebendiese Rekonstruktion und Interpretation der Klimaforschung substanziell hinreichend zu fundieren, resümiert Conrad nach der Darstellung des methodischen Vorgehens und den Grenzen seiner Untersuchung zum einen ausführlich die sie leitenden (wissenschaftssoziologischen) Begriffe, theoretischen Kontexte und ihren analytischen Rahmen; dies betrifft etwa das Verhältnis von funktionaler Differenzierung und Wahrheit, die differenzierte Begrifflichkeit von Disziplinarität und Interdisziplinarität, oder die essenziellen Merkmale der Herausbildung einer wissenschaftlichen Community als sozialen Prozess. Zum anderen präsentiert er in einem knapp die Hälfte des Buches umfassenden historischen Überblick die sukzessive Entwicklung der Klimaforschung seit ihrem Beginn im 19. Jahrhundert. Hierbei unterscheidet er mithilfe eines mehrdimensionalen Kriterienrasters (wie Eigenständigkeit, Umfang, Erklärungsreichweite, Forschungsprogramme und -organisation, Problemorientierung, Erklärungsniveaus und Messmöglichkeiten, Kontroversen und Eindeutigkeit, wissenschaftliche Erkenntnis- und gesellschaftliche Förderinteressen der Klimaforschung) heuristisch sechs unterschiedliche Entwicklungsniveaus markierende Entwicklungsphasen. Auf dieser Basis behandelt Conrad dann in stärker systematisch auf bestimmte (praxisrelevante) Frage- und Problemstellungen ausgerichteten Kapiteln die Wechselwirkung ihrer Einflussfaktoren, die Rolle von Kontroversen, die Entwicklungs- und Wissenschaftsdynamik der Klimaforschung, erklärende Theorien und Modelle in der Klimaforschung und deren disziplinäre Verankerungen.
Aufgrund des Fokus der Arbeit auf genuine (naturwissenschaftliche) Klimaforschung werden weitergehende interessante Frage- und Problemstellungen wie die Rolle von Klimapolitik, Klimadiskursen oder die Bereiche von Klimafolgenforschung, Klimapolitik sowie Anpassungs- und Vermeidungsstrategien gegenüber dem Klimawandel zwar benannt und kompakt mit eindeutigen Aussagen aufgegriffen, aber nicht weiter behandelt. Deutlich werden etwa die trotz politischer Interventionen durchweg aufrecht erhaltene weitgehende Eigenständigkeit der Klimaforschung, die primär die sozialen Organisationsformen und die Initiierung und Etablierung von Klimaforschungsprogrammen betreffenden Optionen forschungspolitischer Steuerung, sowie die trotz des in den letzten Dekaden intensiven und gewollten Austausches zwischen Wissenschaft und Politik deutliche Separiertheit und Unterschiedlichkeit klimawissenschaftlicher und klimapolitischer Diskurse.
Das Buch richtet sich grundsätzlich an ein breites Publikum, wobei es ihm je nach Provenienz unterschiedliche Erweiterungen seines Erfahrungshorizonts nahe legt: Klimawissenschaftlern ermöglicht es, ihr eigenes Arbeitsgebiet in seinem größeren Entstehungs- und Geltungszusammenhang plausibel einzubetten und mithilfe wissenschaftssoziologischer Kategorien breiter zu reflektieren; Klimapolitiker können sich unter Kenntnisnahme relevanter Ergebnisse der Klimaforschung ihrer Eigendynamik, der zentralen Rolle des Geltungszusammenhangs, realistischer Optionen und der  begrenzten Möglichkeiten klimapolitischer Forschungssteuerung vergewissern; und (mit Umwelt- und Klimafragen befassten) Sozialwissenschaftlern vermittelt das Buch einerseits einen kompakten und zugleich differenzierten Überblick über die Erkenntnisse und Geschichte der Klimaforschung und regt sie andererseits zur kritischen Überprüfung einiger gängiger (wissenschaftssoziologischer) Konzepte und Theorien an, insofern die Rekonstruktion der Entwicklung und Wissenschaftsdynamik der Klimaforschung deren Geltung teils in Frage stellt. Allerdings verlangt dies von den Lesern eine aufmerksame reflexive Lektüre und ein Sich-Einlassen auf verschiedene, teils ungewohnte fachsprachliche (klimawissenschaftliche bzw. wissenschaftssoziologische) Terminologien, wie von Naturwissenschaftlern die kompakte Kenntnisnahme wissenschaftssoziologischer Diskursergebnisse, oder von Sozialwissenschaftlern das Interesse an der Darstellung der vielfältigen Ergebnisse und Nuancen der Klimaforschung. Bei einer präzisen und differenzierten Sprache erfolgt die Verknüpfung von wissenschaftssoziologischer Theorie mit der Rekonstruktion der Entwicklung der Klimaforschung zudem relativ umstandslos direkt, was von dem damit weniger vertrauten Leser einige Anstrengung verlangt. Der wesentliche Gewinn eines solchen in dieser Form bislang nicht vorliegenden synoptischen Zusammenschau liegt darin, dass er mit dem Buch über komprimiertes Klima (wissenschaftlich, politisch und soziologisch) relevantes Wissen verfügt, das es ihm erlaubt, die verschiedenen für ihn relevanten Dimensionen und analytischen Perspektiven rasch nachschlagen und miteinander verknüpfen zu können, ohne sich jeweils in die sie ausführlich behandelnde umfangreiche Fachliteratur vertiefen zu müssen.
Alles in allem handelt es sich bei diesem Buch um eine anspruchsvolle und gelungene Rekonstruktion, Darstellung und Analyse der insgesamt über ein Jahrhundert umfassenden Wissenschaftsdynamik der Klimaforschung.

Rüdiger Glaser




Achen, Matthias; Böhmer, Juliane; Gather, Matthias und Pez, Peter (Hg.): Handel und Verkehr, Mobilität und Konsum. 186 S., 50 Abb. und 14 Tab. Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung 19. Verlag MetaGIS Infosysteme, Mannheim 2008, € 28,-

Commerce and transport are two areas, which have been subjected to a sensational change in dynamics both in the West as well as in the East over the last decades. This process goes back to the fact that material consumption and individual mobility from the sociological perspective shape our modern society, in which financial resources and social preferences are reflected.
The spatial development and the movement of people and freight were always closely connected to each other. This especially applies to commerce, the spatial organisation of which is decisively influenced by the mobility of customers and the efficient transport of goods. Thus, the issue is pursued as to what are the determining factors for the choice of location of retail trade and what significance the transport behaviour of consumers has.
The current volume documents the essential contributions of the joint annual symposium of both working groups “Geographical Trade Research” and “Transport” of the German Association for Geography, 2006 in Erfurt. From the contents point of view, the relation between location network of commerce on the one hand and the transport behaviour of the consumers on the other was in the foreground of the examination.
The individual texts are dedicated to the essential determining factors and effects of the reciprocal influence of commerce and transport, mobility and consumption. Thus, economic aspects are linked with social and ecological consequences: future development trends are highlighted and questioned. Viewed in its entirety, the current volume thus offers an insight into the current research object at the interface of geographical mobility and trade research. The individual contributions reflect on the one hand contrary research approaches and on the other, it gives an overview concerning the current status of research on the interface of geographical trade and mobility research.

Thomas J. Mager




Mitchell, Sandra: Komplexitäten. Warum wir erst anfangen, die Welt zu verstehen. 173 S. Edition unseld 1. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008, € 10,-

Mit dem Essay der Wissenschaftsphilosophin und -historikerin Sandra Mitchell eröffnet der Suhrkamp-Verlag seine „edition unseld“. In dieser Buchreihe soll unter anderem „der durch Naturwissenschaft und Technologie bewirkte Wandel unseres Weltgefühls [...] beschrieben, erklärt und vorausgedacht werden. Dies kann nur gelingen, wenn Geistes- und Naturwissenschaften miteinander in Dialog treten“ (Broschüre, Vorwort). In Mitchells emphatischem Appell für eine „neue Komplexitätsforschung“ kommt die Geographie zwar nicht vor, aber er ist gerade auch für unser Fach bedenkenswert und höchst anregend: für die reine Forschung, für die Anwendung ihrer Ergebnisse und für die Politik.
Den Wissenschaftlern empfiehlt Mitchell einen „integrativen Pluralismus“. Nur diese Forschungshaltung würde einer Welt gerecht, die durch „vielschichtige, durch Evolution entstandene robuste komplexe Systeme mit ihren vielen Einzelteilen“ (S. 153) geprägt ist. Diese komplexen Strukturen und ihr Verhalten sind kontingent und von historischen Vorbedingungen abhängig (vgl. S. 81). Mitchell erläutert die anspruchsvollen methodischen Konsequenzen dieser Weltsicht und belegt ihre Überlegenheit, ja Notwendigkeit mit Beispielen aus der Forschung über arbeitsteilig organisierte Insektenvölker, über Depressionen bei Menschen sowie über die Entstehung von Ozonlöchern. In allen Fällen zeigt sich, dass es nur mittels Analysen auf mehreren „ontologischen Ebenen“ gelingt, die Forschungsgegenstände einigermaßen vollständig zu erfassen und hinreichend zu erklären. Die große methodische und forschungssoziologische Herausforderung einer so verstandenen Mehrebenenforschung – in der Geographie in Form von Multi-Skalar-Modellen bekannt – entsteht dadurch, dass die „Beziehungen zwischen den Faktoren der unterschiedlichen Ebenen [...] voneinander nicht unabhängig (sind)“ (S. 139), so dass „die auf einer Ebene gefundenen Antworten unter Umständen Einfluss darauf haben, was auf einer anderen Ebene eine plausible oder wahrscheinliche Antwort ist“ (S. 143). Deshalb liefert ein von Mitchell als Isolationismus bezeichnetes Vorgehen, das sich allein mit Phänomenen auf einer einzigen Ebene befasst, keine hinreichenden Einsichten. Die Mehrebenenanalyse ermöglicht und erfordert einen theoretisch und empirisch vielfältigen Forschungsbetrieb. Dass dessen Resultate in der Regel dennoch nicht eindeutig sind, daran lässt Mitchell keinen Zweifel: „Was die Wahrscheinlichkeit der Ergebnisse angeht, besteht in komplexen Systemen eine umfassende, vielfältige und häufig nichtlineare Unsicherheit“ (S. 113).
Um derart auslegungsfähige Wissensbestände in für die Praxis brauchbares Wissen aufzubereiten, eignen sich gängige Kosten-Nutzen-Analysen mit ihren Versuchen einer genauen quantitativen Zuordnung der Wahrscheinlichkeiten (vgl. S. 114, 115) nur bedingt; sie seien zu sehr dem linearen Denken des traditionellen Reduktionismus verhaftet. „Ein besserer Leitfaden für die Entscheidungsfindung sind [...] Alternativdarstellungen dessen, was man weiß und was man nicht weiß“ (S. 114). Das geeignete methodische Instrument seien deshalb Simulationen in Form von Szenarienanalysen. Sie basieren zum einen auf einer nachvollziehbaren Auswahl jener Faktoren, die als entscheidend für die künftige Entwicklungen angesehen werden, zum anderen auf den – werthaltigen – Vorstellungen von einer erwünschten Zukunft. Als eine dafür geeignete, gut ausgearbeitete und empirisch erprobte Methodik empfiehlt Mitchell eine „robuste anpassungsorientierte Planung (RAP)“. Ihre Besonderheit besteht darin, „ein breites Spektrum unterschiedlicher, aber möglicher Szenarien“ (S. 119) miteinander zu vergleichen. Denn die Ergebnisse der Simulationen werden unterschiedlich ausfallen, abhängig von der normativen Position des oder der Betrachter(s), von der oder den gewählten Analyseebene(n) sowie von dem gewählten Zeithorizont. Jedes Szenarium repräsentiert „eine andere Wahrscheinlichkeitsverteilung zu den relevanten Variablen, ihrem Einfluß und damit ihren voraussichtlichen Folgen“ (S. 119).
Präsentiert sich die Wissenschaft in dieser Weise, läuft sie Gefahr, ihre Funktion als Ratgeberin der Politik zu verlieren. Es „besteht sogar die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit aller wissenschaftlichen Aussagen so stark in Zweifel zu ziehen, daß ein politisches Umfeld entsteht, in dem Beiträge der Wissenschaft völlig übergangen werden“ (S. 116). Einen Ausweg sieht Mitchell in einem als „anpassungsorientiertes Management“ bezeichneten Verfahren. Es sieht durch Szenarien angeleitete Handlungsstrategien vor, in die „kurzfristige, meßbare Meilensteine“ (S. 122) eingebaut werden, die jederzeit flexible Umsteuerungen erlauben. Mitchell ist zuversichtlich, dass eine derart konstruierte „differenziertere, stärker kontextsensitive Darstellung von Politikfolgen in einer komplexen Welt zu verbesserten, differenzierteren Handlungsstrategien beitragen“ kann (S. 123). Handlungszwänge der Politik, die einem so offenen und flexiblen Zusammenwirken zwischen Wissenschaft und Politik im Wege stehen könnten, erwähnt Mitchell nicht.
Es liegt auf der Hand, wie relevant all diese weit reichenden forschungslogischen und -soziologischen Einsichten und Vorschläge für die Geographie sind, für Diskussionen um ihre epistemologischen und methodischen Grundlagen ebenso wie um ihre gesellschaftlichen Aufgaben. Das gilt insbesondere, wenn man die Hauptaufgabe der Geographie darin sieht, räumliche Konfigurationen von Gesellschafts-Natur-Komplexen zu beschreiben und zu erklären. Denn das kann, folgt man Sandra Mitchell, nicht mit der einen oder der anderen Herangehensweise der alten, reduktionistischen Wissenschaft gelingen. Die Suche nach „der“ Ursache passt nicht zu einer „Welt der vielschichtigen kausalen Wechselwirkungen und der Emergenz“ (S. 152). In dieser Welt hat, wissenschaftlich gesehen, das „Universelle [...] dem Kontextbezogenen, Lokalen Platz gemacht“ (S. 152). Und bei dessen Erforschung wird, so schließt die Autorin ganz im Sinne eines Alexander von Humboldt, „das Streben nach der einen, einzigen, absoluten Wahrheit [...] verdrängt durch den demütigen Respekt vor der Pluralität der Wahrheiten, die unsere Welt partiell und pragmatisch abbilden“ (S. 152).

Heiner Dürr

 

 

 

Frings, Roy: From gravel to sand. Downstream fining of bed sediments in the lower river Rhine. 219 S., zahlr. Abb. und Tab. Nederlandse Geografische Studies 368. KNAG, Faculteit Geowetenschapen Universiteit Utrecht, Utrecht 2007, € 25,-

The early recognition and well-known phenomenon of downstream fining of sediments in river channels requires a closer look for details. The principles might appear obvious to most scientists, but by a closer look to details, numerous aspects are less well understood than one might expect. Especially in fine-grained environments like lowland rivers, cause and effect connections considering process-orientated questions cannot be answered. Roy Frings investigated the influence of abrasion, selective transport and sediment addition-extraction processes on downstream fining in sand-bed rivers and gravel-sand transition zones through the example of the lower River Rhine.
Based on an extensive literature review, relevant processes and controls are identified. Extended data sets of sediment transport measurements are analysed to quantify selective transport processes in the study area with a focus on the effect of river channel bifurcations. Natural and anthropogenic external controls e.g. by-sea level changes or human impact are distinguished by combining geological, historical and modern data on the river channel sediments. Morphological predictions of river channel behaviour require the discrimination between fine-grained pore-filling load and bed-structure load as fine-grained sediments might fill the pores between gravels without being involved in channel morphology changes. A new method based on grain-size distributions is developed to estimate the threshold values of the grain size and amount of fine sediments relevant for this process. Based on this effect, a porosity model is developed to determine how the bed structure of a river changes downstream, considering additionally bend sorting and dune sorting on the transport selectivity in gravel-sand transition zones. Finally, a numerical downstream fining model is designed in order to determine the interactions of the different processes.
It is a serious challenge to summarize the results of the study in a short review, as the temporary and spatially varying interaction of the different involved processes is the main result. Roughly generalizing, abrasion is found is to be of lower importance in sand-bed rivers confirming previous investigations while the rate of selective transport decreases in downstream direction. The size-selective sediment exchange between bed-load and suspension-load including sorting effects by channel bed structures and armouring effects resulting from selected transport during floods are found to be important effects. The downstream fining trend can be significantly altered by sediment extraction e.g. by floodplain deposition increasing the concentration of relatively coarser sandy sediments.
The complex network of interacting processes involved in downstream fining of bed sediments in fine-grained river channel deposits is clearly structured within the investigation. The papers compiled in the cumulative dissertation of the author have been published or submitted in different international peer-reviewed journals, but are clearly separated on different aspects of relevance. The final concluding remarks summarize the aspects studied in detail. Fluvial geomorphologists especially interested in interacting processes at river channel beds will benefit from the compilation of the papers by the author as a well structured review.

Jürgen Herget




Ott, Hermann E. und HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG (Hg.): Wege aus der Klimafalle. Neue Ziele, neue Allianzen, neue Technologien – was eine zukünftige Klimapolitik leisten muss. 230 S., 16 Abb. und 4 Tab. oekom Verlag, München, Berlin 2008, € 19,90

Spätestens mit dem vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC = Weltklimarat) aus dem Jahre 2007 hat die internationale Zunft der Klimatologen ein klares Meinungsbild in Politik und Gesellschaft geschaffen, welches kaum mehr Zweifel an der menschlichen Beeinflussung des irdischen Klimas einräumt. Während die Klimatologie weiterhin Indizien für den anthropogenen Klimawandel sammelt und die Klimafolgenforschung immer neue Wirkungszusammenhänge zwischen klimatischen Rahmenbedingungen und den verschiedensten Systemen der belebten und unbelebten Natur aufdeckt, führt das Credo des anthropogenen Klimawandels in der Politik und Gesellschaft zwangsläufig zum Handlungsbedarf. Nun sind mit dem Kyoto-Protokoll und später mit dem Konzept 20-20-20 der Europäischen Union zwar erste Schritte in Richtung einer internationalen Klimaschutzstrategie getätigt worden. Aber die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit dieser Absichtserklärungen bleibt mehr als zweifelhaft angesichts der zuletzt ansteigenden globalen Treibhausgasemissionen, die immer mehr auch durch aufstrebende Schwellenländer wie China und Indien mit verursacht werden.
Im unübersichtlichen Dickicht der diversen, im ständigen Wandel begriffenen politischen, gesellschaftlichen und technologischen Komponenten im Klimaschutz ist der kürzlich erschienene Band „Wege aus der Klimafalle“ von H. E. Ott und der Heinrich-Böll-Stiftung als Herausgeber sicherlich ein erhellendes Moment. Die Buchbeiträge sind in der Folge einer internationalen Fachtagung mit annähernd gleichnamigem Titel, welche im Herbst 2006 von der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert wurde, zusammengetragen worden. Namhafte Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis stellen in 15 prägnanten und übersichtlichen Beiträgen die existierenden und theoretisch erforderlichen Rahmenbedingungen der Klimaschutzpolitik vor. Dabei ist der Grundtenor des Buches trotz der dargestellten Diskrepanz zwischen Soll- und Istzustand im aktuellen Klimaschutz allgemein sehr kon-struktiv: Es werden neue Lösungswege aufgezeigt und die dafür nötigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Netzwerke diskutiert.
Der Band gliedert sich in vier Kapitel, die jeweils drei bis vier Einzelbeiträge umfassen. Der erste Teil widmet sich den gegebenen bzw. anzustrebenden Zielen einer Klimapolitik nach dem Planungshorizont des Kyoto-Protokolls, also nach 2012. Dabei orientieren sich die Autoren im Konsens mit vielen Wissenschaftlern und Politikern an dem Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf maximal 2° C zu begrenzen, was einer Treibhausgaskonzentration von ca. 400–450 ppm CO2-Äquivalent entspricht. Der Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und Temperaturanstieg wird durch einige gut erläuterte Gleichungen und Graphiken veranschaulicht. In der Folge werden verschiedene Ansätze der Klimapolitik vorgestellt und bewertet sowie diverse Szenarien der internationalen Klimaschutzbestrebungen und deren wahrscheinliche Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung der globalen Mitteltemperatur diskutiert. Schließlich wird auch das diffizile Thema der Lastenverteilung im Emissionsschutz, vor allem zwischen den Industriestaaten und Entwicklungsländern, angesprochen sowie die besondere Verantwortung der Industriestaaten hervorgehoben, als bisheriger Hauptverursacher steigender Treibhausgaskonzentrationen Anpassungsmaßnahmen an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern zu unterstützen.
Nach der Festlegung der Ziele einer zweckmäßigen und effektiven zukünftigen Klimapolitik werden im zweiten Teil die politischen Instrumente dargelegt, mit denen sich diese Ziele umsetzen ließen. Hierbei wird zunächst die zentrale Rolle der EU als Kondensationspunkt einer internationalen Klimadiplomatie mit integrierter Entwicklungspolitik dargelegt und die bereits existierenden energie- und klimaorientierten Beziehungen der EU zu anderen Wirtschaftsregionen beleuchtet. Die gegenwärtige und zukünftige Bedeutung des sog. Clean Development Mechanismus als eines der marktwirtschaftlichen Instrumente des Kyoto-Protokolls, welches auf nachhaltige Projekte zum Emissionsschutz in den Entwicklungsländern abzielt, wird in einem weiteren Beitrag ausführlich diskutiert. Der Folgebeitrag stellt die philosophische Frage, wem die Atmosphäre gehören sollte, und gibt mit dem sog. Sky Trust eine pragmatische Antwort, die auf einen alternativen Ansatz zum europäischen Emissionshandelssystem abzielt. Schließlich werden die Optionen und Perspektiven des Klimaschutzes in Deutschland in den Kontext der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen gesetzt und damit eine Verknüpfung von Klima-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik propagiert.
Die technologischen Möglichkeiten und Perspektiven im Klimaschutz sind Gegenstand des dritten Kapitels. Zunächst werden die Potenziale der CO2-Abscheidung und -Speicherung erörtert, welche zwar nicht die Produktion von Treibhausgasen, aber deren Emission in die Atmosphäre verringert. Die bislang offenen Fragen und Probleme dieser zukunftsweisenden Technik werden sehr kompetent geschildert. Der Folgebeitrag widmet sich den notwendigen politischen und finanziellen Rahmenbedingungen, um die Entwicklung CO2-armer Technologien voranzutreiben. Nach Ansicht des Autors wird bislang zu wenig in diese Option des Klimaschutzes investiert, ohne die eine nachhaltige Reduktion der Treibhausgaskonzentrationen nur auf Kosten von Wohlstand und Wachstumspotenzialen zu erreichen ist. Der letzte Beitrag in diesem Kapitel thematisiert den Wandel der Lebensstile als weitere notwendige Komponente im Emissionsschutz, welche auf das Konsumverhalten, die Mobilität und den individuellen Energieverbrauch abzielt. Diese soziokulturelle Betrachtungsweise ergänzt das Bild des vorab erörterten technologischen Wandels auf plausible Weise.
Das letzte Kapitel des Bandes ist perspektivisch ausgerichtet auf zukünftige Akteure und Allianzen im Klimaschutz, der nicht nur durch die Politik und gemeinnützige Organisationen zu bewerkstelligen ist, sondern das gemeinsame Engagement von Regierungen, Unternehmen und Individuen erfordert. Im ersten Beitrag wird die Rolle der Entwicklungsländer im Kyoto-Prozess und in einem anzustrebenden zukünftigen Klimanetzwerk analysiert. Dabei wird auch die gegenwärtige Position der Industriestaaten gegenüber der Lastenbeteiligung der Entwicklungsländer kritisch hinterfragt. Im Anschluss wird der Handlungsrahmen der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Klimaschutz erläutert. Durch die bereits geschaffenen Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft und betroffenen Menschen auf allen Maßstabsebenen kommt den NGOs eine viel versprechende Rolle bei der Bestrebung zu, Klimapolitik und Entwicklungshilfe zu verbinden. Die Diskrepanz zwischen Soll- und Istzustand im Kyoto-Prozess resultiert u.a. aus der mangelnden Rechtsverbindlichkeit der Klimaschutzziele und fehlenden Sanktionierungsmaßnahmen. Diesem Missstand widmet sich der Beitrag zum sog. Climate Justice Programme. Dieses Programm hat sich zum Ziel gesetzt, Gesetze zum Schutz gegen schädliche Klimafolgen auf der globalen Maßstabsebene zu etablieren und auf dieser Grundlage Sanktionen und Schadensersatzansprüche gegen klimaschädigende Aktivitäten zu beschließen. Der letzte Beitrag beleuchtet die Zusammenhänge zwischen dem mutmaßlichen Klimawandel und den Nutzen- und Risikoeinschätzungen auf dem Finanzmarkt. Durch die zunehmende Wahrnehmung klimabedingter Chancen und Risiken werden Finanzdienstleister zu einem neuen gewichtigen Akteur im internationalen Klimaschutz, wobei politische und wirtschaftliche Interessen durchaus häufig im Einklang sind und somit in eine gemeinsame effizientere Klimaschutzstrategie münden könnten.
Der Band „Wege aus der Klimafalle“ verfolgt einen sehr modernen multidisziplinären Ansatz, der von einem internationalen Autorenteam aus Wissenschaft, Politik, Praxis und gemeinnützigen Organisationen ausgestaltet wurde. Somit entspricht die Konstellation dieses Buches bereits dem selbst formulierten Anspruch an neue Netzwerke in der Klimapolitik. Die detailreiche und beispiellose Zusammenstellung von Beiträgen zu einem hochaktuellen Thema besitzt sogar ein bisschen Lehrbuchqualität: Die meisten Beiträge beinhalten eine umfangreiche Bibliographie; viele Aspekte werden auch quantitativ beleuchtet und durch Schaubilder und Graphiken veranschaulicht. Leider sind einige Teile des Buches etwas textlastig mit spärlicher graphischer Ausgestaltung. Dies erschwert an manchen Stellen die Übersichtlichkeit, ebenso wie vereinzelte inhaltliche Überschneidungen insbesondere in Kapitel 1 und 2 – ein allgemeines Problem der Feinabstimmung bei der Zusammenstellung von Konferenzbeiträgen unterschiedlicher Autoren. Aus der Sicht eines Klimatologen erscheinen manche Aussagen etwas polemisch oder dogmatisch, aber dies ist wohl gewollt und angesichts der Grundintention des Buches nachvollziehbar. Obwohl der Band angesichts der großen Veränderlichkeit der Rahmenbedingungen nur einen Schnappschuss der gegenwärtigen Ziele, Instrumente und Optionen der Klimapolitik darstellen kann, ist er eine umfassende, lehrreiche und sensibilisierende Lektüre für jeden, der im Spannungsfeld zwischen Klimaforschung, Politik, Technik und Gesellschaft tätig oder interessiert ist.

Heiko Paeth

 

 

 

Gouw, Marc: Alluvial architecture of the Holocene Rhine-Meuse delta (The Netherlands) and the Lower Mississippi Valley (U.S.A.). 190 S., 55 Abb., 14 Tab. and 1 Photo. Nederlandse Geografische Studies 364. KNAG, Faculteit Geowetenschapen Universiteit Utrecht, Utrecht 2007, € 22,-

Studies on alluvial architecture focus on the proportion, distribution and geometry of fluvial deposits in sedimentary basins. Typically, long-time geological time intervals are considered while studies dealing with shorter periods including sub-recent times are scarce. The deltas of the Rhine-Meuse and of the Mississippi River are suitable examples for such studies and are already well investigated, providing a large amount of drilling and exploration data for further interpretations. The areas of the investigation are already well studied – so what could be new results? The declared aim of the study is to quantify and explain the alluvial architecture of the deltas, especially the alongstream variability of the channel-belt dimensions and the relative importance of external controls like eustasy, land subsidence and climate related elements of the hydrology and sedimentary dynamics of the involved rivers.
As characteristic for a cumulative dissertation, the content of the chapters is clearly structured, but partly overlapping, which cannot be avoided for the compiled stand-alone articles. A general review based on a literature review of the alluvial architecture of fluvio-deltaic successions focusing on Holocene settings introduces to the topic. Avulsion is found to be the dominant process, even if the involved mechanisms of this process are under debate. The variability of channel-belt dimensions of the two deltas is analysed in detail in the following chapter. It is found that the channel-belt width in sectors encased by cohesive sediments decreases significantly downstream, while it remains constant along its entire course in non-cohesive sedimentary environments. Among the external controls on the development of the Rhine-Meuse delta different dominant influences are found for the upper and lower part. Five cross-section profiles dated by 130 radiocarbon samples and documented in the plate in the attachment reveal that between 8000/6000 cal yr BP and 3000 cal yr BP organic flood deposits generating palaeo-topsoils were dominant and were replaced by clastic deposition later. Before 5000 cal yr BP, eustatic sea-level rise controlled the build-up of the delta and was replaced by subsidence until 3000 cal yr BP when increased sediment supply from the hinterland reached dominant influence. The following two chapters focus on the alluvial architecture of both deltas separately by spatial and temporal analysis of geometric elements like width/thickness and connectedness ratios of several elements. Readers less familiar with this approach might have difficulties to follow but by a closer look these chapters contain the answers to the quantification of the dominating processes in the deltas through time. A final synthesis with links to further details in the different chapters rounds up the text and eases the review on similarities of the alluvial architecture of the deltas. In both areas investigated the amount of sand in the succession decreases significantly in a downstream direction, which is important for the exploration of hydrocarbons.
Beyond the fluvial-geomorphological details the investigation is an interesting example for the perspectives of a quantitative reconstruction of processes based on trends in sedimentary archives.

Jürgen Herget




Rothfuß, Eberhard (Hg.): Entwicklungskontraste in den Americas. 210 S., 87 Abb., 27 Tab. und 57 Photos mit CD-ROM. Passauer Kontaktstudium Erdkunde 9. Selbstverlag Fach Geographie der Universität, Passau 2008, € 25,20

Es handelt sich um einen Sammelband mit 13 Beiträgen über anthropo- und physiographische Themen, die während der 9. Tagung „Passauer Kontaktstudium Erdkunde“ am 09. und 10.10.2006 gehalten wurden mit dem Ziel, die „Entwicklungskontraste in den Americas“ einem breiten Publikum von Gymnasial- und Realschullehrern und -lehrerinnen vorzustellen und anhand der präsentierten Beispiele unterrichtspraktisch zu vermitteln.
Dabei dominieren die anthropogeographischen Beiträge (8) deutlich gegenüber den physiographischen (4) und einem rein didaktischen über das „Geoaktiv-Lernprogramm Südamerika“ (H. Purschke). Es ist dann aber etwas unverständlich, warum drei Aufsätze sich auf Kuba beziehen, was der Bedeutung dieses Landes im amerikanischen Kontext durchaus nicht entspricht. Sicherlich ist eine großregionale Ausgewogenheit schwierig zu realisieren, aber: Der gesamte andine Raum bleibt ebenso unberücksichtigt wie Zentralamerika, sieht man von dem zu empfehlenden Beitrag von T. Fickert u.a. ab über den Zerstörungsgrad und die Regeneration der Ökosysteme sieben Jahre nach dem Hurrikan Mitch auf der Karibikinsel Guanaja (Honduras).
Die angestrebte Zurückstellung der „Makroperspektive zugunsten einer Mikroperspektive“ (S. 9) wird nur teilweise eingehalten. Für Südamerika steht den guten Überblicksbeiträgen von G. Rothfuß („Soziale Ungleichheit in Brasilien“) und D. Anhuf („Der Amazonas-Regenwald im zukünftigen Treibhausklima ...“) nur einer aus der „Mikroperspektive“ gegenüber, der allerdings die „Stimmen aus der Favela“ (V. Deffner) beeindruckend widerspiegelt. Auch die USA-bezogenen Artikel sind eher überblicksartig angelegt mit Ausnahme des interessanten Versuchs von U. Gerhard, die „Dimension einer politischen Global City Washington, D.C.“ aufzuzeigen.
Letztlich wird bei diesem Band ein stringentes Konzept für die Herausstellung der Entwicklungskontraste vermisst, was jedoch nicht die einzelnen Beiträge beeinträchtigt, die in der Mehrzahl aus dem geographischen Lateinamerika-“cluster” an der Universität Passau stammen.

Günter Mertins




Hillmann, Felicitas: Migration als räumliche Definitionsmacht? Beiträge zu einer neuen Geographie der Migration in Europa. 321 S., 12 Abb., 18 Tab., 4 Kart. und 6 farb. Kart. i. Anh. Erdkundliches Wissen 141. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007, € 49,-

Transnationale Migration ist nicht nur eine Folge und Ausdruck der Globalisierung, sondern zugleich auch Motor von Prozessen der Globalisierung und der Fragmentierung. Dem Buch von Felicitas Hillmann, Bremer Professorin für Humangeographie, liegt die Annahme zu Grunde, dass sich im Zuge der beschleunigten Globalisierung seit Beginn der 1990er Jahre Migrationsprozesse in ihren Erscheinungsformen, Auswirkungen und in ihrer räumlichen Organisation verändert haben. Ziel des Buches ist es zum einen, die spezifisch geographische Dimension von Migrationen empirisch darzulegen, und zum anderen, neue Forschungshorizonte der geographischen Migrationsforschung aufzuzeigen.
Die Verfasserin hat für diese Habilitationsschrift aus ihren zahlreichen Publikationen sieben bereits veröffentlichte Aufsätze ausgewählt, in vier Themenschwerpunkten angeordnet und mit Aktualisierungen ergänzt. Anhand zahlreicher empirisch gut belegter Beispiele vollzieht sie mit ihren Überlegungen zu einer neuen Geographie der Migration und dem Konzept der räumlichen Definitionsmacht einen doppelten Perspektivenwechsel in der geographischen Migrationsforschung. Einerseits verschiebt sie den theoretischen Fokus von den bislang in der Geographie am ehesten verwendeten Ansätzen der (neo)klassischen Migrationstheorien (wie z.B. Push-Pull-Modell) zur Transnationalismus-Theorie, die das Leben von MigrantInnen im ‚Sowohl-als-auch’ und ‚Zwischendrin’ von grenzüberschreitenden sozialen und räumlichen Feldern aufzeigt sowie die herausragende Rolle von Netzwerken für den Migrationsprozess hervorhebt. Dabei werden aber auch konfliktbehaftete Polarisierungstendenzen offen gelegt. Andererseits soll bei der Betrachtung ebendieser fragmentierenden sozialräumlichen Entwicklungen nicht mehr ‚lediglich’ die Benachteiligung, Ausgrenzung und Verwundbarkeit von MigrantInnen im Vordergrund stehen. Stattdessen rückt Hillmann die Handlungsspielräume, Veränderungs- und Gestaltungspotentiale, über welche MigrantInnen verfügen und die im Migrationsprozess immer wieder neu ausgehandelt werden, in den Mittelpunkt. Um diesen Aspekt der ‚agency’ der MigrantInnen zu unterstreichen, verwendet sie das der feministisch-orientierten Stadtforschung und der postmodernen Geographie entliehene Konzept der räumlichen Definitionsmacht.
Die Autorin hat Ergebnisse aus Forschungsprojekten der letzten zehn Jahre in vier Themenfelder gebündelt, in denen sich die sozialräumlich strukturierende Wirkung von Migrationen und das beobachtbare Gestaltungspotential besonders deutlich zeigen. Bei der Migration von Hochqualifizierten (Kap. 2) wird offenkundig, wie diese Akteure als Pioniere und Hoffnungsträger wirkungsvolle Veränderungen aktiv vorantreiben können. In der Debatte um ‚brain drain/gain’ zeigt sich aber auch, dass die Effekte der Wanderung dieser höchsten Ausbildungs-, Einkommens- und Statusgruppe in den Ziel- und Herkunftsländern höchst unterschiedlich ausfallen können. Am Beispiel der Hierarchisierung des europäischen Migrationsraumes (Kap. 3) verdeutlicht Hillmann einerseits das aktuelle Ausmaß und die Bedeutung der Transnationalisierung von Migration und andererseits die bereits erkennbaren Fragmentierungstendenzen in Europa. Der europäische Migrationsraum wird nicht nur durch die spezifischen sozio-kulturellen Bedingungen der Länder Europas definiert; sowohl die Sicherheits-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Sozial-, Migrations- und Entwicklungspolitik auf Ebene der Europäischen Union, der EU-Staaten und der Herkunfts- und der Transitländer als auch die Netzwerke und Handlungen der Migrationsunternehmer sowie der MigrantInnen selbst strukturieren diesen Raum. Konkrete sozialräumliche Konsequenzen und krisenhafte Entwicklungen werden direkt an den EU-Außengrenzen oder in den Arbeitsmärkten und Wohnvierteln der europäischen Großstädte sichtbar, wie am Beispiel der irregulären Migration aus ‚Drittstaaten’ nach Italien sowie den Integrationsbemühungen von Migranten in Mailand und Berlin veranschaulicht  wird. Wie ‚Geschlecht’ als eine Migrationen strukturierende Kategorie (Kap. 4) wirkt, zeigt die Verfasserin hervorragend auf. So wird die Position von Migrantinnen in geschlechtsspezifischen Arbeitsmärkten in Städten, in diesem Fall die Rolle von türkisch-stämmigen Unternehmerinnen in den (ethnischen) Ökonomien Berlins, ausführlich dargelegt. Dabei wird auf Basis von Theorien zu Gender und Migration die dreifache strukturelle Benachteiligung von Migrantinnen (race, class, gender) thematisiert, aber hier insbesondere auch das soziale und kulturelle Kapital der Frauen, ihre Innovationskraft und Gestaltungspotentiale – sprich ihre räumliche Definitionsmacht – ausgearbeitet. Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt ist die Herausbildung von neuen Formen der ökonomischen Organisation durch Migration in europäische Städte (Kap. 5), wie z.B. ethnische Nischenökonomien oder Enklavenökonomien.
Zwar bestehen in dem Buch auf Grund der Aktualisierung von vorab veröffentlichten Arbeiten gewisse Sprünge und Wiederholungen, andererseits kann die Autorin dadurch vier bis zehn Jahre zuvor geäußerte Thesen bestätigen und wichtige jüngste Trends aufzeigen. Die Verfasserin erhebt nicht den Anspruch, die komplexen Ursachen und Wirkungen von Migration sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern vollständig zu erfassen. Die Charakterisierung von (Trans)Migration im Zeitalter der Globalisierung bleibt auf Grund der Vielschichtigkeit des Themas aber unvollständig, wenn der Fokus ‚nur’ auf den Zielländern, insbesondere den ‚Zielstädten’, liegt, die Rückkopplungen in den Transit- und Herkunftsländern aber lediglich gestreift werden.
Insgesamt gelingt es der Autorin auf beeindruckende Weise den Anspruch einer neuen geographischen Migrationsforschung, die „räumlichen Dimensionen von Migrationsprozessen und deren Wirkungsweisen in die Gesellschaft hinein zu analysieren“ (S. 288), mit theoretischem und empirischem Leben zu füllen, insbesondere im Bezug auf ihren Forschungsfokus, die sozialen und räumlichen Fragmentierungen der Arbeitsmärkte in europäischen Städten und die Rolle von Migranten, und v.a. Migrantinnen, darin.

Benjamin Etzold




Felgenhauer, Tilo: Geographie als Argument. Eine Untersuchung regionalisierender Begründungspraxis am Beispiel „Mitteldeutschland“. 246 S., 23 Abb. und 4 Tab. Sozialgeographische Bibliothek 9. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2007, € 42,-

Im Mittelpunkt der trefflich betitelten Arbeit von Tilo Felgenhauer steht die Konstitution von Raum durch sprachliche Praktiken. Konkret nimmt Felgenhauer den Redaktionsprozess der Sendereihe „Geschichte Mitteldeutschlands“ des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) hinsichtlich der dort kommunizierten Bedeutungsgehalte des Begriffes „Mitteldeutschland“ in den Blick. Dabei geht es ihm um nichts weniger als darum, „mittels eines sprachbezogenen Vokabulars eine Erklärung für eine räumliche Entität namens „Mitteldeutschland“ zu liefern, die auf substantialistische Prämissen verzichtet und stattdessen eine Beschreibung des Gebrauchs und eine Erklärung des semantischen Gehalts des Toponyms „Mitteldeutschland“ anstrebt“ (S. 8). Dies muss Lesenden zunächst als explizite Offenlegung des Erkenntnisinteresses genügen, findet sich in der Arbeit leider keine ausführliche Darstellung der zugrunde liegenden Forschungsfragen, die vielmehr implizit in den einzelnen Kapiteln aufgeworfen werden.
Das Vorhaben Felgenhauers benötigt zunächst ein theoretisches Fundament, das es ermöglicht, sprachliches Handeln als regionalisierende Praxis zu verstehen und zu analysieren. Im Rahmen einer Bestandsaufnahme zur Sprachorientierung innerhalb der Sozialgeographie seziert der Autor deshalb zunächst sehr ausführlich, welche der existierenden Ansätze, die Sprache für raumbezogene Forschung nutzbar machen, für den Zweck seiner Arbeit geeignet sind. „Unterwegs“ zu Benno Werlens Sozialgeographie der alltäglichen Regionalisierung kommt der Autor an der „neuen Kulturgeographie und politischen Geographie“ (S. 17) nicht vorbei und charakterisiert sie als „wonderfully suggestive but radically undevelopped“ (S. 17). Verweist die wenig gängige Bezeichnung „neue und politische Geographie“ auf ein (frühes) Verständnis des paradigmatischen Projektes der Neuen Kulturgeographie jenseits der mittlerweile zahlreichen theoretischen und empirischen Arbeiten, so scheint die Kritik Felgenhauers daran ebenso „vereinfacht“: ein „bloßes Konstatieren von Differenzen als postmoderne Position“, das „zu einem theoretischen Pazifismus“ führe und die Möglichkeiten der Praxiskritik behindere (S. 20). Für die Untersuchung von Alltagssprache und deren „rationaler Feinstruktur“ (S. 22) erscheinen dem Autor die Ansätze einer Neuen Kulturgeographie – ihrer deutlichen Sprachorientierung zum Trotz – nicht zielführend zu sein. Für wesentlich geeigneter hält der Autor das Werlensche Konzept der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, dessen zwei Seiten er herausarbeitet: eine hermeneutische Seite, das Verstehen alltäglichen, kommunikativen Handelns verbunden mit der Aufklärung der handelnden Subjekte über ihre eigene Weltbezüge, und eine kritisch-rationale Seite, die Idee des kritischen Zweifels gegenüber der Selbstsicht der Subjekte. Die notwendige Erweiterung des Konzeptes um eine sozio-linguistische Dimension, die die „innere Struktur, die Anatomie des Symbolischen“ (S. 36) in den Blick nimmt, stellt das Konzept der signifikativen Regionalisierung von Antje Schlottman zur Verfügung. Derart theoretisch ausgerüstet ist der Autor sicher, „dass sich sowohl für die interpretativen Implikationen in Werlens Forschungsprogramm als auch für die kritisch-rationalen Aspekte seiner Theorie, in Form der philosophischen Hermeneutik einerseits und der argumentations-orientierten Sprachphilosophie andererseits, methodische Entsprechungen finden lassen.“ (S. 34f.). Dass dem so ist, weist Felgenhauer in der anschließenden, sehr ausführlichen und kritischen Diskussion von Hermeneutik, qualitativer Forschung und dem Entwurf einer sprachzentrierten Sozialgeographie nach. Im Hin- und Herwogen der jeweiligen „Fürs“ und „Widers“ wird den Lesenden einiges an Seefestigkeit sowie die Fähigkeit, das eigentliche Ziel im Auge zu behalten, abverlangt.
Im Anschluss an diese Klärungen begründet Felgenhauer die kritisch-rationale Komponente seines Ansatzes. Er macht deutlich, dass die Idee der sprachlichen Rationalität für die Praxis des Verstehens wie auch für die Explizierung des impliziten Gehalts von Sprache wichtig ist. Im Bezug auf die Habermasschen Grundlagen zu sprachlicher und kommunikativer Vernunft wird hier ein Vernunftbegriff zugrunde gelegt, der – als Alternative zum Vernunftbegriff technokratischer Orientierung – konsequent in Begriffen sprachlichen Handelns gedacht wird. Rationalität sei dann nicht mehr Mittel der Argumentationsbewertung (Was ist ein guter Grund?) – so der Autor –, sondern eine Erklärung für das, was Menschen sagen und tun (Was wird hier als guter Grund behandelt?). Als entsprechende Konzepte sprachlicher Rationalität stellt der Autor die Argumentationstheorie von Stephen Toulmin und den Inferentialismus von Robert Brandom, der die soziale Situiertheit argumentativer Praxis in den Blick nimmt, vor. Denn: „Wer weiß, was als guter Grund für eine Behauptung über einen Ort oder eine Region taugt, kann auch eine ganze Menge über das gemeinsame alltags-geographische Wissen derer erfahren, die an der Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen teilnehmen.“ (S. 5).
Derart theoretisch und methodisch gerüstet zieht Felgenhauer nun ins empirische Feld. Im Anschluss an die explorative Phase (teilnehmende Beachtung mit dem Ziel der Kontaktaufnahme zur MDR-Redaktion und Identifikation von Verantwortlichkeiten und Interviewpartnern) soll die explikative Phase der Datengewinnung (Interview- und Dokumentenanalyse) Informationen zum raumbezogenen Vokabular des Textmaterials erbringen. Analyse“objekte“ der explikativen Phase sind neben Interviews mit elf Personen des Reaktionsumfeldes der Sendereihe „Geschichte Mitteldeutschlands“ die Sitzungsprotokolle des begleitenden Kuratoriums, Broschüren und Begleitmaterial zur Serie. Im Gegensatz zur ausführlichen Darstellung der theoretischen Fundierung lässt Felgenhauers Darstellung seiner empirischen Umsetzung einige Informationen vermissen. So bleibt beispielsweise im Dunkeln, welche Broschüren, welches Begleitmaterial und welche Kuratoriumssitzungen letztendlich analysiert wurden. Eine Dokumentenübersicht im Anhang weist zwar verwendete Dokumente bzw. eine Auswahl nach, bietet jedoch in dieser Frage auch keine konkrete Antwort; dies wird auch in der Präsentation der Ergebnisse nicht expliziert. Ebenso wenig wird nachvollziehbar dargestellt, weshalb die Unterschiedlichkeit dieser Textgattungen, die sich gerade in ihrer sozialen Situiertheit und den sich daraus möglicherweise ergebenden unterschiedlichen Argumentationsstrukturen zeigt, für deren Auswertung nicht relevant ist. Ähnlich verhält es sich mit den Hintergrundinformationen zur Sendereihe „Geschichte Mitteldeutschlands“, die in ihrer Knappheit zwar einige Fragen beantworten, jedoch auch eine Menge Fragen aufwerfen, die auch im weiteren Verlauf der Arbeit nicht beantwortet werden.
Eine Vielzahl von Informationen, Beispielen und Antworten jedoch erhalten Lesende in der sehr anschaulichen Ergebnispräsentation, die sich der Erschließung des semantischen Gehalts „Mitteldeutschlands“ zunächst hermeneutisch nähert. Dabei werden signifikative Regionalisierungen expliziter Art im Sinne ausdrücklicher Bedeutungszuschreibungen („Mitteldeutschland“ ist …) und impliziter Art im Sinne unhinterfragter Hintergründe sprachlicher Bezugnahmen auf räumlich gedachte Phänomene (z.B. „hier im Mutterland der Reformation“) unterschieden. Letztere schließen – so das Ergebnis – an den Metaphernbegriff der kognitiven Linguistik an. So finden sich beispielsweise die Container-Metapher (z.B. „eine Region voller Geschichten“), Personifizierungen (z.B. „das Gedächtnis Mitteldeutschlands“) oder Naturalisierungen des Räumlichen (z.B. „hier sind unsere Wurzeln“) im untersuchten Textmaterial. Nach dieser Behandlung der Frage, „wann explizit von ‚Mitteldeutschland’ gesprochen wird und wann dessen Existenz vorausgesetzt wird“ (S. 165), geht es im nächsten Schritt darum, anhand der Argumentationsanalyse zu untersuchen, „wie diese Sprechweisen zusammenhängen, wie sie möglicherweise gegenseitige Stützungen herstellen, welche ontologisierenden Konsequenzen mit derartigen Sprechakten verbunden sind und wie sie Vorstellungen von Inkontingenz und Substantialität in die Sprache tragen“ (S. 166). Hier nimmt Felgenhauer zwei Kategorisierungen vor: Während die empirisch-thematische Kategorisierung in erster Linie der Materialordnung dient, behandelt die Kategorisierung raumbezogener Argumentationsmuster konkrete Argumentationsformen regionalisierender Sprachpraxis. Ein Fazit des Autors ist: „Die praktische Etablierung des Begriffes „Mitteldeutschland“ erfolgt nicht etwa vorrangig dadurch, dass man ihn erklärt, sondern am besten dadurch, dass man ihn als geklärt behandelt.“ (S. 208).
Abschließend liefert Tilo Felgenhauer aufbauend auf den Erkenntnissen seiner Empirie eine allgemeine Beschreibung der Regionalisierung „Mitteldeutschland“ im Rahmen der Sendereihe des MDR und diskutiert die Grundzüge für eine sozialgeographische Sprachanalyse vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse. Sein Schluss lautet: „Räumliche Entitäten sind keine guten Gründe, weil sie empirisch evident existieren. Sondern sie existieren empirisch evident, weil sie besonders oft als Begründung dienen. Toponyme und implizite signifikative Regionalisierungen werden nicht deswegen nicht hinterfragt, weil sie ‚real’ sind, sondern sie sind ‚real’, weil sie nicht hinterfragt werden.“ (S. 231).
Mit „Geographie als Argument“ legt Felgenhauer eine Arbeit vor, die – gleichwohl sie Lesende durchaus fordert – sowohl hinsichtlich der Theorie als auch hinsichtlich der alltagssprachlichen Praxis Substantielles bietet. Der Entwurf einer sozialgeographischen Sprachanalyse gibt denjenigen theoretisches und methodisches Werkzeug an die Hand, die sich mit der konstitutiven Wirkung von Sprache hinsichtlich der Erzeugung von „Raum“ und räumlichen Entitäten auseinandersetzen möchten. Die dargestellten empirischen Beispiele offenbaren nicht nur die Funktionsweisen der Raumkonstitution im alltagssprachlichen Handeln, sondern sensibilisieren auch für die eigene „raumwirksame“ sprachliche Praxis innerhalb und außerhalb universitärer Zusammenhänge.

Katharina Fleischmann




Plate, Erich J. und Zehe, Erwin (Hg.): Hydrologie und Stoffdynamik kleiner Einzugsgebiete. Prozesse und Modelle. XI und 366 S, zahlr. Abb. und Tab. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 2008, € 59,-

In den letzten Jahren sind viele Abhandlungen zum hydrologischen Prozessgeschehen in genutzten Landschaften und deren Abbildung durch Modelle in englischer Sprache erschienen. Mit diesem Lehrbuch liegt nun der aktuelle Wissenstand in der modellgestützten hydrologischen Prozessforschung in deutscher Sprache zusammengefasst vor.
Das Buch fasst Ergebnisse des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „Prognose und Gewässerbelastung durch Stofftransport in einem ländlichen Einzugsgebiet“ zusammen. Ziel war es, neben der Analyse der Prozesse und der Entwicklung eines Prozessverständnisses ein dynamisches Modelsystem zu konzipieren und zu realisieren, welches neben den Wasserflüssen auch Stofftransport und Stoffumsätze sowohl für gelöste als auch partikulär gebundene Stoffe berechnen kann.
Der räumliche Fokus liegt auf dem landwirtschaftlich intensiv und mehrfach genutzten Einzugsgebiet des Weiherbachs (6,3 km², Baden-Württemberg) in dem viele Untersuchungen durchgeführt wurden und welches daher eine fundierte Grundlage zur Entwicklung und Anwendung von Modellen bietet. Da es sich um ein Lössgebiet handelt, verspricht man sich von den Ergebnissen und den Modellen eine Übertragbarkeit auf Gebiete mit ähnlicher Ausstattung. Lössgebiete sind in Deutschland häufig und werden meist intensiv bewirtschaftet, weshalb für ein erfolgreiches Management Aussagen zur Stoffdynamik benötigt werden.
Für das Untersuchungsgebiet wurde das prozessbasierte, mit räumlich verteilten Parametern arbeitende hydrologische Modell CATFLOW zur Simulation der Wasser- und wassergebundenen Stoffdynamik entwickelt. Das Untersuchungsgebiet wird in dem hier gewählten Diskretisierungskonzept durch idealisierte Hänge entlang der Hangfalllinien abgebildet, die auf eine Fläche bezogene werden und über ein Entwässerungsnetz miteinander verbunden sind. Mit dem Modell können zeitlich sowohl ereignisbasierte, als auch kontinuierliche Analysen durchgeführt werden. Die Teilmodelle orientieren sich am Stand der Forschung und sind weitgehend physikalisch begründet. Auch wenn das Modell detailliert beschrieben wird, ist die vorliegende Publikation mehr als ein technisches Handbuch. Vielmehr werden neben Modellkonzepten und deren Realisierung wesentliche Fragen der Regionalisierung, der Skalierung, der Modellanwendung und der Modellbewertung behandelt.
Zu Beginn geben Plate et al. einen sehr schönen Einstieg in das Thema Stofftransportmodellierung. Anschließend stellen Zehe et al. moderne Konzepte zur Modellierung des Wasser- und Strofftransportes vor und erläutern die theoretischen Grundlagen des Modells CATFLOW. Großer Wert wird auf den Einfluss von Makroporen bei der Bodenwasserdynamik gelegt, der bei anderen Autoren häufig vernachlässigt wird. Die Beschreibung der numerischen Lösungsverfahren von CATFLOW verlangt vom Leser thematisch bedingt differenzierte mathematische Kenntnisse ab.
Nach der Vermittlung essentieller theoretischer Grundlagen zum hydrologischen Prozessgeschehen und der Modellstruktur folgt die ausführliche Vorstellung des Untersuchungsgebietes. Damit wird der Weg für die folgenden zwei Schwerpunktkapitel des Buches bereitet.
Den ersten Schwerpunkt bilden empirische Untersuchungen, die als Grundlage für die Modellentwicklung im Weiherbacheinzugsgebiet stattgefunden haben. Etwa 20 Autoren stellen darin die Ergebnisse ihre Messungen und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse zum Prozessgeschehen vor.
Im Anschluss folgt der zweite Schwerpunkt mit Beiträgen verschiedener Autoren zur Simulation der Wasser- und wassergebundenen Stoffdynamik. Die empirischen Untersuchungen des vorangegangen Kapitels ermöglichen die Parametrisierung und Ergebniskontrolle der Modellierungen. Szenarienrechungen werden durchgeführt, um Ergebnisunsicherheiten der Modellierungen zu analysieren.
Am Ende schließen die Herausgeber mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse und geben einen Ausblick auf zukünftige Bearbeitungsfelder prozessbasierter hydrologischer Modelle.
Das Buch richtet sich an Studenten und Wissenschaftler der Umweltwissenschaften, die einen Einstieg in die hydrologische Modellierung suchen oder ihre Kenntnisse auf dem Gebiet vertiefen möchten. Da neben der Vermittlung theoretischer Grundlagen auch Forschungsergebnisse zu speziellen Sachverhalten vorgestellt werden, ist das Buch auch für Fachleute geeignet, die spezielle Fragen zur Stoffdynamik beantwortet wissen wollen.
Leider lässt die Darstellung mancher Themenbereiche zuweilen eine klare Systematik vermissen, die es dem Leser erlaubt, Kernaussagen gezielt wahrzunehmen und in einen zusammenhängenden Kontext zu stellen. Bedingt durch die Vielzahl der Autoren, die ihre Ergebnisse in diesem Buch vorstellen, wechselt der Stil der Darstellung zwischen den Beiträgen und verhindert zuweilen, dass sich eine konsistente Argumentationslinie auszeichnet. Dies können auch die Einleitungen der Herausgeber, die den Inhalten jedes Kapitels vorstehen, nicht gänzlich verhindern. In manchen Beiträgen werden spezielle Sachverhalte beispielsweise zu Messverfahren sehr detailliert beschrieben. Durch die Vielzahl der Autoren ergeben sich zwangsläufig auch unnötige Redundanzen, die den Leser dazu verleiten könnten, wichtige Informationen im Text zu überlesen. Verweise, Hervorhebungen und Randbemerkungen, in denen Kernaussagen wiederholt werden, wären hier sicherlich hilfreich. Weiterhin sind manche Abbildungen im Text nicht für das Layout des Buches und den Graustufendruck optimiert, was zuweilen die Lesbarkeit mindert.
Zusammenfassend ist das Buch für die Beschäftigung mit der Wasser- und Stoffdynamik gut geeignet und empfehlenswert, da es den aktuellen Wissenstand zu dem Thema umfassend in kompakter Form verständlich erklärt. Es sollte in keiner umweltwissenschaftlich bezogenen Bibliothek fehlen und mit einem Preis von 59,- € ist die Paperausgabe für den interessierten Studenten und Wissenschaftler eine lohnenswerte Anschaffung.

Herwig Hölzel




Borsdorf, Axel: Geographisch denken und wissenschaftlich arbeiten. 2. Aufl. XII und 193 S., 41 Abb. und 21 Tab. Spektrum Akademischer Verlag, Berlin, Heidelberg 2007, € 24,95

Der vorliegende Band beruht auf Einführungsveranstaltungen, die der Autor seit langer Zeit regelmäßig durchführt, um Studierenden die Breite des Faches zu vermitteln, ein theoretisches Fundament zu legen und methodisches Rüstzeug auf den Weg durch das Studium mitzugeben. Entsprechend breit sind die Themen, die angesprochen werden: Sie reichen von der allgemeinen Wissenschaftstheorie über die Inhalte des Faches bis zu praktischen Hinweisen für die alltägliche Arbeit beim Studium. Bei einem Gesamtumfang von etwa 170 Textseiten ist das ein gleichermaßen verdienstvolles, kühnes, aber auch gefährliches Unterfangen. Verdienstvoll, weil keine andere Einführung in die Geographie und das Geographiestudium und keine andere Veröffentlichung zum wissenschaftlichen oder praktischen Arbeiten so viele unterschiedliche Ebenen anspricht und miteinander verknüpft; kühn, weil die Fülle dessen was verarbeitet werden muss nicht nur reduziert, sondern auch selektiv behandelt werden muss, so dass es zu Auslassungen kommen muss; und gefährlich, weil möglicherweise die notwendige Lückenhaftigkeit Studierenden ohne Gesamtüberblick über das Fach nicht bewusst wird und sich für sie das Fach auf diese Darstellung reduziert. In der Ansprache der Leser hört man die Ansprache an die Studierenden, so dass der Ton bisweilen etwas lehrerhaft wird. Ob für den Einstieg in das Fachstudium so viele (durchweg interessante und vom Vergessen bedrohte) disziplingeschichtliche Rückgriffe benötigt werden, sei auch dahingestellt. Eine saubere Trennung zwischen Inhalt, Forschungsansatz und Methode vermisst man in Kapitel 5, insbesondere im Abschnitt zur Kulturlandschaftsgenese. Kapitel 9 macht deutlich, wie weit der Spagat zwischen allgemeiner Wissenschaftstheorie (Positivismus, Hermeneutik usw.) und handwerklichen Routinen (Karteikartengröße, Fomulierungshilfen usw.) ist. Hier demonstriert der etablierte und angesehene Universitätslehrer, welche Spannweiten das Alltagsgeschäft in der Lehre beherrscht. Das Layout ist zwar ansprechend, nicht jedoch die Abbildungen. Ihnen liegen offensichtlich Farbabbildungen zugrunde, die in den jetzt gewählten Grauabtönungen wenig attraktiv sind, zumal schwarze Schrift, oft bis zur Schmerzgrenze verkleinert, auf dunkelgrauem Hintergrund schwer lesbar ist. Trotz dieses kritischen Einwandes möchte man das Buch aber Studierenden als Einstieg gerne empfehlen.

Jörg Stadelbauer




Galleguillos Araya-Schübelin, Myriam Ximena: Möglichkeiten zum Abbau von Segregation in Armenvierteln. Die Frage nach der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit urbaner Ballungsräume am Beispiel Santiago de Chile. VII und 226 S., 19 Abb. und 6 Tab. Kieler Geographische Schriften 115. Selbstverlag des Geographischen Instituts der Universität, Kiel 2007, € 15,-

In der geographischen Forschung zu lateinamerikanischen Städten ist das Thema der Armenviertel ein wenig in den Hintergrund getreten. Daher nimmt man die in Kiel erschienene Dissertation mit Spannung zur Hand. Der Titel verspricht die Analyse eines bislang noch unbekannten Phänomens, der sozialräumlichen Segregation in (also nicht von) Armenvierteln. Um es gleich zu sagen: Im Buch wird zu dieser „Mikro-Segregation“ wenig gesagt. Wohl aber geht es der Autorin um die Makro-Segregation, d.h. um die Konzentration von sozial Unterpriviligierten in Kommunen und Barrios der Agglomeration Santiago de Chile, und um Fragen der Meso-Segregation, also der Neuanlage von Vierteln höherer Gesellschaftsschichten in unmittelbarer Nähe der Armenviertel. Und noch ein anderer im Untertitel genannter Aspekt wird nicht wirklich thematisiert: Die Frage der sozialen und vor allem auch der ökonomischen Nachhaltigkeit urbaner Ballungsräume. Hierzu würde man – zumindest im Schlusskapitel – eine methodisch klare Bewertung erwarten: Wie sozial und ökonomisch nachhaltig ist die durch akzelerierte Prozesse der Mikro-, Meso- und Makro-Segregation geprägte Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte? Aspekte hierzu findet man jedoch durchaus in den „Schlussfolgerungen“, aber keine stringente Bewertung.
Abgesehen von dieser Kritik, die mehr auf die Betitelung als auf den Inhalt der materialreichen Arbeit zielt, kann konstatiert werden, dass die Autorin eine interessante und gut dokumentierte stadtgeographische Studie der Armenviertel Santiago de Chiles vorgelegt hat, die die weitere Forschung sicher befruchten wird. Sie beginnt mit einer Reflexion über Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Wohnzufriedenheit und erweitert das Konzept benachteiligter Wohnviertel um den Aspekt der benachteiligenden Wohnräume. Es folgt eine sehr eingehende empirische Studie anhand von Fallbeispielen, die am Ende auch eine soziale Bewertung einschließt, die sowohl aus der Sicht der Bewohner als auch der Bearbeiterin nicht ganz so negativ ausfällt, wie manche a priori Feststellungen der Autorin erwarten ließen. Dazu muss der Leser aber die Arbeit sorgfältig lesen, da sie in sich nicht widerspruchsfrei bleibt. Es wurden Befragungen und Interviews durchgeführt. Eine Dokumentation, wie viele Menschen in welchem Viertel befragt wurden oder eine Liste der Interviewpartner fehlt.
Die unter der Militärregierung durchgeführte Zwangsumsiedlung von Marginalviertel-Bewohnerinnen und Bewohnern in neue Behausungen wird von aus der Binnenperspektive durchaus differenziert gesehen, negative Bewertungen betreffen die Maßnahme als solche, die vielfach als Trauma erlebt wurde, und die nach wie vor nicht zufrieden stellende infrastrukturelle Ausstattung des neuen Wohnumfeldes. Positiv dagegen werden dagegen vielfach die materielle Ausstattung und die Möglichkeit der Sozialkontakte über das eigene Milieu hinaus bewertet. Diese ist eine Folge der Meso-Segregation, die eine Kleinkammerung der Sozialstruktur der Stadt zur Folge hatte. Es wäre aufschlussreich gewesen zu erfahren, wie solche Kontakte zwischen ummauerten Vierteln (condominios) der Mittelschicht und den Quartieren der Unterschicht im Einzelfall aussehen können. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die negativen Bewertungen des eigenen Wohnumfeldes mit der Distanz zu solchen sozial höherwertigen Vierteln zunehmen.
Frau Galleguillos Araya-Schübelin trifft eine nachvollziehbare Auswahl aus den Theorien zum Sozialraum Stadt in Lateinamerika, sie führt eine methodisch saubere empirische Analyse durch. Sie ist in leicht lesbarem Stil verfasst und bietet eine fesselnde Lektüre. Es wäre hilfreich gewesen, wenn alle theoretischen Stränge am Ende aufgenommen und daraus Anhaltspunkte für deren Ergänzung oder Neuformulierung extrahiert worden wären. Dennoch: Diese Studie wird dazu anregen, manche Theorie neu zu überdenken, wird aber auch zu deren Präzisierung beitragen. Die Arbeit ist gut veranschaulicht und mit Karten, Diagrammen (freilich leider manchmal auch in Form dreidimensionaler Excel-Diagramme und leider bei Relativwerten immer ohne Angabe von „n“!) und Tabellen ausgestattet.

Axel Borsdorf

 

 

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